Er besaß einen Doppelläufer, dessen einer Lauf leergeschossen war; anstatt wieder zu laden, verließ er sich auf den zweiten Lauf. Ich jagte hinter ihm her, doch nicht gerade auf ihn zu. Ehe ich ihm so nahe kam, daß ich ihn packen konnte, mußte erst die Kugel aus seinem zweiten Laufe. Darum rief ich ihm abermals zu:
»Haltet an, Master, sonst schieße ich!«
Er ließ sich durch die Drohung verleiten, drehte sich um und schoß. Ich sah den Lauf genau auf meinen Oberkörper gehalten; der Schuß war dieses Mal nicht ins Blaue gerichtet; darum warf ich mich augenblicklich nach Indianerart auf die Seite des Pferdes herab, richtete mich, als die Kugel über mir weggeflogen war, wieder auf und jagte auf ihn zu. Da er nun keine Zeit zum Wiederladen hatte, warf er die jetzt nutzlose Flinte weg und zog den Revolver aus dem Gürtel. An diesen hatte ich nicht gedacht. Es wäre die allergrößte Albernheit gewesen, ihn trotz seines Revolvers noch packen zu wollen. Darum gebot ich ihm:
»Weg mit dem Revolver, sonst schieße ich nun wirklich!«
Er gehorchte nicht, sondern wartete nur, daß ich noch ein wenig näher kommen möchte, um sicherer treffen zu können. Mein Pferd galoppierte eben, dennoch stellte ich mich in den Bügeln auf, um einem etwaigen Stoße zu begegnen und sicherer zielen zu können, legte den Stutzen an und drückte ab. Weller stieß einen Schrei aus, ließ den Revolver fallen und den Arm sinken. Einige Sekunden später war ich an seiner Seite, warf den Stutzen auf den Rücken und streckte beide Arme nach ihm aus, indem ich mich zu ihm hinüberbog.
»Herunter mit Euch!« rief ich ihm dabei zu. »Und wenn Ihr nicht freiwillig wollt, so werfe ich Euch herab!«
Ich faßte ihn, um ihn aus dem Sattel zu reißen. Da zog er mit der Linken einen zweiten Revolver hervor und antwortete hohnlachend:
»Das geht nicht so schnell, Master Shatterhand. Ihr habt nicht mich, sondern ich habe Euch!«
Er wollte abdrücken, kam aber nicht dazu, denn ich hieb ihm mit der linken Hand die Waffe aus der seinigen und schlug ihm die rechte Faust von unten her gegen das Kinn, daß ihm der Kopf in den Nacken flog. Zwei schnelle Griffe in meine und seine Zügel – die Pferde standen; sofort war ich aus dem Sattel und riß auch ihn herunter. Er fiel wie ein Sack zur Erde und blieb da liegen. Seine Augen waren geschlossen; aus dem halbgeöffneten Munde lief Blut hervor. Hatte ich ihm das Genick gebrochen?
Bevor ich ihn daraufhin untersuchte, versicherte ich mich seiner Person, indem ich ihm die Arme mit seinem Gürtel festband, und auch der Sachen, die er bei sich trug. Ich brauchte mich dadurch keineswegs für einen Räuber zu halten. Wer weiß, ob alles, was er bei sich hatte, sein rechtmäßiges Eigentum war. Vielleicht konnte mir etwas davon von Nutzen sein. Ich fand eine Brieftasche und eine aus starker Seide gehäkelte Börse, zwischen deren Maschen Goldstücke hervorglänzten, und steckte beides zu mir. Die Uhr und alles andere ließ ich stecken.
Da kam der Mimbrenjo, welcher vom Pferde stieg, um die weggeworfene Flinte und die beiden Revolver aufzunehmen. Jetzt begann sich das Gesicht Wellers zu beleben. Er öffnete die Augen und fuhr mich giftig an:
»Mensch, was habe ich mit Euch zu schaffen! Laßt mich in Ruhe; laßt mich los, sonst kann es Euch schlecht bekommen.«
Ich hörte es ihm an, daß er sich in die Zunge gebissen hatte; mein Hieb hatte ihm den unteren Kiefer gegen den oberen getrieben, und die Zunge war zwischen die Zähne gekommen.
»Redensart!« antwortete ich. »Ich möchte wissen, auf welche Art und Weise Ihr mir schaden könntet. Steht auf, und kommt mit mir!«
»Fällt mir nicht ein! Ich bleibe hier liegen, bis Ihr mich losgebt!«
»Diesen Wunsch könnte ich Euch ganz gut erfüllen. Ich brauchte Euch nur auch noch die Beine zusammenzubinden und Euch liegen zu lassen, bis Ihr verschmachtet oder bei lebendigem Leibe von den Geiern zerrissen werdet. Ich will aber menschlicher an Euch handeln, wenn es auch gegen Euren Willen ist. Also auf vom Boden, sonst helfe ich nach!«
Er blieb dennoch liegen; als ihm aber der Mimbrenjo den Kolben zwischen die Rippen stieß, sprang er fluchend auf und folgte uns, die wir die drei Pferde an den Zügeln führten. Als wir ihn zum Platze brachten, machte es mir große Mühe, die ihm zugedachten Mißhandlungen von ihm abzuwenden.
Wir banden ihm die Füße und legten ihn nieder, doch nicht neben Melton, damit sich beide nicht durch Worte verständigen möchten.
Die Yumas waren aus nächster Nähe Zuschauer des ganzen Vorganges gewesen. Daß ich mich den Kugeln Wellers ausgesetzt hatte, übergingen sie mit Schweigen; zu dem kleinen Mimbrenjo aber sagte die »listige Schlange‹
»Mein junger Bruder wird ein tüchtiger Krieger werden. Es freut mich, mit ihm Frieden schließen zu können und mich aus seinem Feinde in seinen Freund zu verwandeln.«
Damit war die Beratung eingeleitet, welche nun beginnen konnte. Sie währte über zwei Stunden lang und führte zu einem Ergebnisse, welches mich vollständig befriedigen konnte. ich hatte Melton der »listigen Schlange« auszuliefern und nichts dagegen zu tun, daß Judith das Weib des Roten wurde. Dafür erhielt ich alle Zugeständnisse, auf welche ich angetragen hatte. Einen solchen Erfolg hätte ich, als ich mit dem kleinen Mimbrenjo hier ankam, für geradezu unmöglich gehalten. Natürlich wurde die Vereinbarung durch die Pfeife des Friedens beraucht, und als wir damit fertig waren, brachen wir nach dem Lager der Yumas auf, damit aus Rücksicht auf meine Sicherheit jeder der dort anwesenden Roten auch einen Zug aus der Pfeife tun sollte. War das geschehen, so konnte ich überzeugt sein, daß alle Punkte unseres Abkommens von ihnen mit größter Treue gehalten werden würden. Erst als auch das vorüber war, konnten wir an weiteres denken.
»Was wünscht nun mein weißer Bruder, was jetzt geschehen soll?« fragte die listige Schlange. »Wird der Häuptling der Apatschen mit denen, die bei ihm sind, zu uns kommen, oder werden wir zu ihm gehen?«
»Das letztere ist wahrscheinlicher. Ich muß erst mit meinen weißen Brüdern reden.«
Bevor ich dies tat, untersuchte ich die Brieftasche und die Börse Wellers. In der ersteren befanden sich fünftausend Dollars in denselben Papieren, welche auch Melton gehabt hatte, und in der letzteren nicht ganz fünfhundert Dollars in Goldstücken. Dann versammelte ich diejenigen männlichen Personen meiner Landsleute um mich, welche über das, was ich ihnen vorschlagen wollte, zu bestimmen hatten, nämlich die Familienväter und andern selbständigen Personen. Die übrigen sollten nicht hören, was ich vorzubringen hatte; wenigstens brauchten sie über den Geldpunkt nichts zu erfahren, denn dieser Punkt war ein für mich heikler, obgleich ich überzeugt war, das, was ich beabsichtigte, vor meinem Gewissen vollständig verantworten zu können. Natürlich durften auch Melton und Weller nichts davon hören.
Während sich diese Personen zusammenfanden, nahm ich Judith und ihren Vater auf die Seite und fragte die erstere:
»Ich weiß, was Sie da drüben an der Felsenecke mit dem Häuptlinge besprochen haben. Haben Sie Ihrem Vater etwas davon gesagt?«
»Ja,« antwortete er an ihrer Stelle. »Die Tochter meines Herzens hat mir erzählt von der Ehre, welche ihr zu teil wird sein, zu werden die Häuptlingin und Herrscherin eines großen roten Volkes von der Nation der Indianer.«
»Sind Sie denn damit einverstanden?«
»Warum sollte ich nicht? Ist doch dabei zu machen ein großer Gewinn für sie und auch für meine Person, denn wir werden sein angesehene und bedeutende Leute in Mexiko und Amerika.«
»Sie scheinen sich nicht ganz die richtige Vorstellung von der politischen Bedeutung eines Indianerstammes und der sozialen Stellung eines Häuptlings zu machen. Ich habe die Pflicht, Ihnen zu sagen, daß –«
»Sagen Sie nichts, sagen Sie gar nichts!« unterbrach er mich. »Ich bin der treue Vater meiner Judith und habe zu horchen nur auf das, was sie sagt und was sie will. Wir werden beherrschen einen Indianerstamm und meine Tochter kleiden können in Samt und Seide. Oder glauben Sie, daß der Häuptling sie mit dem Golde und den Edelsteinen belogen hat?«
»Nein.