Wenn Carpio sagte, daß ich während unserer Reise jetzt zum erstenmal wie ein Buch
gesprochen habe, so hatte er wohl recht. Damit er sich auf unserer Wanderung wohlbefinden
solle, gab ich mich ganz so, wie er war; ihm war das nur nicht aufgefallen, weil er keine Spur
von Beobachtungsgabe besaß. Der mir liebe, immer ernste und stets fleißige Freund besaß
einige Eigenschaften, welche leicht seine ganze Zukunft in Frage stellen konnten. Er war
zunächst von einer geradezu kindlichen oder gar kindischen Harmlosigkeit, die keine
Thatkraft aufkommen läßt und alles womöglich beim Schwanz anstatt beim Kopfe anfaßte.
Dabei liebte er es, der einfachsten Sache eine größere Bedeutung, als sie besaß, beizulegen
und besonders auf unsern Wanderungen dem nüchternsten Gegenstand oder Vorkommnis
eine romantische Färbung zu erteilen. Daher der Eissporn, das Sicherheitsschloß, das
Brennglas und andere Gegenstände, welche er mitgenommen hatte.
Eine andere und zwar seine hervorragendste Eigentümlichkeit war eine Zerstreutheit, welcher
man bei seinem jetzigen Alter zwar nur die heitere Seite abzugewinnen brauchte, die aber
doch schon versprach, später für ihn verhängnisvoll zu werden. Ich hatte mir, soviel es mir
möglich war, Mühe gegeben, ihn zur Sammlung anzuspornen, aber leider auch nicht den
kleinsten Erfolg gehabt. Im Gegenteile, wenn er auf seine Zerfahrenheit aufmerksam gemacht
wurde, steigerte sie sich nur; er wurde ängstlich und beging in dieser seiner Befangenheit
noch viel größere Fehler als vorher. Ich gab es also auf, ihn zu ändern; suchte seine
Eulenspiegelstreiche soviel wie möglich zu vertuschen und gab mich, wenn ich mit ihm allein
war, ebenso kindlich unbeholfen wie er selber. Dadurch hatte ich ihn wahrscheinlich noch
fester als früher an mich gekettet. Wir schienen zwei unbedachtsame Kinder zu sein; er war
auch eins; ich aber wachte heimlich über ihn und hielt, indem ich mir den Anschein gab ganz
in seinem Willen aufzugehen, alle Unannehmlichkeiten möglichst fern von ihm. Er glaubte,
selbständig zu handeln; in Wirklichkeit aber war ich es, nach dem er sich richtete, ohne es zu
wissen.
Zuweilen aber tauchte doch eine Ahnung in ihm auf, daß ich der Bestimmende und er der
Geleitete sei. So auch jetzt, wo ich meine Meinung über den Wirt Franzl äußerte, ohne ihn
gesehen zu haben. Ich fügte hinzu:
»Weißt du, Carpio, wenn jemand nicht bei seinem Familien- sondern bei seinem Vornamen
genannt und dieser letztere sogar in der Koseform, nicht Franz sondern Franzl gebraucht wird,
so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er ein sogenannter guter Kerl ist. So stelle ich mir den
Wirt vor, und als einen solchen guten Kerl müssen wir ihn behandeln, ihm dabei aber auch ein
bißchen imponieren.«
»Imponieren? Womit? Lateinisch oder griechisch reden?«
»Nein; das würde ihn abstoßen, weil er es wahrscheinlich nicht versteht. Er scheint ein
Lebemann zu sein; da müssen wir, so was man sagt, jovial auftreten, so thun, als ob wir
seinesgleichen und schon längst mit ihm bekannt seien. Und was das Imponieren betrifft, so –
– ah, da denke ich an das, was mir der »Alte« sagte, nämlich daß es mir keine Mühe macht,
stundenlang in Reimen zu reden. Du bist ja auch nicht auf den Kopf gefallen und hast mir
schon öfters mit ganz passablen Knüppelversen geantwortet. Wollen wir diesen Franzl mit
Reimen anulken?«
»Der Gedanke ist nicht schlecht; ich werde mein möglichstes thun. Aber wenn er es sich nun
nicht gefallen läßt?«
»Da halten wir inne und werden rasch vernünftig. Also los! Wir scheinen hier am Ziele zu
sein.«
Der Gendarm hatte uns durch einige Gassen geführt und lenkte nun zu einem Einkehrhause,
zu dessen Thür einige Stufen emporführten. Das Gebäude machte mit der Umgebung, die zu
ihm gehörte, einen stattlichen Eindruck. Wir schritten die Stufen hinan und kamen in einen
nach Stallduft riechenden Flur, wo der Polizist eine Thür öffnete, einen forschenden Blick in
die Gaststube warf und dann heiteren Tones rief:
»Grüß Gott, Franzl! Da bin ich schon wieder und bring famose Gäste mit.«
»Wen denn?« fragte eine fette Stimme.
»Zwei Studenten aus Bayern oder anderswo, die für die Nacht gern ein warmes Nest haben
möchten.«
»Studenten? Halloh, herein mit ihnen! Für solche Herrschaften habe ich soviel Nester, wie sie
sich nur wünschen können. Ubi bene, ibi patria!«
Wir traten in die Stube, die ziemlich groß aber niedrig war. Links stand eine Frau beim
Butterfaß. Sie hatte »gebuttert« und war nun beschäftigt, die Buttermilch – meine Wonne! –
durch ein Seihtuch zu gießen. Das war die Wirtin. Rechts von der Thür saßen einige Männer
gewöhnlichen Schlages beim billigen böhmischen Schankbier. Aber der Thür gegenüber gab
es einen großen runden Tisch, an welchem einige Personen, denen man die Honoratioren
ansah, Platz genommen hatten. Einer von ihnen war aufgestanden und sah uns erwartungsvoll
entgegen. Ich konnte gar nicht bezweifeln, daß er der Franzl war. Ja, er mußte vor Jahren ein
fescher Bursche gewesen sein; noch jetzt trug er sein glänzend eingefettetes dunkles Haar in
verlockend gelegte Ringel. Eine blütenweiße Schürze bedeckte den Schmeerbauch; über dem
Latze derselben thronte eine sanft quatschelige Unterkehle, die in ein glattrasiertes, volles und
rotwangiges Gesicht überging, in welchem wohlwollende Heiterkeit ihren Wohnsitz
aufgeschlagen hatte. Als der Blick der freundlichen Augen kurz auf uns geruht hatte, kam der
Mann vollends hinter dem Tische hervor, streckte uns die Hand zum Gruße entgegen und
sagte:
»Ja, man sieht es der ganzen, vornehmen Haltung an, daß Sie Studenten, wirkliche, echte
Studenten sind. Seien Sie uns willkommen; setzen Sie sich hier bei uns an diesem Tische
nieder, und sagen Sie, wozu Sie Appetit haben!«
Ich schüttelte ihm die Hand und antwortete unverzüglich mit dem ernstesten Gesichte der
Welt:
»Ich bitte, nicht verkehrt zu fragen – – und will die Wahrheit Ihnen sagen: – – Wir haben, wie
ein jeder sieht – – nicht Appe- sondern Trinketit!«
Der liebe Franzl fuhr zwei Schritte zurück, riß die Augen weit auf und fragte ganz erstaunt:
»Wie – – wa – – was? Appe – – Trinke – – tit – – tit – –? Sie meinen, daß Sie nicht essen
sondern trinken