Seelentaucher. Heiko Buhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heiko Buhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748522423
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Pastellblau.

      Jocelyn Warum nicht rosa?

      April Ich muss jetzt noch ein bisschen weitermachen, Tante. Ich will doch, dass alles möglichst fertig ist, wenn sie herkommt. Wir sehen uns morgen. Ich denke, ich werde so gegen neun Uhr losfahren und etwa um halb elf bei Euch sein. Ich hab dich wirklich sehr, sehr lieb, Tante.

      Jocelyn Ich dich auch, meine Kleine.

       April beendet das Telefonat und stellt das Radio wieder etwas lauter. Sie beginnt erneut, zu summen und zu singen sowie zu hantieren.

       3

       Ein Gerichtssaal im Gerichtsgebäude von Jackson. Montagnachmittag, 9. Mai 2005, 14.30 Uhr. Es wird wild durcheinander gesprochen, man hört nur einzelne Stimmenfetzen. Dann tritt, da sich der Gerichtsschreiber erhebt, ganz plötzlich Totenstille im Saal ein.

      Gerichtsschreiber Das Verfahren gegen Bobby Norman wird hiermit eröffnet. Den Vorsitz hat der ehrenwerte Richter Donald A. Barnett. Bitte erheben Sie sich.

       Eine Tür wird geöffnet, alle Anwesenden stehen auf. Nach einem kurzen Augenblick tritt der Richter schwungvoll durch die offene Tür ein, die sogleich wieder hinter ihm geschlossen wird. Des Richters ganze Erscheinung strahlt eine große Souveränität, ja beinahe Erhabenheit, aus, ohne dass er unnahbar oder gar unsympathisch wirken würde. Ganz im Gegenteil. Er geht zu seinem Platz, setzt sich hin und macht dabei den Anwesenden ein lässiges Zeichen, sie mögen seinem Beispiel folgen, was diese auch mit einer gewissen, deutlich spürbaren Erleichterung tun. Der Richter wartet ab, bevor er zu sprechen beginnt.

      Richter Nun denn, dann wollen wir mal. Also ...

       Er schaut bedächtig um sich, dann wendet er sich an Bobby Norman.

      Richter Sie sind der Angeklagte Bobby Norman?

       Erwartendes Schweigen.

      Richter Ich wiederhole gern meine Frage. Sie sind der Angeklagte Bobby Norman?

       Bobby wird von seiner Anwältin angestoßen und antwortet nur zögerlich, etwa wie ein verschrecktes Tier.

      Bobby Ja ... ja, Euer Ehren.

      Richter Gut.

       Er besinnt sich kurz, dann scheint es, als bemerke er erst jetzt die Person neben Bobby Norman.

      Richter Und Sie, sind Sie die Verteidigerin von Mr. Norman?

      Anwältin Ja, Euer Ehren.

      Richter Sehr schön.

       Er schaut sich im Saal um.

      Richter Wenn ich das richtig sehe, dann sind wir ja tatsächlich schon vollzählig. Wer hätte gedacht, dass das mal so schnell gehen würde?

       Lacher aus dem Publikumsbereich.

      Richter Also, ich will ein ordentliches Verfahren. Das heißt erstens: keine Pöbeleien, Schimpfwörter oder anderes unflätiges Zeug. Das gilt vor allem für Sie, Angeklagter.

      Bobby Jawohl, Euer Ehren.

      Richter Zweitens: keine Spielchen und keine Geschichten von wegen schlimmer Kindheit, böser Schwiegermutter, Jobverlust etc. pp. Solchen Mist versucht mir hier an allen gesegneten Tagen des Herrn jeder Vollidiot unterzujubeln. Interessiert mich aber nicht die Bohne. Es geht hier einzig und allein um das Verbrechen, das Sie, Angeklagter, begangen haben. Und das war, wenn ich es richtig sehe, nicht vor zwanzig Jahren. Ist das klar?

      Anwältin / Bobby Ja, Euer Ehren.

      Richter Das war eine rhetorische Frage. Sie beide antworten erst, wenn ich Sie eindeutig mit einem ermunternden Blick dazu auffordere oder Ihnen rundheraus das Wort erteile. Ist das klar.

      Anwältin / Bobby Ja, Euer Ehren.

      Richter Gut. Wenn wider Erwarten doch etwas aus der Vergangenheit des Mandanten im Hinblick auf seine Tat äußerst wichtig sein sollte und hier deshalb – und nur deshalb – vorgetragen werden muss, dann bitte ich, sich so kurz wie nur irgend möglich zu fassen.

      Anwalt / Bobby Selbstverständlich, Euer Ehren.

      Richter Schön, schön.

       Er legt eine kurze Pause ein.

      Richter Gibt es an dieser Stelle irgendwelche Fragen?

       Vollkommene Stille. Dann mehr zu sich selbst.

      Richter Hätte mich auch gewundert.

       Er zieht theatralisch ein Taschentuch hervor, schnäuzt sich ausgiebig und steckt es ebenso theatralisch wieder weg.

      Richter Ist die Zeugin schon erschienen?

      Gerichtsschreiber Jawohl, Euer Ehren. Sie wartet draußen.

      Richter Gut. Dann können wir jetzt zur Verlesung der Anklageschrift kommen. Gerichtsschreiber, bitte.

       4

       Wohnung April Miller. Die Nacht von Freitag auf Samstag, 14. Mai 2005, nachts 1.50 Uhr. Aus dem Radio erklingt Musik. April packt gerade noch etwas aus einem Karton aus. Sie ist allein in der Wohnung.

      April So, jetzt ist aber Schluss. Ich bin total platt. Wie schön alles aussieht. Was meinst du, John, es wird Debbie hier doch gefallen?

       S ie sieht sich etwas unsicher um.

      April Bestimmt gefällt es ihr hier.

       S ie verrückt noch zwei, drei Sachen.

      April Ich habe mir richtig Mühe gegeben, nicht wahr, mein Liebster?

       S ie hält kurz inne.

      April Ohne Dich hätte ich das nie geschafft.

       S ie lächelt, allerdings ein wenig gequält.

      April Bist du nicht auch ein bisschen stolz auf mich?

       Sie wischt sich eine Träne weg, es kommen weitere, aber sie schluchzt nicht.

      April Du gibst mir die Kraft, John, das alles hier unten durchzustehen. Du und Debbie. Es ist alles gut. Du wirst immer bei uns sein. Und uns beschützen, das weiß ich jetzt ganz genau.

       S ie kramt ein paar Sachen aus einem Koffer hervor und hält sie präsentierend vor sich hin.

      April Sieh nur, alle deine Sachen habe ich aufbewahrt. Sie sind noch genauso, wie du sie getragen hast. Nichts von dir habe ich weggeworfen. Für mich ist es, als würdest du jeden Augenblick vor der Tür stehen und sagen: ‚Hallo, da bin ich wieder‘.

       Sie muss sich sehr zusammenreißen, um nicht in einen Heulkrampf auszubrechen.

      April Eines Tages werde ich mit Debbie die Sachen hervorholen und ihr die Bilder und Briefe von dir zeigen. Deine Tochter soll sehen, was für ein fantastischer Mensch ihr Vater ist.

       Sie verliert die Beherrschung und weint sowie schluchzt nun hemmungslos. Nach einem Augenblick