„Ach mein Süßer, das ist doch nicht so schlimm. Das schaffe ich mit links, da du ja ohnehin so oft weg bist“. Marie-Louise strahlte ihn an, hüpfte an ihm hoch wie ein Eichhörnchen, und küsste ihn mitten auf den Mund.
„Ich geh nur rasch unter die Dusche. Mach mir inzwischen einen Drink, cheri.“ Ohne ein Fünkchen schlechten Gewissens, log sie ihm mit listig funkelnden Augen ins Gesicht. Alain riss die Fenster auf. Völlig hilflos stand er einem absolut fremden Phänomen gegenüber. „Sie betrügt mich. Und sie lügt.“
In nächster Zeit überhäufte er sein honigsüßes Weibchen mit weit seine Mittel übersteigenden Geschenken. Ein Vorschuss war von Nöten. Der Chef des Besoldungsbüros versäumte nicht, den gestrengen Onkel umgehend von Alains sonderbarem Tun in Kenntnis zu setzen. Eine mehr als unerquickliche Auseinandersetzung folgte. Bernard war enttäuscht. Wohl oder übel sah sich Alain gezwungen, den Sachverhalt seines tadelnswerten Verhaltens zu erklären.
„Solche Argumente hätte ich absolut nicht erwartet.“ In Bernards knappen Worten lag gleichermaßen Respekt und Heiterkeit.
„Dass du der Firma wegen sogar deine ehelichen Pflichten vernachlässigst, ist schon ein starkes Stück!“ Gönnerhaft klopfte er seinem Schützling auf die Schulter.
Alain erhielt kurz darauf eine wesentlich wichtigere Position und eine ansehnliche Gehaltsaufbesserung.
Durch diese leitende, höchst verantwortungsvolle Stellung, hatten die Dubois nun häufig Gelegenheit an Festivitäten der Firmenleitung teilzunehmen. Dank ihrer Jugend und natürlichen Schönheit, war Marie-Louise meist Mittelpunkt solcher Abende. Sie plauderte charmant, etwas kokett, gerade noch an der Grenze des Akzeptablen, mit wichtigen Persönlichkeiten. Solcher Art verhalf sie Alain zu manch bemerkenswerter Bekanntschaft, die der Firma und ihm im Speziellen, von größtem Nutzen war. Unmerklich drängte sie sich immer weiter in sein Leben, spielte sich mit weiblicher Raffinesse bald zu seiner Managerin auf.
Nichts Böses ahnend, völlig geblendet von ihren Fähigkeiten, war Alain stolz auf seine tüchtige Frau. Je mehr sie sich um sein Wohlergehen mühte, umso glücklicher fühlte er sich.
„Alain, das Telefonat mit Herrn Generaldirektor Faberant. Ich habe versprochen, du setzt dich umgehend mit ihm in Verbindung.“ Maries Stimme klang spitz, beinahe befehlend.
„Alain, heute Abend, die Einladung bei den Sénéquiers. Vergiss es um Gottes Willen nicht. Ich weiß, maßgebliche Leute werden da sein, die großes Interesse an euren Produkten haben.“
„Alain, ich habe dir einen neuen, mitternachtsblauen Smoking gekauft. Das Galadinner bei Rumeur. Zum Sommernachtsfest bei den Chalants musst du dir unbedingt noch einen weißen anschaffen. Was denken sonst die Leute! Wir müssen doch schließlich standesgemäß auftreten. Oder?“ Ihre Stimme überschlug sich vor Eifer und Energie.
„Das ist dann der fünfte Abendanzug innerhalb eines halben Jahres. Pure Geldverschwendung“, stöhnte Alain reichlich gestresst.
In letzter Zeit wurde er nur noch vor vollendete Tatsachen gestellt. Sein Terminkalender platzte aus allen Nähten. Seine Schlafstunden verkürzten sich drastisch. Marie war in ihrem Element, einfach nicht mehr zu bremsen.
Unsagbare Liebe überschwemmte dennoch sein nüchternes, rationales Denken. Blind folgte er ihren Anweisungen. Circe hatte ihn in ihren Bann gezogen, und er wollte gar nicht entrinnen. Er liebte dieses heilige Wesen bedingungslos.
Die nächsten Jahre vergingen für Alain Dubois im Fluge. Von seiner ehrgeizigen Frau geführt, verbuchte er Erfolge, die er ohne sie kaum zu hoffen gewagt hätte. Alles geschah scheinbar wie von selbst. Mit einem reizenden Lächeln, einer geringschätzigen Handbewegung, einem gezielten Augenaufschlag schaffte sie jede Schwierigkeit aus der Welt.
Alain stürzte sich weiterhin mit vollem Einsatz in die Arbeit, kam oft erst spät abends nach Hause. Mehrmals übernachtete er in den Privaträumen seines komfortablen Büros, wenn Aufsichtsratsitzungen nicht enden wollten. Maries Reaktionen auf sein Fernbleiben hatten sich grundlegend geändert. Keine Vorwürfe mehr, keine hämischen Rügen, die ein schlechtes Gewissen wach gerufen hätten. Sie hatte nur ein Ziel vor Augen: Ihr Mann sollte Chef werden, Leiter dieses großen Unternehmens, indem er Treppchen um Treppchen höher kletterte, nicht mehr aufzuhalten war. Die Begeisterung des Chefs war keineswegs zu übersehen.
Alain hatte Permanenterfolge. Täglich neue Verträge. Lorbeeren und Lobeshuldigungen. Absolut keine Bedenken, diese Glückssträhne könnte möglicher Weise künstlich hervorgerufen worden sein.
Beruflich verhindert, übernahm sein geliebtes Mädchen selbstlos zahlreiche wichtige Einladungen, auf denen sie ihr gezieltes, für manche Beteiligte oft verderbliches Spiel trieb. Sie erfuhr in charmanten Plaudereien von geplanten Vorhaben, hörte von Kaufabschlüssen oder Fusionen. Informationen, die sie ihrem Gatten beim Frühstück mit betörendem Lächeln unterschob.
Marie fand teuflischen Gefallen an solchen Eskapaden, an feuchtfröhlichen Partys, den zahlreichen Bekanntschaften, die sie mit Akribie mehrte. Oft kehrte sie erst in den frühen Morgenstunden völlig erschöpft nach Hause zurück.
Er überhäufte das raffinierte Stück mit liebvoller Zärtlichkeit. Sie suhlte sich in seiner Fürsorge.
„Ich bin wirklich untröstlich, dass du wieder nicht mitkommst, mon petit chou. Na vielleicht klappt es ja das nächste Mal.“
Lachend klapperte sie durch die große Diele, warf ihm ein Kusshändchen zu, verschwand auf unbestimmte Zeit. Wildgekräuselte Locken umspielten ihr Madonnengesicht. „Wie wunderschön du bist“, säuselte Alain verklärt. Wie sehr er sie liebte, diese Fatahmorgana, durch die er in einem Meer von Glück schwamm.
Madonna schwamm ebenfalls, ausdauernd und zielstrebig. Aus dem einst lieblichen Persönchen war eine rücksichtlose, berechnende Frau geworden, die habgierig ihrem Ziel Schritt um Schritt näher steuerte. Die Jedermann niederstreckte, der sich von ihr bedenkenlos umgarnen ließ. Sie wollte die Reichste, die Schönste, die Begehrteste, die Beneidetste sein. Dazu war ihr jede Gemeinheit recht. Berückender Charme. Charakterlose Ränkespiele. Sex.
Niemals wäre Alain auf den abwegigen Gedanken gekommen, in diesem liebenswerten Geschöpf schlummere ein Teufel, der langsam, aber unumstößlich von ihr Besitz ergriff.
Die Dämmerung war hereingebrochen. Eine halbleere Flasche Armagnac stand auf der Glasplatte des kapriziösen Ratharntisches. Alain drehte verloren sein Glas zwischen den Fingen. Die Vögel waren verstummt. Der Abendwind frischte auf. Ihn fröstelte. Wie eine Beichte formten sich vergangene Ereignisse in seinem Innern. Eine Beichte, die er sich selbst ablegte. Eine Rechtfertigung, die ihn frei sprechen sollte von einer Schuld, die er sich großteils selbst zuschrieb, in seiner unendlichen Trauer.
„Das Leben, das wir führten war seltsam genug. Ich begeisterte mich an deinen zärtlichen Umarmungen, deinen Küssen, deinen wollüstigen Schreien, wenn du dich selbst zur Ekstase triebst, mich mit dir fortbeamtest in eine lustvolle Traumwelt von erfüllendem Sex. Ich war dir verfallen mit Haut und Haar, mit Leib und Seele. Wie Wachs zerrann ich in deinen Armen, und du formtest mich einzig nach deinem Willen. Ich wurde hart und rücksichtslos gegen Freunde, ertappte mich, wie ich diese mitleidlos abwürgte, völlig unverdient und oft auch unnötig.“
Unwillig schüttelte er den Kopf. Nie wieder wollte er sich zum Scharlatan machen lassen. Beinahe feierlich hob er sein Glas: „Auf ein neues, besseres Leben, cher Alain.“
Im Herbst vor drei Jahren.
Marie-Louise holte Alain mit einem neuen Sportcabrio vom Büro ab. Am Rücksitz lag, völlig unbeachtet, ein sündteurer Leopardenmantel, hingeworfen wie ein Spielzeug, dem man keine besondere Bedeutung beimaß. Brillantklipse im Ohr, einen Brillantreif am Arm, war sie bestens gelaunt, angeregt und gesprächiger denn je. Völlig perplex hatte Alain erst sie, dann das schicke Gefährt angestarrt.
„Ein Geburtstagsgeschenk, cheri! Papa konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, dass ich mit dem alten Vehikel herumkutschiere. Schließlich fällt