So redete er noch viel, und kaute dabei mit beiden Backen den heißen Speck; so richtete er ihre Hoffnung und Zuversicht wieder auf und dabei zu gleicher Zeit, davon bin ich fest überzeugt, auch seine eigene.
»Was nun unsere Geisel hier anbetrifft,« fuhr er fort, »so denke ich, das war wohl das letzte Wort, das er mit seinen Freunden gesprochen hat. Ich kriegte zu wissen, was ich wissen wollte, und ohne ihn wäre mir das nicht gelungen; aber das ist nun aus. Wenn wir auf die Schatzsuche gehen, werde ich ihn an eine Leine nehmen; denn wir sollten auf ihn aufpassen, wie wenn er von Gold wäre – von wegen möglicher Zwischenfälle, versteht ihr, bis wir alles haben. Sobald wir Schatz und Schiff haben, und wieder auf See sind als lustige Kameraden, na – dann wollen wir mal über Herrn Hawkins sprechen und wollen ihm selbstverständlich seinen Anteil geben – für all seine Freundlichkeit.«
Es war kein Wunder, daß die Leute jetzt in guter Laune waren. Ich selber war furchtbar niedergeschlagen. Wenn der Plan, den Silver eben entwickelt hatte, sich als ausführbar erwies, dann würde er sich keinen Augenblick bedenken, danach zu handeln. Er war schon ein doppelter Verräter, der einen Fuß in jedem der beiden Lager hatte, und ohne Zweifel würde er Reichtum und Freiheit bei den Piraten der bloßen Rettung vor dem Galgen vorziehen, die das Höchste war, was er im besten Fall von uns zu hoffen hatte.
Ja, und selbst wenn es so kam, daß er dem Doktor sein Wort halten mußte, – welche Gefahr lag auch dann noch vor uns! Wie würde es hergehen, wenn seine Leute ihren Verdacht bestätigt sähen, wenn er und ich um unser liebes Leben kämpfen müßten – er, ein Krüppel, und ich, ein Knabe, gegen fünf starke und mutige Seeleute!
Zu dieser doppelten Furcht kam noch das Geheimnis, das über dem Verhalten meiner Freunde ruhte: ihre unerklärliche Aufgabe des Pfahlwerks; ihre noch unbegreiflichere Herausgabe der Karte; und das Allerunbegreiflichste, des Doktors letztes Warnungswort an Silver: Macht Euch auf Böen gefaßt, wenn Ihr den Schatz findet!
Man wird mir daher gerne glauben, daß mir mein Frühstück nicht besonders gut schmeckte und daß ich mit einem unruhigen Herzen meinen Feinden, die mich gefangen hatten, auf ihrer Suche nach dem Schatz folgte.
Wenn jemand dagewesen wäre, der uns hätte sehen können, so hätte er sich über unseren Anblick wohl gewundert: alle in schmutzigen Seemannskleidern und alle außer mir bis an die Zähne bewaffnet. Silver hatte sich zwei Musketen umgehängt – eine vorn und eine hinten –, außerdem trug er an seinem Gürtel noch den breiten Entersäbel und in jeder Tasche seines breiten Rockes eine Pistole. Um seine seltsame Erscheinung zu vervollständigen, saß auf seiner Schulter Käpp'n Flint und plapperte allerlei Seemannsschnack ohne Sinn und Verstand.
An einer Leine, die mir um den Leib gebunden war, folgte ich gehorsam dem Schiffskoch, der das andere Ende des Stricks bald in seiner freien Hand, bald zwischen seinen mächtigen Zähnen hielt. So führte er mich wie einen Tanzbären am Strick.
Die anderen Leute waren in verschiedener Weise bepackt; einige trugen Picken und Spaten – dies waren die Gegenstände, die sie als ganz besonders notwendig von der Hispaniola an Land gebracht hatten; andere waren mit Pökelfleisch, Brot und Branntwein für das Mittagessen beladen. Dieser ganze Mundvorrat stammte aus dem Blockhause; so konnte ich sehen, daß Silver in der vorigen Nacht vollkommen die Wahrheit gesagt hatte. Hätte er nicht mit dem Doktor den Vertrag abgeschlossen, so hätten er und seine Meuterer, da das Schiff ihnen davongefahren war, von klarem Wasser und den Ergebnissen ihrer Jagd leben müssen. Wasser wäre nicht sehr nach ihrem Geschmack gewesen, und Matrosen sind für gewöhnlich keine guten Schützen – abgesehen davon, daß sie wahrscheinlich nicht sehr reichlich mit Pulver versehen waren, wenn sie schon an Lebensmitteln so knapp waren.
Nun, so ausgerüstet machten wir uns alle auf den Weg, sogar der Pirat mit der Kopfwunde, der gewiß lieber im Schatten hätte bleiben sollen, und gingen im Gänsemarsch nach dem Strand hinunter, wo die beiden Gigs lagen. Auch diese trugen Spuren des trunkenen Übermutes der Piraten: in dem einen war eine Ruderbank zerbrochen, beide waren schmutzig und voll von Wasser, das nicht ausgeschöpft worden war.
Der Sicherheit wegen sollten wir beide Boote mitnehmen; so stiegen denn in jedes Gig drei Mann, und wir fuhren los. Schon als wir über den Ankergrund ruderten, entstanden Meinungsverschiedenheiten wegen der Karte. Das rote Kreuz war natürlich viel zu groß, um den Ort des Platzes genau bezeichnen zu können, und der Wortlaut der Bemerkung konnte auf verschiedene Weise ausgelegt werden. Sie lautete, wie der Leser sich vielleicht erinnern wird, folgendermaßen:
»Großer Baum, Staffel des Fernrohrs, Nord-Nordost bei Nord.
Skelettinsel, Ost-Südost bei Ost.
Zehn Fuß.«
Ein großer Baum war also das Hauptkennzeichen. Nun war gerade vor uns der Untergrund von einer Hochebene eingefaßt, die zwei- bis dreihundert Fuß über dem Meeresspiegel lag; sie erstreckte sich nach Norden zu bis an den südlichen Abhang des Fernrohrs und nach Süden zu bis zu dem schroffen Felsgipfel, dem sogenannten Besanmast-Berg. Die Hochebene war dicht mit Fichten von verschiedener Höhe bewachsen. An vielen Stellen stieg ein Baum von anderer Art vierzig oder fünfzig Fuß hoch über seine Nachbarn empor, und welcher von diesen Bäumen jener »große Baum« des Kapitäns Flint war, das ließ sich nur an Ort und Stelle entscheiden, indem man den Kompaß zu Hilfe nahm.
Obgleich die Sache nun so lag, hatte jeder in den beiden Booten sich einen besonderen Lieblingsbaum ausersehen, bevor wir noch halb über den Ankergrund hinüber waren. Nur Long John zuckte die Achseln und sagte ihnen, sie sollten den Mund halten, bis wir da wären.
Wir ruderten auf Silvers Befehl ganz gemächlich, damit die Leute nicht frühzeitig müde würden, und landeten nach einer ziemlich langen Überfahrt an der Mündung des zweiten Baches, jenes, der aus einer bewaldeten Schlucht am Fernrohr herauskam. Wir wandten uns nun nach links und begannen die Anhöhe zu ersteigen, die zu der Hochebene hinaufführt.
Im Anfang kamen wir in dem schweren Morastboden, der mit Sumpfpflanzen wirr überzogen war, nur langsam vorwärts; allmählich aber begann der Abhang steiler zu werden, und unsere Füße fanden auf steinigem Boden besseren Halt; an die Stelle des Gestrüppes trat offener Wald. Wir näherten uns einem besonders schönen Teil der Insel. Stark duftende Kräuter und viele blühende Sträucher bedeckten den Boden anstatt des Grases. Aus Dickichten von grünen Muskatnußbäumen erhoben sich hier und da die roten Säulen von Fichten mit ihrem schattigen Dach, und die Luft war voll von dem gewürzigen Duft der einen und dem Harzgeruch der anderen. Die Luft wurde durch einen leisen Wind abgekühlt und erfrischte uns in wunderbarer Weise.
Die Schatzsucher bewegten sich fächerförmig ausgebreitet vorwärts, indem sie sich dabei fortwährend zuriefen. Ungefähr in der Mitte und ein gutes Stück hinter den übrigen folgten Silver und ich – ich an meine Leine angebunden, er mit schwerem Keuchen sich den Abhang hinauf abarbeitend. Von Zeit zu Zeit mußte ich ihm die Hand reichen – sonst wäre er ausgerutscht und rücklings den Berg hinuntergefallen.
So waren wir ungefähr eine halbe Meile vorwärts gekommen und näherten uns dem Rande der Hochebene, da begann plötzlich der Mann auf dem äußersten linken Flügel laut zu schreien, wie in furchtbarer Angst. Er stieß einen Schrei nach dem anderen aus, und die übrigen liefen zu ihm hin.
»Er kann doch den Schatz nicht gefunden haben?!« schrie Morgan uns zu, als er an uns vorüberlief; »denn das ist ja rein unmöglich!«
Wir fanden allerdings, als wir ebenfalls die Stelle erreichten, etwas ganz Verschiedenes! Am Fuße einer gewaltigen Fichte lag in grünen Ranken, die zum Teil sogar einige von den kleineren Knochen in die Höhe gehoben hatten, ein menschliches Gerippe, an welchem noch ein paar Kleidungsfetzen hingen. Ich glaube, ein Gefühl von Kälte packte für einen Augenblick jedes Herz.
»Er war ein Seemann,« sagte George Merry, der, mutiger als die anderen, dicht herangegangen war