Meister Joachim Pausewang. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521013
Скачать книгу
Oder umgreift die Stadt wie eine Silberspangen den köstlichen Topas. Die schlanken Türm mit blanken Kugeln und Hahnen, drunter das heimlich Gewinkel und Gewirre, spitzgiebelig, gebräunt, und aus jedem Schornstein das behaglich Wölkchen. Alt-Breslau, du liebe Fraue von Schlesien! Und rund umher schlingen die Erlenhain einen huschenden Reigen, ducken sich hie als ein scheues Buschicht, recken sich da in schlanker Zier, und zwischendurch laufen die Weiden, ohn Atem, in silbergrauer Seiden, kugelrund, kurzbeinige, wohllebige Junker. Vom Ufer her aus dem Bürgerwerder summt noch das geschäftig Leben. Dort liegen die langen, schwarzen, schweren Schiff, dort deckt sich der Rechentisch mit Zahlen, dort kreist der Krahn von Ufer zu Fähre, von Fähre zu Ufer. Und der Mühlberg drüben! Über dem steht die blasse Scheiben wie ein weiß Schafwölklein. Er breitet seinen weiten, grünen Chamelotmantel und läßt ihn von den Leinwand-, Garn- und Züchenbleichen hell verbrämen … Da steigt in dem Dritten eine sanfte, wundersame Lieb vom Herzen auf, und ist ihm, als müsset er zu der brausenden Wasserorgel singen. – Sieh, Basil, in dem ist Gott. Die Engel im Lichte haben auch keine andre Lieb. Ist dies ein Confession und kunnts einer in Artikul fassen? Glaub nit. Vermeinest, daß der Mann möcht seliger sein, so er dies kunnt auf latein, griechisch, hebräisch deuten? Glaub nit. Und seines Leibes Notdurft ist gar verstummt. Fast sprengt ihm das singend Glück die Brust. Er trinkt mit Aug und Ohr und mit eim jeden Atemzug Gott, und Gott schlägt durch Aug und Ohr und jeden Hauch aus ihm herfür. Er ist erfüllet ganz. Die rot Sunn, der weiß Mond, und des Ostens dunkeles Blau und der Menschenerd bunts Getrieb strömt auf ihn ein, und aus ihm fleußt Himmel und Erde. Er ist Vater, Sohn und Geist in einem und ist Gott in seinem göttlichen Rausch.“

      Du lägest an meiner Schulter und atmetest schwer, als müßtest ein Schluchzen verhehlen. Wir schwiegen lang. Da vernahm ich hinter mir ein leises Sporenklirren und legeten sich leichte Finger auf meine Schulter.

      „Mäter Posewang, wollet mir Eure Hand verstatten.“

      Und da ich mich erhob, drücket mich der Junker Strör von Gellwitz sanft nieder.

      „O, verbleibet in Eurer beliebigen Situation! Ich muß Pardon erbitten, daß ich ohn Euer Permission gelauscht … Ihr erweckt mir fast ein Desir nach Schusterei. – So Ihr wünscht, meine Bibliothek steht Euch offen.“

      Ich danket ihm sehr.

      „Ihr solltet aber hier nit frieren, Mäter Posewang. Die Affär,“ und er wies hinüber gen Elbing, „ist nimmer so interessant, als sie Comte de Danoub diesen Abend zu machen verstanden hätt. – Kommt mit mir, ich will Euch durch die Torwacht bringen.“

      Also geleitet mich der Junker freundlich, half mir die steile Steigen nieder und reichet mir dabei huldvollst die Hand, obwohl er nit jünger ist als ich.

      Fand deine liebe Margret noch beim Licht. War froh, das verängstiget Frauenzimmer, da es höret: der Rat wöll alls wieder auf gleich bringen, die Dom-Insul freilich seie sogut als in der Schweden Hand. Sie setzet mir ein Mus für und ging zu den Kindlein schlafen, dann sie war fast müd. Was kunnt ihr auch an der Dom-Insul gelegen sein!

      Mir war der Schlaf fern. Schlich hinüber in unsre chimische Küchel, setzet mich in den großen Kissenstuhl am Pulte und dacht bei mir, daß wir beid, du und ich, so viel Jahr neben einander geschustert und du dereinst kaum zu sagen wüßtest, was ich in Herzenstiefen getragen. Dann eine kurze Weil, und ich werd nimmer bei dir sein. Ich habe mein reichlich Stück Arbeit tan und mein Leben nit gespart. So möcht mein Andenken alsbald arm und ärmer werden und nichts davon bleiben, dann ein Achselzucken: ,Ja, er ist ein Schuster gewest, und der vielgerühmt Meister Jakob Böhme hat eine Zeitlang neben ihm geschustert."

      Hab euch alle treu geliebet, sunderlich dich, mein Basil, und dann sollet ich gar verklungen sein und in des kleinen Joachim Gemüt vielleicht vor alle Zeit verstummen? So dacht ich in der Stille der chimischen Küchel bei mir: Ist ein Leben so gering? Hat nit da und dort ein schönes Licht gebrannt in allen meinen Jahren, das auch eines Enkelsohnes Brust kunnt erleuchten? Nit also, daß meines Lebens Lichtkranz sunderlich seie und merkwürdig – er brennt abseits vom Hochaltar. Aber gleichwohl ist ein jeds Lichtlein aus Freud und Kümmernis gezogen. Und ob ich nun gleich weiß, daß jeder Mann sein eigner Wachszieher sein muß, so fällt doch der Apfel nit weit vom Stamm. Und meine Art und Folge kunnt in künftigen Nächten je und je einen Trost aus meinem Licht gewinnen. Dann auch ich hab mannigsmal geglaubt, es brenn die Höll unter meinen Füßen und ihre Flammen müsseten mich verzehren, war aber nur das Feuer, bei dem mein Wachs ist lauter gesotten.

      Also beschloß ich meines Lebens Krön vor dir zu entblätteren, wie einem herbstlichen Baum geziemt. O, wie sie fallen die Blätter alle!

      Wäret einst grün und derselb Wind, so euch vom Ast fegt, flüsterte um euch wie ein süßer Buhl, daß ihr vor Wonne bebtet! Ihr schaukelt im Falle noch eine Weil her und hin, als trügen euch die Träum. Und dann liegt ihr still auf den toten Brüdern, selber nur ein Bett und Estrich vor die andern, so noch am Aste hangen eine Zeitlang. Und dann kummt der Schnee, der deckt alls zu.

      Mußt eine Wochen verrinnen seither.

      Drei Nächt deiner Wache sein dahingezogen, vor mir ist ein leeres Blatt gelegen und ein blütenweißer Kiel, ohn Tintenmakel, kein Schwanenfittich kunnt einen reineren geben. Mein Fäßlein war bis an den Rand mit dem dunklen Safte gefüllt, der wunderlich ist wie der erst Wille Gottes. Ist doch ein jeder Tropf darinnen gleich einem Cosmus in seim Urgrund und Chaos. Der Möglichkeiten so in ihm ruhen – endlos viel; ruhen nirgend mehr. Der Tropf hängt sich an den Kiel, ein Federzug, das Blatt ist kein Blatt mehr. Es hat sein elementarisch Wesen entäußert, sein papieren Eigentum verlorn, ist hörig worden und ein Knecht. Ihm ist eine Stimm auferlegt. Die muß es tragen. Und gleichet darin ganz dem irdischen Menschen, der seine Sinne tragen muß, damit Gott und der Welt Herre schreiben. Und ergreifst du das gezeichnet Blatt, so erfüllen dich die Zeichen, was liegt dir am Papier. Also tritt ein Fremdling in dein Gadem, was suchst du bei ihm? Fürderst die Zeichen. Was liegt dir dran, ob er gegessen oder getrunken hab, ob er von Prag oder Dräsn kummt? (Wird aber die letzt Trumpet erschallen und alle Wesen herfürlocken, es werden die Zeichen sein, so auf ihnen ruhen, die werden alsdann sprechen. Drum eben hab nit Angst, mein Sohn Basil: Gott wird das Papier nit ansehn, so es gleich grau und grobkörnicht war, Gott siehet nicht den Leib, noch die Erdenkrum, die an ihm hanget. Sündern allein was aus Not und Freud, aus Irrtum und Erkenntnis, was aus Laster und Reinheit vor Zeichen ist dir erwachsen. Das bleibt in Zeit und Ewigkeit dein Teil und ist die Stimm, so dir vom Leben auferlegt ward, ist die Entäußerung deines elementarischen Wesens in ihm selbst. – Darum mißtraue denen Auctoribus und Scribenten, die nit acht haben auf den schwarzen Tropf, so ihr Kiel aus dem Fäßlein zeucht, die desgleichen vermeinen, das Papier seie geduldig. Dann wer die Mittel vor nichts achtet, der schätzet auch die Zeichen gering. Die Zeichen aber schreien nach dem Gewissen.)

      Saß in den dreien Nächten harrend vor dem Pult. Das unbeschrieben Blatt wuchs vor meinen Augen in die Weite, umfloß mich wie ein erstaunlichs Gefild, darauf ein großer Himmel ruhet. Das Gefild war von reifen Ähren übergüldt. Indem ich meinen Blick schweifen ließ, erhob sich ein Sturm. Das wogend Rauschen schwoll allumher, und aus den Wogentalen tauchten Stein um Stein: ein Totenacker, über dem das Korn wallt. Durch den Sturm aber ging die gewaltig Sehnsucht, bitter, heftig, voll drängender Not, bis sich der quellend Wunsch an ihm selbst entzündt und zum Wortblitz erstarret. Der Blitz stand über dem weiten, brausenden Feld, und aus ihm rief der Donner, daß es unter meinen Füßen wanket und ich vom Fieber geritten ward. „Erwachet!“, allso riefs. Barst Stein um Stein. Daraus hob sich meines Lebens Näh und Fern und schrie mich an: „Joachim, sieh mich! Joachim, nun zittere du!“

      Endlos tobet das Gedräng. Sie stampfeten die gülden Saat nieder unter ihrem wilden Getrampel, stürmeten also herbei, all meines Lebens Gestalten aus Näh und Fern, in bunten Kasack en, in grauen Säcken, in schwarzen Talaren. Hoben ihre Faust wider mich auf und brülleten: „Hast midi schmählich verleugnet! Hast mich aufn Mist geworfen! Hast mir ein Luglarven umtan!“ Waren ihrer wenig, so mich freundlich grüßten und mir zuwinkten! Ich stand inmitten: ein Feldhauptmann, den die losen, rottierend Haufen um Sold anschreien, er aber weiß, seine Truhen sein hohl wie Pauken. Wußt mir nit Rat wider mein eigen Leben, das nah und näher brausete. Und wie die Schwalb vor dem Wetter duckend über den Boden huscht, so tauchten meine gespreizten