Der kleine, asketisch wirkende Jesuitenpater, dessen Spitzbart das flache Kinn verdeckt und nervös neben mir steht, mischt sich ein und meint angewidert: „Da seht Ihr es, Kapitän Drake, was die wilden Heiden ausmacht: Arroganz und Falschheit. Vor uns, den Missionaren, liegt noch ein großes Stück Arbeit, bis wir diese Kinder Gottes dem wahren christlichen Glauben, dem römisch-katholischen natürlich, zugeführt haben. Mit Fleiß und Strenge werden wir das erhabene Ziel Roms erreichen. Afrika und Amerika werden sicher katholisch . . . ist das nicht wunderbar? Außerdem hat unser noch junger Orden, dessen Name Societas Jesu lautet, im Grunde nichts gegen den Einsatz von schwarzen Sklaven, eben auch in unseren inzwischen überall in der Welt gegründeten Ordenshäusern. Im Gegenteil.“
Ich sehe in den kalten Augen des etwa vierzigjährigen Jesuiten, der dem neuen, militant geführten Orden angehört - Chef ist ein Generaloberer - der im Jahre 1534 von Ignatius von Loyola gegründet worden war, eine Spur von Übereifer. Fra Julius Borromäus, so nennt er sich, ist ein widerlicher Fanatiker, dem ich – ich bereue es schon jetzt – gestattet habe, die Reise mit den neuen Sklaven auf meinem Schiff nach Amerika zu begleiten. Er stamme als einer von mehreren Brüdern aus einem irischen Adelsgeschlecht in der Nähe von Rockfleet, so antwortete er auf meine Frage nach seiner Herkunft. Was treibt diesen Mann in die neue Welt? Er wolle, so erklärte er mir vor ein paar Tagen in einem ersten Gespräch, in der Neuen Welt das Wort des Salvators Jesu in einer Art Gegenreformation – also gegen Martinus Luther - den Ungläubigen predigen: „Und die christlichen Gebote und Sitten mit den Regeln eines absoluten Gehorsams abverlangen.“ Und im Übrigen sei der atlantische Sklavenhandel inzwischen seit 1500 üblich: Afrikaner würden in Afrika gekauft, mit Schiffen von Afrika nach Amerika – hier besonders zunächst zu den Inseln in der Karibik - transportiert und dort weiterverkauft. Die meisten dieser Schiffe befänden sich im Besitz von christlichen Europäern. Und überhaupt: In der Antike seien Sklaven gar nicht wegzudenken gewesen: „Von der Antike bis zur Gegenwart haben Menschen in unfreien Lebens- und Arbeitsverhältnissen gelebt. Sämtliche Hochkulturen kannten die Sklaverei. Und auch heute ist die Sklaverei wieder in allen Teilen der Erde verbreitet. Sie breitet sich aus wie eine Epidemie – zu unserem Wohl!“
Mit lauter Stimme meint dieser „Christ“ weiter: „Kapitän Drake, da die einheimische Bevölkerung auf den Inseln der Karibik und in Mittel- und Südamerika bereits kurz nach Beginn der Kolonisierung durch die Spanier so gut wie ausgerottet war, benötigen die neuen Kolonialherren andere Arbeitskräfte für ihre Plantagen. Sie fanden und finden sie in den Bewohnern Westafrikas. Tausende Afrikanische und asiatische Kulis wurden lebend nach Amerika verschleppt. Tausende werden noch folgen. Ich gebe zu, die Brutalität dieses Handels stand der Grausamkeit des Plantagenalltags in nichts nach. In den Augen der Europäer hatten Afrikaner gegenüber den verbliebenen Indianern einen erheblichen Vorzug, der ihre Versklavung rechtfertigte. Letztere waren zum Christentum bekehrt worden, die Afrikaner aber waren und sind, wie wir ja hier und heute erleben, Heiden. Dumme, freche, aber starke Heiden. Gut für die Arbeit. Beten und arbeiten – das ist ihr Schicksal in der Neuen Welt! Als Heiden haben sie keine Religion, jedenfalls die falsche, sie besitzen deshalb auch keine Moral, keine Kultur, keine Menschlichkeit. Weil sie daher ihrer Natur nach wie Tiere sind, kann man sie auch auf den Zuckerrohr-, Tabak- und Baumwollplantagen wie Tiere ausbeuten. Um ihre Herrschaft über die Feld- und Haussklaven zu installieren und aufrechtzuerhalten, versuchen die Gutsherren, neu auf die Inseln gebrachte Afrikaner systematisch ihrer persönlichen, sozialen und kulturellen Identität zu berauben. Sklaven erhalten von ihren Herren neue, oft demütigende Namen wie „Nigger“, „Miss Piggy“, „Kaffer“, „Snowman“ oder „Bimbo“. Sie dürfen keine Ehen schließen, keine Familien gründen. Es ist ihnen nicht erlaubt, sich zu versammeln, ihre Religion auszuüben, zu trommeln und zu tanzen. Sklaven, die miteinander verwandt sind, der gleichen ethnischen Gruppe angehören oder dieselbe Muttersprache haben, werden voneinander getrennt. Sie sind, wie es so schön heißt, kaum menschliche, sondern auch sozial tote, nur für die Arbeit in Diensten der weißen Herrenrasse geborene Wesen.“
Die letzten Worte spricht der Jesuit mit lauter Stimme, seine Augen glühen vor fanatischem Eifer, Speichel läuft ihm das Kinn herunter. Ich denke: ein Verrückter! John McFinn meint leise zu mir: „Ich erwürge diesen Kerl heute Nacht. Der wird unser Schiff niemals betreten.“
Natürlich kenne ich Schilderungen über die brutale Ausbeutung der Sklaven durch den weißen Mann, die sexuellen Übergriffe auf die schwarzen Mädchen und Frauen, das Foltern und sadistische Gehabe der Farmer. Ich heiße das nicht gut, im Gegensatz zu diesem Pater. John hat recht: Er darf die neue Welt nicht betreten, beschließe ich insgeheim.
Ich sage verärgert: „Ihr müsst geisteskrank sein. Ist das noch ein christliches Gedankengut? Ihr seid brutaler als jeder spanische Eroberer. Männer wie Ihr machen Amerika zu einem Kontinent der Gesetzlosen – unter dem Mantel einer christlichen Mission. Das ist absurd und verwerflich. Ich verachte Euch und Eure Ideen.“
„Und Ihr seid ein kleiner Sklavenhändler, Kapitän Drake, nicht besser als ein Sklavenbesitzer. Was wollt Ihr denn schon an diesem System ändern? Dafür seid Ihr zu klein und unbedeutend.“
Recht hat er, denke ich. Doch ich habe keine Lust, mich mit dem Jesuiten und seinem missionarischen Eifer auseinanderzusetzen – dies ist nämlich meine letzte Reise als Sklavenhändler, der seine Ware bisher erfolgreich am Nigerdelta in Empfang nahm. Der Grund: Die Spanier wollen uns Engländern nicht mehr erlauben, Handel in den von ihnen beherrschten Häfen zu treiben. Damit wäre mein Geschäft beendet, mein Handel pleite. Ich habe neue Pläne: Nach meiner Rückkehr trete ich in die Dienste meines älteren Vetters, des königlichen Kapitäns und Freibeuters John Hawkins.
Auf meine Frage, woher der Jesuit stamme, weiß van Breukelen keine präzise Antwort. Er zuckt seine breiten Schultern: „Vom Himmel gefallen oder aus der Hölle emporgestiegen. Er war eines Tages einfach da. Ein spanisches Schiff spuckte ihn an Land. Das war vor gut drei Wochen. Als ich ihm von Eurem Kommen berichtete, beschloss er, Euch nach Amerika zu begleiten.“
Ich antworte nicht. Ich denke an meine Zukunft – vom Sklavenhändler zum Kapitän der Königin. Ob sie mir den Menschenhandel übel nimmt? Nach den Worten meines Vetters John sei Elisabeth sehr modern, sie blicke immer nach vorn, sie verachte Schmeichler und Speichellecker. Obwohl ich sie noch nicht kenne, entwickele ich eine große Sympathie für die Königin. Wie wird sie mich behandeln? John Hawkins spricht nur in bewundernden Worten von ihr. Sie möge ihn, erzählte er mir, er sei einer ihrer erfolgreichsten Freibeuter, einer der berühmt-berüchtigten Korsaren. Ich möchte einer von ihnen werden! Nur noch diese Fahrt, dann habe ich wieder Geld genug, um mich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Ich brauche nur statt meines Warenschiffes ein richtiges Kriegsschiff, eine mutige Mannschaft und Fortune. Mich locken die Ferne, fremde Welten und Amerika.
Ich bin neugierig, wie die Königin wohl aussehen mag. Man sagt, sie sei keine große Schönheit im üblichen Sinn. Blass, sommersprossig, mit roten Haaren und von eher dürrer Gestalt. Sie habe kaum Busen und sei kein Cello aus Fleisch und Blut. Ihr Verstand sei jedoch zu bewundern, ihre Bildung und ihr Charme würden die kleinen Schönheitsfehler aufwiegen. Elisabeth regiere unbeirrt wie ein Mann mit starker Hand. Bald werde ich es wissen. Nur noch diese eine verdammte Reise . . . dann beginnt mein neues Leben.
Der junge Schwarze, der den Disput zwischen dem Jesuiten und mir verfolgt hat, nimmt das kleine Mädchen behutsam auf den Arm. Sein Gesicht ist voll von Hass. Das Bild rührt mich, ich weiß nicht einmal warum, aber ich beschließe, dem Sklaven und seiner Schwester die Freiheit zu schenken – vielleicht eine Reaktion auf mein schlechtes Gewissen, mehrere Jahre erfolgreich als Sklavenhändler unterwegs gewesen zu sein. Dabei habe ich die menschliche Fracht stets sehr menschlich behandelt: Es gab bei mir nie die Peitsche, die Sklaven erhielten Nahrung und Wasser. Denn je besser ihr Zustand nach