Wie sieht das in Zahlen aus?
Eichhorst: Zwar zeigen unsere Studien, dass immer noch 55 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland unbefristet in Vollzeit arbeiten und dass diese Zahl auch in den letzten Jahren gar nicht stark zurückgegangen ist. Auch gibt es insgesamt mehr Arbeitsplätze als noch vor fünf oder zehn Jahren. Wir haben also einen größeren Arbeitsmarkt als früher, auch viele Frauen und frühere Arbeitslose sind neu in diesen Markt eingetreten. Wir sehen – bei einem relativ stabilen Kern – zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich Selbstständigkeit, Zeitarbeit und Teilzeit. Zugleich sind die Übergangsphasen am Berufseinstieg eher länger geworden. Auch Höherqualifizierte machen heute mehr Volontariate, Praktika und zusätzliche Qualifikationsphasen, viele von ihnen haben zunächst eine befristete Beschäftigung. Das ist für die meisten bereits ein normales Einstiegsverhältnis, sozusagen eine verlängerte Probezeit.
Wird bald alles wieder so werden wie vor der Krise?
Eichhorst: Nein. Die Lasten der Anpassung werden nicht nur von den Randbelegschaften, etwa den Zeitarbeitern, und den Berufseinsteigern, sondern auch vom Kernarbeitsmarkt getragen. Der klassische Opel-Arbeiter wird über kurz oder lang mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Arbeitsplatz verlieren, auch die Beschäftigten bei Unternehmen wie Quelle, Schaeffler oder Märklin. Jobs, die lange Zeit für krisensicher gehalten wurden, brechen jetzt weg und werden in der Größenordnung, wie wir sie bislang gewohnt waren, nicht wieder entstehen. Der Strukturwandel wird durch die Krise also eher beschleunigt. Im Versandhandel oder im klassischen verarbeitenden Gewerbe läuft derzeit ein starker Schrumpfungsprozess ab. Die Autoindustrie war ein Sektor, der in Deutschland relativ stark ausgeprägt war und sich jetzt unter großen Schmerzen verkleinern muss. Ähnliches sehen wir im Bereich der Finanzdienstleistungen. Das bedeutet für die Arbeitnehmer eine größere Notwendigkeit, auf neue Tätigkeitsfelder auszuweichen, auch stärker in den Dienstleistungssektor zu wechseln.
Machen sich mehr Deutsche selbstständig als früher?
Eichhorst: Diesen Trend kann man bestätigen. Deutschland liegt da aufgrund der Tradition der sozial abgesicherten und auf Dauer angelegten Beschäftigungsverhältnisse und der weitverbreiteten Sehnsucht nach einer beamtenmäßigen Anstellung zurück gegenüber andern Staaten. Es war auch bislang aufgrund der relativ guten Verfassung des Arbeitsmarktes nicht unbedingt nötig, sich darüber Gedanken zu machen. In letzter Zeit ist das Selbstständigendasein bei uns aber rehabilitiert und auch öffentlich gefördert worden – Stichwort: Ich-AG. Gerade im Bereich Kreativwirtschaft und Medien ist das eines der dominanten Modelle. Und auf jeden Fall sind Großstädte wie Berlin, Köln, Hamburg oder München eine Art Laboratorium, wo solche Trends früher, kumuliert und zugespitzt, beobachtet werden können.
Steckt in all dem auch eine Chance? Historisch sind viele große Marken und Produkte in Krisen entstanden ...
Eichhorst: Das sehe ich auch so. Aus der Not heraus, vielleicht auch aus der Gelegenheit, werden gerade jetzt wahrscheinlich Geschäftsideen entwickelt und Unternehmen gegründet, die wir vielleicht erst in zehn Jahren kennen werden. Ich bezweifele nur ein bisschen, ob Deutschland da immer genug Humus bietet, genügend Anknüpfungspunkte, um so etwas entstehen zu lassen.
Was fehlt dazu?
Eichhorst: Vor allem eine ausreichende Förderung im Bereich der Existenzgründung. Und der Bereich Ausbildung vernachlässigt beispielsweise die Entwicklung tragfähiger Ideen aus den Hochschulen heraus ...
... wie das in den USA üblich ist ...
Eichhorst: ... genau. In den Konjunkturpaketen der Politik sehen wir aber eher konservativ angelegte Dinge wie Abwrackprämie, Straßenbau oder Kurzarbeit – alles Dinge, die den Strukturwandel eher verlangsamen sollen.
Was sollte die Politik stattdessen konkret tun?
Eichhorst: Mehr Geld ausgeben, um kleineren Unternehmen auf die Sprünge zu helfen, die jetzt entstehen. Damit sind mehr Multiplikatoreffekte positiver Art verbunden als damit, Unternehmen zu finanzieren, die über kurz oder lang schrumpfen oder untergehen werden.
In welche Bereiche sollte Geld fließen?
Eichhorst: Energieeffizienz, intelligente Gebäude, auch neue Formen der Energiegewinnung. Fortschrittliche Lösungskonzepte im Bereich Verkehr. Bildung, Forschung ... und dann vor allem innovative Formen im Gesundheits- und Pflegebereich – das ist ja auch so ein Feld, das in Deutschland vorsintflutlich verwaltet wird, aber riesige Innovations- und Geschäftspotenziale bietet.
Wie Digital Natives die Arbeitswelt verändern
Überall in Deutschland beobachten Experten den aktuellen grundlegenden Wandel der Berufswelt. Einer von ihnen ist Alexander Greisle, der früher beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation gearbeitet hat und heute mit seinem eigenen Unternehmen Kunden von der EU über die Bayer AG bis zur Allianz bei der Konzeption und Umsetzung von neuen Management- und Bürokonzepten berät. Greisle publiziert regelmäßig, wie er selbst sagt, „über die Trends der Arbeitswelt, gibt Tipps für den Information Worker und beschäftigt sich mit der Informationsgesellschaft”.
Der vielleicht wichtigste Trend, den nicht nur er dabei ausgemacht hat, ist die Art und Weise, wie die sogenannten „Digital Natives“ Arbeit neu definieren. Diese mit Internet und Handy aufgewachsene Generation wird derzeit von Marktforschern, Wissenschaftlern und Personalern umworben wie keine andere. Wie sie arbeiten und kommunizieren, was sie von Chefs und Kollegen erwarten, ob sie überhaupt noch ins Büro gehen, welche Technologien sie dann dort vorfinden wollen und welche Produkte sie interessieren – all das wird derzeit in einer betäubenden Anzahl von Kongressen, Workshops und Camps diskutiert.
Unternehmensberater Greisle hat keine Berührungsängste, hat viele Mitglieder dieser Generation interviewt und dabei herausgefunden, wie der neue Berufstätige tickt. Digital Natives, so die Grundannahme, integrieren technische Möglichkeiten wie selbstverständlich in ihren Lebensalltag: „Sie kämen niemals auf die Idee, das Internet als irgendein mehr oder weniger seltsames ‚Add-on zum realen Leben‘ zu sehen“, so Greisle: „Sie finden immer noch kursierende Umfragen über die Nutzungshäufigkeit des Internets reichlich abstrus.“
Die von ihnen täglich praktizierten vielfältigen Möglichkeiten der Kommunikation und Zusammenarbeit fügen sich auch in ihren privaten Arbeitsalltag wie selbstverständlich ein. „Das nun alleine unter Software- und Technikgesichtspunkten zu sehen, springt viel zu kurz“, so Greisle: „Es geht hier um eine Veränderung der Arbeitskultur.“ Er nennt die folgenden zentralen Punkte:
• Hochgradig vernetztes Arbeiten im Tagesgeschäft, sowohl im Haus als auch extern. Räumliche und zeitliche Grenzen verschwimmen
• Kollaborative Werkzeuge gehören zum Alltag, vom Chat bis hin zum Weboffice
• Ausgeprägte soziale Netzwerke, die – obwohl oft ausschließlich virtuell – einen höheren Vertrauensbonus haben als unbekannte Kollegen
• Suchen statt merken. Die Informationsdichte ist viel zu hoch, um sich alles zu merken. Stattdessen wird gesucht und gefunden
• Probieren statt studieren. Hemmungen gegenüber neuen Möglichkeiten sind gering, Grenzen werden infrage gestellt
• Zusammentragen von Lösungskomponenten, statt das Rad neu zu erfinden
• Hinterfragen und Nachrecherchieren von Empfehlungen
• Schnelle, spontane und persönliche Kommunikation statt lang geplanter Meetings
• Always-on kombiniert mit einer flexiblen Zeitauffassung, um das Leben in Balance zu halten
• Multitasking und Kommunikation auf mehreren Kanälen gleichzeitig