6 Nachkriegsdeutschland
Nachdem die Länder der drei westlichen Besatzungszonen durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 zur Bundesrepublik Deutschland zusammen geführt worden waren, entstand am 07. Oktober 1949 auch in der sowjetischen Besatzungszone ein – zumindest offiziell – selbständiger Staat, die Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR. Den Begriff „Demokratie“ konnte man bei diesem Staat allerdings nur dem Namen entnehmen. In Wirklichkeit handelte es sich um einen realsozialistischen Staat mit totalitärer Ausrichtung. Die erste Verfassung der DDR enthielt zwar noch bürgerlich demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien, wie die Gewaltenteilung sowie Grundrechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung oder die Versammlungsfreiheit, föderaler Aufbau, wie auch die Pressefreiheit und die Auswanderungsfreiheit sowie eine Unabhängigkeit der Gerichte und Rechtspflege. Tatsächlich wurden diese Rechte aber nicht oder nur stark eingeschränkt gewährt. Wesentlich für die politische Struktur der DDR war der festgeschriebene Führungsanspruch der SED, der oppositionelle Parteien und damit freie Wahlen nicht zuließ. Zwar waren neben der SED noch andere Parteien zugelassen wie zum Beispiel die „Ost-CDU“, aber es gab nur eine wählbare Liste und auf der wurden oppositionelle Parteien nicht aufgenommen. Bei diesem Staat, in dem die Opposition keine Chance hatte, in das Parlament zu gelangen und an dessen Spitze ein totalitär auftretenden Staatspräsident Walter Ulbricht agierte, waren nur wenige demokratische Elemente erkennbar. Abgesehen davon, dass politisch wichtige Entscheidungen von der Sowjetunion getroffen wurden, ähnelten Staatsform und Staatsgewalt doch sehr dem politischen System im diktatorischen Nazi-Deutschland von 1933 bis 1945.
Spätestens nach der Verwaltungsreform im Jahr 1952 wurden die anfänglich enthaltenen föderalen Elemente im Staatsaufbau aufgegeben. Der Aufbau des Sozialismus nach den Vorstellungen der SED wurde zunehmend autoritär und zentralistisch durchgeführt. Diese Zielsetzung und eine Forcierung der Schwerindustrie hatten einen Mangel an Konsumgütern und eine rückläufige Wirtschaftsentwicklung zur Folge. In der Bevölkerung der DDR machte sich Unmut breit und die Abwanderungen in Richtung Westdeutschland nahmen deutlich zu. Im Mai 1953 legte die Regierung eine Arbeitsnormerhöhung um 10,3 Prozent fest, ohne entsprechenden Lohnausgleich. Die Ostberliner Arbeiter reagierten mit Streiks auf den Großbaustellen und marschierten zum Regierungssitz der SED, dem Haus der Ministerien, um dort ihren Protest kundzutun. Bald stand nicht nur die Forderung nach einer Absenkung der Arbeitsnorm im Mittelpunkt der Proteste, sondern es wurde die Forderung nach freien Wahlen und der Absetzung Ulbrichts laut. Nicht zuletzt durch die Berichterstattung der westdeutschen Rundfunksender breitete sich die Protestwelle schnell auf die gesamte Republik aus und erfasste mehr als eine halbe Million Menschen, die ihrem Protest gegen die Regierung freien Lauf ließen. Im Laufe der Streikbewegung wurden Streikkomitees gebildet, Parteibüros gestürmt, Gefangene befreit und Polizisten entwaffnet. Am 17. Juni 1953 verhängte der sowjetische Stadtkommandant den Ausnahmezustand über Ostberlin. Sowjetische Panzer fuhren auf und richteten ihre Kanonenrohre auf die unbewaffnete Menschenmenge.
Gemeinsam mit dem sowjetischen Militär schlug die kasernierte Volkspolizei den Aufstand schließlich gewaltsam nieder. Zahlreiche Menschen wurden dabei getötet oder verletzt. DDR-Gerichte verhängten nach dem Aufstand gegen 1.400 Personen Freiheitsstrafen und diverse Todesstrafen. Ungefähr 20 Angehörige der Volkspolizei und 40 Soldaten der Roten Armee wurden standrechtlich erschossen, weil sie sich geweigert hatten, auf die wehrlose Bevölkerung zu schießen. Die Bundesrepublik und die Westalliierten reagierten auf die dramatischen Ereignisse zurückhaltend und griffen nicht ein, insbesondere weil sie keine Eskalation des Kalten Krieges riskieren wollten. Der 17. Juni aber sollte ab 1963 in Gedenken an die Geschehnisse in Ostberlin und der DDR für die Bundesrepublik als „Tag der Deutschen Einheit“ ein gesetzlicher Feiertag werden. Soweit ich mich erinnern kann, schien an diesem Tag immer die Sonne. Ein Schulfreund von mir wurde auf den Tag genau ein Jahr vor der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstands geboren. Sein Geburtstag wurde regelmäßig im Garten seiner Eltern gefeiert und wir konnten uns bei schönstem Sonnenschein über frische Erdbeeren mit Schlagsahne freuen. Und auch später, als ich zusammen mit Kollegen der Betriebssportgemeinschaft meiner Arbeitsstelle jedes Jahr am 17. Juni an die Ostsee fuhr, schien regelmäßig die Sonne. Seit dem 03. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, ist dieser Tag Deutschlands Nationalfeiertag und nicht mehr der 17. Juni. Doch Anfang Oktober scheint die Sonne in der Regel nicht mehr so schön, wie im Juni. Dies ist eine rein wetterkundliche Feststellung.
Und was passierte sonst noch so in Deutschland und der Welt, Anfang der 50er Jahre? Die Lebensmittelkarten waren nach der Währungsreform 1948 abgeschafft worden und auch der Schwarzhandel in der Bundesrepublik hatte an Bedeutung verloren. Stattdessen amüsierten sich die Deutschen über den Lloyd, einem Zweitakter auf dem Automobilmarkt, der mit seinen zehn PS an guten Tagen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern über Deutschlands Landstraßen „raste“ - zumindest bergab. Man durfte allerdings keine allzu umfangreiche Leibesfülle haben, um sich in den „Leukoplastbomber“ zu zwängen, wie das Auto aufgrund seiner kunstlederbezogenen Sperrholz-Karosserie genannt wurde.
Während der US-Hochkommissar McCloy 1950 mehr Souveränität für Deutschland forderte und sich für eine „Europa-Armee“ mit Beteiligung deutscher Soldaten stark machte, trat der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann aus Protest gegen die von Adenauer geplante Wiederbewaffnung der Bundesrepublik von seinem Amt als Innenminister zurück. Die deutschen Kinobesucher freuten sich 1951 über Filme wie „Grün ist die Heide“ mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack, sowie Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“ und waren begeistert vom italienischen Fernandel-Film „Don Camillo und Peppone“, Filme, die noch heute häufig im Fernsehen gezeigt werden. Und es gab einen echten Kino-Skandal in Deutschland. In dem Film „Die Sünderin“ war die junge Hildegard Knef für ein paar Sekunden nackt zu sehen. Eine Szene, die heutzutage höchstens noch im prüden Amerika für Gesprächsstoff sorgen würde. Im fernen Teheran sorgte eine Traumhochzeit für Schlagzeilen in der Regenbogenpresse. Der Schah von Persien hatte die bildhübsche Soraya geheiratet, deren Mutter Deutsche war und aus Berlin stammte. Die Medienberichte über die Scheidung, die 1958 vom Schah ausging, weil die Ehe kinderlos geblieben war, habe ich dann sogar schon bewusst mitbekommen.
Im Laufe des 2. Weltkrieges hatte Großbritannien die Insel Helgoland eingenommen. Der Versuch, das Eiland zu sprengen und im Meer zu versenken, endete zum Glück in einem Desaster. Im Jahr 1952 wurde Helgoland von den Briten an Deutschland zurück gegeben. Am Nikolaustag dieses Jahres bin ich zur Welt gekommen, ohne dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung hiervon Notiz genommen hat. Von mehr Interesse war da sicherlich ein Ereignis, dass sich nur wenig später ganz in der Nähe meines Heimatortes zutrug. Am 1. Weihnachtstag wurde aus Hamburg unter dem Titel „Stille Nacht, heilige Nacht“ die allererste Fernsehsendung in Deutschland ausgestrahlt. Nun ja, so sehr viele Menschen haben dies sicherlich auch nicht so richtig verfolgen können, denn es gab zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 4.000 Empfangsgeräte. Das größte Spektakel dieses Jahres aber spielte sich in Köln ab. Boxen gehört nicht unbedingt zu den Sportarten, die mich sonderlich faszinieren, denn ich kann mich nur wenig daran begeistern, wenn sich Menschen gegenseitig schlagen, ob auf der Straße, in einem Lokal oder im Ring. Aber bei der Nummer, die sich damals in der wunderschönen Stadt am Rhein zugetragen hat, wäre ich gerne dabei gewesen. Der Boxer Peter Müller, den alle nur „De Aap“ nannten, schlug nicht seinen Gegner K.o., sondern den Ringrichter Pippow, weil