Dabei nimmt er auch ohne zu murren die oft katastrophalen Zustände an Bord in Kauf, muß er doch froh und glücklich sein, daß ihm jemand Lohn und Brot gibt. Wobei ihm das Brot in zunehmendem Maße von philippinischen sogenannten "Schiffsköchen" in den Mund geschoben wird.
Dabei hat er brav alles zu schlucken, was dieser ihm als Köstlichkeit serviert. Der Seemann fragt sich längst nicht mehr, bei wem diese "Herren der Kombüse" ihr Handwerk erlernt haben. Er wundert sich nicht einmal mehr, wird ihm während einer Woche - an nur sieben Tagen - 28mal Bratwurst vorgesetzt, die aber immerhin in allen Variationen und zu den verschiedensten Tageszeiten. Der Schimmelpilz an der Toastscheibe kann ihm den Appetit nicht verderben, das auf ihr plazierte Spiegelei verdeckt ihn gnädig. Sehnsüchtig denkt der Seemann an Daheim, an die Kochkünste seiner Ehefrau (selbst wenn die von eher bescheidenen Ausmaßen sind!).
Aber er muß weiter auf seinem Schiff ausharren, gilt es doch mit seiner Hände Arbeit eine Familie zu versorgen. Denn auch Seeleute haben eine Familie, ein Umstand, den sich die meisten Landmenschen gar nicht vorzustellen vermögen. Auch ein Seemann ist ein Ehemann, ist ein Vater, auf den seine Kinder warten und ihn oft genug schmerzlich vermissen. Aber genau wie ihr Vater müssen sie sich an die langen Trennungen gewöhnen und sich mit der kurzen gemeinsamen Zeit begnügen. Wobei man erwähnen muß, daß sich heutzutage die "Landzeiten" beträchtlich verlängern, während denen ein Seemann auf der Suche nach seinem nächsten Schiff ist. Kann es sein, daß es da auch Stunden gibt, in denen er verzweifelt, deprimiert und hoffnungslos ist?
Gott sei Dank hat er eine Ehefrau, die auch seinetwegen ihren Beruf nie aufgegeben hat (das zu wagen halte ich in der Zeit der unchristlichen Seefahrt für äußerst bedenklich) und die etwas zum Familieneinkommen beisteuern kann.
Warum ist eine Frau eigentlich so verrückt und heiratet einen Seemann? Was meinen Sie, wie oft einem die Frage gestellt wird! Ganz einfach - würde ich sagen -, ganz einfach aus Liebe. Meint man doch zu wissen, was da auf einen als frischgebackene Seemannsfrau so alles zukommt.
Man meint es zu wissen in seiner grenzenlosen Naivität, und mit grenzenlosem Vertrauen in eine problemlose Zukunft stolpert man in eben diese hinein ...
Wir beide - mein geliebter Seemann und ich - stolperten sogar mit einem Gefäß der städtischen Abfallbeseitigung in Händen in unser Leben als Ehemann und Ehefrau. Darüber aber werde ich in meinem zweiten Buch berichten (sollte denn jemals ein solches erscheinen und der Verlag sich dazu durchringen können, noch einmal Geld in mich zu investieren).
Aber als brave Ehefrau befolge ich nur die Anweisungen meines Gemahls, der da kategorisch bestimmte: "Ehe du mir weiterhin den Kopf vollquasselst, setz dich in Gottes Namen endlich hin und versuche etwas aufs Papier zu bringen. Vielleicht finden sich ja 1,2 Leser für dein Geschreibsel ..."
Im Vertrauen: Auch nach diesem überaus ermunternden Aufruf liebe ich diesen Herrn heiß und innig. Aber das muß man ihm ja nicht ständig auf die Nase binden. Und außerdem, ohne seine Existenz hätte ich nicht die geringste Veranlassung dazu gehabt, mir das alles von der Seele zu schreiben.
Sofern Sie bis zur letzten Seite durchhalten, werden Sie sehen, daß es auch bei der Seefahrt in der heutigen Zeit noch unvergeßliche, wunderschöne Augenblicke gibt. Lichtblicke, die für kurze Zeit all das Negative verblassen lassen. Für jeden "ollen Seebären" wohl wehmütige Erinnerungen an die ersten Jahre seiner Fahrenszeit.
Momente, von denen man weiß, daß man sie so nie mehr erleben wird. Die sollte man im Herzen festhalten, ganz tief drinnen ...
2. Kapitel
Du besuchst mich doch in Antwerpen?
Aber sicher doch...
Mittwoch, 7. August 1991, 15.00 Uhr.
Nach tagelangem Warten endlich der Anruf meines Ehemannes von Bord der "Stephanie". Einlaufen Donnerstag - 8. August - Antwerpen.
Wo genau? Kainummer bis jetzt unbekannt, Antwerpen - Hafen muß genügen!
Entfernung Antwerpen - Mönchengladbach? Zu schaffen. Es hätte schlimmer kommen können.
Wann? Besser keine wenn auch nur ungefähre Uhrzeit angeben, die Erfahrung hat gezeigt, was alles bei der christlichen Seefahrt dazwischen kommen kann. Also irgendwann zwischen Morgengrauen und Abend-dämmerung! Bis dahin also noch jede Menge Zeit. Oder etwa nicht ???
Ich muß nur noch:
1. Schritt: Dieses Mal direkt Glück gehabt, nur vier meiner Kundinnen auf einen anderen Termin vertrösten. Damit alles nicht gar zu einfach zu bewerkstelligen ist, bin ich berufstätig. Aber was soll eine Ehefrau zu Hause, deren geliebter Mann ein halbes Jahr zur See fährt? Aber das nur am Rande. Der Dank geht an meine Kundinnen.
2. Schritt: Kollegin anrufen. Fragen, ob sie mich im Geschäft vertreten kann. Zusätzliche Arbeitsstunden für sie. Seit ich einen Seemann geehelicht habe, hat sie auch keine Langeweile mehr. Aber sie ist einverstanden. Ein dickes Dankeschön auch an sie.
3. Schritt: Tasche packen. Alles Training - stellt längst kein Problem mehr dar.
4. Schritt: Karte studieren. Mönchengladbach/Venlo/Eindhoven/Antwerpen. So einfach ist das.
Nur dieses "Kainummer unbekannt" macht mir etwas Sorgen!
Donnerstag, 8. August, 9.00 Uhr. Start in Richtung Autobahn. Es regnet in Strömen. Aber was soll´s? Immer noch besser als die Hitze der letzten Tage. Und überhaupt, es geht zum geliebten Mann. Spielt da das Wetter eine Rolle?
Die Fahrt bis Antwerpen: Ohne besondere Vorkommnisse. Nach ca. zwei Stunden sehe ich bereits das Hinweisschild "Haven". Na also - wunderbar. Aber zu früh gefreut! Nun geht die Sucherei erst richtig los! Die Kais sind zwar alle hübsch durchnumeriert. Somit für jemanden, der weiß wo er hin muß, eine große Hilfe. Aber für mich?
Ich brauchte eine Tafel mit dem Hinweis "Zum Hafenmeister 200 Meter rechts". Aber wie es scheint: Gerade die hat man vergessen anzubringen.
Also "5" ist meine Glückszahl, und so nehme ich die Ausfahrt "Kaaien 100-555". Aber alles was ich vor mir, neben mir, hinter mir sehe ist Kohle. Die gesuchte "Stephanie" fährt Holz. Also, hier ist sie nicht. Selbst auf die Glückszahl: kein Verlaß mehr!
Weiter geht´s, nächste Abfahrt, nächster Versuch. Hier sehe ich nur große Pötte. Die "Stephanie" hat nur 999 BRT und ist ganze 82 Meter lang. Hier werde ich auch nicht fündig. Als nächstes sehe ich meine Rettung: ein Taxi. Der Fahrer versteht immerhin so viel, daß ich ein Schiff mit dem Namen "Stephanie" suche. Wie bestellt studiert er gerade das Schiffsmelderegister des heutigen Tages. "Stephanie" liest er - Kai Nr. 504. Was denn, so schnell schon soll ich das Schiff gefunden haben? Hier stimmt doch etwas nicht !!!
Er also als Lotse vor mir her. Mit Tempo 80-90 km/h durchs Gelände. Immer hübsch über dicke Pflastersteine. Schade, daß die guten alten Zeiten der Postkutsche vorbei sind. Aber der Mann kennt sich aus. Nach nur 20 Minuten sind wir am Ziel. Nur ein grün-oranges Schiff sehe ich nirgendwo. Liegt das vielleicht an meiner daheim vergessenen Brille ???
Der hilfsbereite Fahrer erkundigt sich im nächsten Büro und überrascht mich mit der "erfreulichen" Mitteilung: Die "Stephanie" ist bereits wieder weg! Meine Nerven!
Ich gehe selbst hinauf und frage noch einmal nach dem Schiff. Der junge Mann telefoniert, bleibt dann aber dabei: Sie war zwar hier,