Kuhland. Toma Behlsum. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Toma Behlsum
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847670261
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vernünftiger Umgang mit Ihnen ist also keinesfalls möglich und daher will er auch nicht werden wie sie.

      Unterwegs unterhält er sich kurz mit den Kühen, die es schon gewöhnt sind, dass er vorbeikommt und die ihn ein Stück begleiten, so lange eben, bis das eingezäunte Feld zu Ende ist.

      *Bschütte, allgäuerisch für Odel oder Gülle

      3

      Benni ist 40 Jahre alt und froh, wenigstens in einer Phase seines Lebens sich nicht ständig fragen zu müssen, was er als nächstes tun soll, sich nicht ständig wichtig zu nehmen. Zeit haben, frei verfügbare Zeit. Selbst über die Zeit bestimmen. Also doch irgendwie Glück.

      Er hat seit einigen Monaten den halben Anteil am Tabak- und Zeitschriftenkiosk am Stadtplatz gepachtet, von Lydia, der die Arbeit allein zu viel geworden ist. Benni hatte Bedenken, ob das gut geht, Lydia ist eine Institution, die wie ein Fels aus Fleisch in einem unförmigen grünen Kleid den nicht wirklich kleinen Kiosk ausfüllt, und auch die Älteren unter den Lindenbergern können sich nicht daran erinnern, dass es einmal eine Zeit vor Lydia gegeben hat. Aber es geht gut.

      Die Aufteilung geht so: Benni jeden Tag, und Lydia nur dann, wenn Benni krank oder verhindert ist. Beide finden das gerecht. Den Kiosk kann er öffnen und schließen wann es ihm gerade passt, Kioske haben keine festen Öffnungszeiten, sonst wären sie Läden, und wenn er wie heute um halb sieben aufmacht und es kommt niemand, liest er den Westallgäuer und die Süddeutsche. Der Westallgäuer ist die Regionalausgabe der Augsburger Allgemeine Zeitung, die es zwar nicht im Umfang, aber in der journalistischen Qualität sehr wohl mit sz und faz aufnehmen kann. Allerdings hat die AZ eine Besonderheit, die wohl ihrer ländlichen Klientel geschuldet ist, sie lässt es zu, dass die Leserbriefseiten überschwemmt werden von fundamentalistischen Trollen, die jeder kritischen Berichterstattung über die katholische Kirche oder der Berichterstattung über Kritik von Dritten an der katholischen Kirche stets mit dem immergleichen Totschlagargument begegnen, was wäre wohl, wenn es sich hierbei um kritische Äußerungen zum Islam handeln würde. Benni sieht großzügig darüber weg.

      Vorher war er in der Bar beschäftigt gewesen, dort hat er dann gekündigt, als ihm der halbe Kiosk angeboten wurde. Nicht, dass die Arbeit in der Bar an sich ihm nicht gefallen hätte, ‚3 Bier bitte, für mich einen dunklen Weizen, 2 Cola mit Schuss, Espresso bitte, he Chef, zahlen’, alles ok, auch der Bierdunst und die hässliche Musik von anno dazumal, Status Quo und so, die dicke verräucherte Luft damals noch, kein Problem, das Problem war vielmehr, Benni kann die Menschen an sich nicht leiden. Er musste ständig Leute begrüßen und dann auch noch um sich haben, die er nicht kennt und auch nicht kennen lernen will. Nur selten kamen solche, die er da haben wollte, Franz zum Beispiel, ohne die anderen Idioten, mit denen er immer rumhängt, oder die Zwillinge Anne und Ulla, die gelegentlich aushalfen, anstatt sich auf das Abitur vorzubereiten und zeitig schlafen zu gehen, und ein paar wenige mehr. Die anderen wollte er dann doch lieber weg haben.

      In persönlichen Selbstversuchen hat er festgestellt, dass für ihn ‚die Menschen’ bei mehr als fünf am Stück beginnen. Bis fünf ist noch alles in Ordnung, sechs sind schon zu viel, fünfzig bis sechzig an einem Abend in der Kneipe da erst recht, ganz zu schweigen von den restlichen 7 Milliarden sonst noch wo. Benni wird sich diesbezüglich auch nicht mehr ändern.

      In seinem Kioskhäuschen ist er noch behüteter als früher hinter der Theke, quasi im Mittelpunkt der Welt und doch nicht darin. Er sieht auf die Welt durch vier Fenster, auf jeder Seite eines, und es sind auch nie mehr als 5 Personen, die vor dem gerade geöffneten Fenster stehen und etwas von ihm wollen, einen Westallgäuer, eine Marlboro light, ein Nuts. Klingt ähnlich wie in der Kneipe, ist es aber nicht, denn wenn sie alles haben gehen sie wieder weg und lungern nicht noch stundenlang vor der Theke herum. Welches Fenster geöffnet ist hängt vom Wetter ab, von der Sonne oder dem Schlagregen, oder den Straßenmusikanten, ob erträglich oder unerträglich. Die anderen drei Fenster sind immer geschlossen, damit ihm nicht die Schulkinder aus dem Fenster im Osten Schokoriegel rausklauen, während er an dem im Westen gerade eine Illustrierte verkauft.

      Der Lehrer Roth kommt vorbei und beschwert sich über die Zwillinge, die Schuld daran hätten, dass seine Frau und die Kinder jetzt ausgezogen sind.

      ‚Wie denn das’? fragt Benni uninteressiert.

      ‚Ich war Dienstagnachmittag auf der Lehrerkonferenz. Als ich nach Hause kam, ging ich in die Küche und stahl meinem Sohn, der gerade am telefonieren war, sein Leberwurstbrot. Auf dem Leberwurstbrot lag, wie ich erfreut feststellte, eine halbe Gurke, in Finger geschnitten und aufgefächert, wie es bereits seit 1962 nicht mehr üblich war.’

      ‚Und was hat das mit den Zwillingen zu tun’, fragt Benni, um dem Lehrer einen Gefallen zu tun, aber der Lehrer hat es eilig.

      ‚Das erzähle ich ein andermal’, sagt er im Gehen, ‚der Unterricht beginnt gleich.’ Kaum hat er ‚Unterricht’ gesagt, fängt es auch schon wieder an zu regnen. Der Wind kommt von Westen, also schließt Benni das Fenster im Westen und öffnet das im Osten. Als der Regen immer stärker wird macht er nach einer Stunde den Kiosk schon wieder zu und geht nach Hause. Er möchte unterwegs noch die Kühe fragen nach dem Zusammenhang, oder dem Gegensatz, von zufrieden und glücklich

      4

      ‚Ich sollte vielleicht mal für eine Weile hier verschwinden’, sagt Jan. ‚Und mich dann komplett neu orientieren.’

      ‚Warum ziehen wir nicht ins Allgäu, dort ist es so schön, dass wir nie wieder weggehen werden. Dort wohnen wir dann mit vielen wilden Tieren, und mit Kühen. Der Himmel wird nachts dunkel sein und der Mond scheint hell, und die laute Natur wird die böse Welt draußen übertönen’, ruft Trisch, seine Frau.

      ‚Das klingt ja ganz schön’, sagt ihre Freundin, ‚aber genau dort ist die Mitte von nirgendwo.’

      ‚Mir doch egal’, sagt Trisch. Das sei außerdem eine dumme Übertragung aus dem Amerikanischen, in the middle of nowhere, ergänzt sie nach einer ganzen Weile, die beide damit zugebracht haben zu versuchen, eine Bestellung aufzugeben.

      ‚Da ist doch nichts‘, insistiert ihre Freundin, und ergänzt, dass von der Landschaft vor der Türe man schlecht einen Kulturkampf betreiben könne und nur in urbanen Lebensumfeldern herrsche Kampf, und nur so entwickle sich die Gesellschaft. Im Kuhland dagegen herrsche die idyllische Einfalt.

      Trisch fragt in die Runde, vor wie vielen Generationen jeder einzelne denn dem Kuhstall auf Wiedersehen gesagt habe und erntet betretenes Schweigen.

      Trisch und Jan und der Fox der Beiden sind mit einem befreundeten Ehepaar im Theatercafé, und nicht nur Trisch und ihre Freundin versuchen verzweifelt, eine Bestellung aufzugeben.

      ‚So würde es zum Beispiel niemals einem Landbewohner gelingen, auch nur eine Bestellung in einem Szenecafé aufzugeben, geschweige denn dort auch was zu bekommen. Ohne Kenntnis von sun tzu*, die Kunst des Krieges, um das strategische Vorgehen beim Bestellen von Speisen und Getränken unter unterschiedlichen erschwerten Bedingungen zu studieren, täte sich da nichts’, fährt die Freundin von Trisch fort.

      ‚Das kann doch nicht so schwer sein’, sagt Trisch und hebt zum hundertsten Mal die Hand, um die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen. Die Bedienung aber schaut durch ihre Hand einfach hindurch.

      ‚Es gibt nämlich in städtischen Gebieten fünf Arten von Bedienung, was bei der Bestellung zu berücksichtigen ist’ führt die Freundin weiter aus, ‚erstens echte professionelle Bedienungen, wobei es natürlich wie in allen Berufen gute und schlechte Bedienungen gibt, was aber keine Rolle spielt, und zweitens Inhaber und Service eines Cafés in Personalunion.

      ‚So weit so gut’, sagt Trisch, ‚aber beides kommt auch in Kuhland vor.’

      ‚Ja, aber dann gibt es noch Bedienungen, die eigentlich gar keine sind, aber welche spielen, vorzufinden beispielsweise in Grand Hotels, Beatniks, die Bedienungen so verkörpern, ganz so wie sie es in einem Off-Broadway Stück spielen würden. Das sind dann die Besten überhaupt.