„Weil ich dich kenne, Leblanc. Von früher. Elijah Leblanc, Sohn des stadtbekannten Gulli Leblanc.“
Elijah guckte.
„Von deinen Akten bei uns.“
„Die Trierer Kripo hat keine Akten über mich.“
„Heute nicht mehr, stimmt. Damals aber schon.“
Elijah atmete aus. „Kleinkram, Snydr.“
Snydr nickte. „Frisiertes Moped und nicht angemeldet, kein Führerschein und zwei Bier intus. Ne ... Kreidler.“
„Zündapp. Und ein Bier, nicht zwei.“
„Zündapp?“
„GTS 50. Und es war nicht meins.“
„Ja, kann auch sein. Zündapp. Die einen Kreidler, die anderen Zündapp, so war das damals bei euch. Lange her.“
Elijah war still. Sein Gesicht so ausdruckslos wie das von Snydr.
„Dann Auto aufgeknackt und Radio geklaut. Danach der erste richtige Bruch, ein Reihenhaus oben auf Maria-“
„Hatte ich nichts mit zu tun. Nichts mit dem Auto und nichts mit dem Haus.“
„-Mariahof. Nicht direkt, stimmt. Aber indirekt. Das waren die vier Jungs, die das gemacht haben. Aber du warst mit denen befreundet, Leblanc. Deine Clique. Und wir-“
„Nicht meine Clique, Snydr. Sie phantasieren sich da was zusammen.“
„Deine Freunde. Und wir haben immer-“
„Auch nicht meine Freunde, Snydr. Ich kannte die. Die kannten mich. Weil wir Nachbarskinder waren, im selben Viertel wohnten. Wofür ich nichts konnte. Ich habe mir die Gegend nicht ausgesucht.“
„Nachbarn, Freunde, Clique, hat für uns keine Bedeutung. Die Vier waren Kundschaft, du kamst daher auch in unser Visier. Deshalb hattest du nicht nur deine eigene Akte, zugegebenermaßen ne kleine Akte. Sondern dein Name stand auch in den vier Akten deiner vier ... meinethalben Nachbarn.“ Er sagte, „Bist dann ja selbst ein Polizist geworden. Hat mich gewundert, als ich das gehört hab, ehrlich, sehr. Der Sohn vom Gulli beim BKA. Die meisten von deinem Schlag und aus deiner ... Nachbarschaft, die wandern ja eher in die entgegengesetzte Richtung.“
„Sie meinen in Richtung Gottbillstraße, so wie Sie, Snydr?“
„Ich bleib nicht lange.“
„Aha. Und warum nicht?“
Snydr antwortete nicht.
„Frisiertes Moped, geliehen, nicht gestohlen, kein Führerschein und ein Bier. Große Sache, Snydr.“
„Was macht dein alter Herr eigentlich? Gulli? Ewige Jagdgründe? Oder weilt er noch unter den Saufenden?“
Elijah sagte, „Meine Geduld geht zu Ende.“
„Der 19. März 83 war ein Samstag.“
„Wow, Sie kennen den Kalender auswendig.“
„Am Morgen wars noch trocken, später hats geregnet. Schauer. Heftig. Es war kühl, so um die sechs Grad.“
„Und das Wetter kennen Sie auch. Ich bin beeindruckt. Wie war das Wetter am 1. Dezember 1970?“
„1. Dezember 1970? Was war am 1. Dezember 1970?“
Elijah antwortete nicht. Snydr sah nicht aus, als würde er sich für die Musik von Clapton interessieren.
Snydr sagte, „Das Wetter spielte eine Rolle am 19. März 83. Der Regen. Eine Rolle für dich, Leblanc.“
Als ob er das nicht wüsste.
Aber woher wusste Snydr das?
„Sie werden etwas für mich tun, Leblanc.“
„Jetzt plötzlich Sie?“
Snydr lächelte. Zum ersten Mal. Aber es sah nicht sehr freundlich aus. Die rechte Gesichtshälfte wollte nicht so recht mitlächeln.
„Ich bin nicht der Typ, der anderen einen Gefallen tut. Fremden zumal. Und Sie sollten das mit dem Lächeln sein lassen, Snydr, sonst platzen Ihnen die Pflaster weg und der Cut springt wieder auf.“
„Soll er aufspringen. Kein Gefallen, Leblanc. Sie fahren jetzt zu der Vianne. Die wartet auf Sie. Die Vianne wird Ihnen eine Akte geben, die werden Sie sich anschauen. Sie sind Polizist, sogar ganz brauchbar, was man so hört. Sie schauen sich die Akte an, wie ein brauchbarer Polizist jeden neuen Fall anschaut. Frisch. Unvoreingenommen. Hungrig. Dann kommen Sie wieder her und sagen mir Ihre Meinung.“
„Meine Meinung zu was?“
„Zu dem, was Sie gelesen haben.“
„Was werde ich lesen?“
„Sie werden sehen.“
„Ich bin nicht der Typ, der anderen einen Gefallen tut“, sagte Elijah wieder.
„Sie werden das für mich tun, Leblanc.“
Der Ex-Polizist Snydr. Ruhig und selbstsicher, überlegen geradezu mit dem leichten Grinsen, das noch um seine Augen lag.
Wie viel wusste Snydr vom 19. März 1983?
Elijah lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„Und falls nicht?“
„Tja, Leblanc, dann wird noch heute meine Anwältin dein BKA informieren, und deine eigenen Kollegen werden dich abholen und dein verlogenes Leben da draußen in Freiheit ist zu Ende.“
7
Elijah hob den Arm, und d‘Antonio kam herein und führte Snydr ab. Snydr hatte kein Wort mehr gesprochen. Elijah auch nicht.
D’Antonio kam zurück und sagte, „Ich bringe Sie nach draußen.“
Zusammen gingen sie dieselben Gänge zurück, die sie gekommen waren. Immer noch standen Türen offen, immer noch lagen Männer auf den Pritschen und saßen an Tischen. Der an der Wand gelehnt hatte, lag auf dem Boden und starrte gegen die Decke. Der vorher Liegestütz gemacht hatte, stand jetzt vor dem Fenster und machte Kniebeugen. Zu viel Energie. Oder zu viel Hass. Die Luft war immer noch heiß und stickig. Die Schlüssel in d’Antonios Hand schlugen wieder gegeneinander.
Draußen blieben sie stehen. Elijah lehnte sich gegen sein Auto und setzte den Hut auf. D’Antonio streckte ihr Gesicht in die Sonne und atmete tief ein.
„Auf der Herfahrt hat es noch geregnet“, sagte Elijah.
„Ja, hier auch heute Morgen, aber nur ein paar Tropfen. Wir brauchen Regen, dringend. Die Felder sind staubtrocken. Ich wohne auf dem Dorf. Die Bauern da sagen, die Getreideernte wird dieses Jahr eine Katastrophe. Ich esse ja kaum Getreide, aber trotzdem. Für die Bauern tuts mir leid.“ Sie guckte. „Ist die Karosserie nicht zu heiß zum dagegen Lehnen?“
Elijah schüttelte den Kopf. „Sagen Sie, Snydr, was hat der angestellt?“
„Das wissen Sie nicht?“
„Ich hatte keine Zeit für Erkundigungen. Kann aber nicht viel sein, Sie haben hier ja nur die Untersuchungshäftlinge und die weniger als zwei Jahre bekommen. Snydr hat gesagt, er bliebe nicht lange.“
„Da hat Snydr wohl Recht.“ Sie sagte, „Zechprellerei.“
„Zechprellerei? Snydr hat die Zeche geprellt?“
„Hier mal ein Bier, da mal ne Currywurst, ne Pizza. Kennen Sie die Frittenbude hinter der Porta? Porta Nigra? Kennen Sie die Porta Nigra, das Trierer Wahrzeichen? Die ist von hier aus hinter-“
„Ich stamme aus Trier“, sagte Elijah, „ich kenne die Porta.“
„Ah