Das Leben findet während der Fahrt statt. Dr. Wolfgang Lipps. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Wolfgang Lipps
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844227093
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des Dorfes auf der Höhe der Endmoräne erstreckt sich eine grosse Feldmark, durchzogen von Knicks, Buschgruppen und Wäldchen. Markante Landschaftsformen sind der Steinberg, ein alter Steinbruch, aus dem u. a. die Steine der Schlossbrücke in Berlin stammen, und der Pfingstberg, ein eisenzeitliches Fürstengrab. Kleine Seen liegen darin, zurückgelassen von den Gletschern. Umgeben ist die Feldmark im Osten von dichten Hochwäldern und Buschwerk und an den Südhängen wuchert Akaziengestrüpp. Dichte Nadelholz- und Mischholzwälder liegen im Norden und Nordosten. Uralte Eichen- und Buchenwälder ziehen sich zusammen bis in die Schorfheide.

      In der Feldmark zieht allnächtlich das Rotwild seine Fährte. Sauen stecken in den Knicks, Schilfrändern und in den umgebenden Buschwäldern, und suchen nachts die Felder heim. Rehwild hat zahlreiche Reviere in Feld und Gehölz. Kraniche brüten nahebei, Seeadler jagen über dem Land. Kolkraben, Tauben, Reiher, Störche und zahlreiche seltene Vögel geben sich ein Stelldichein.

      Fuchs, Dachs und Marder, Iltis, Hermelin und Wiesel leben hier und zunehmend auch Marderhund und Waschbär. Gelegentlich gelingt es Fasanen, ein Gelege hochzubringen, das Rebhuhn aber ist verschwunden. Der Hasenbesatz wird von Jahr zu Jahr besser, auch dank der Schonung durch die Jäger; Kaninchen allerdings findet man hier nicht mehr.

      Das Muffelwild verirrt sich niemals bis hierher, weil es den Kanal im Süden und die Strasse von Oderberg nach Angermünde im Osten nicht überwinden will, aber gelegentlich zeigt sich ein Stück Damwild aus den grossen Revieren der nahen Schorfheide.

      Nachts jagen hier alle Eulen ausser dem – leider fast ausgestorbenen – Uhu, des Tags alle Raubvogelarten bis hin zum seltenen Wespenbussard und natürlich der Wappenvogel Brandenburgs, der Rotmilan – „Steige hoch Du roter Adler …“.

      Immer öfter erscheinen Wölfe im Revier und alle paar Jahre, wenn die Oder zugefroren ist, auch mal ein polnischer Elch.

      Kurzum – seit tausenden von Jahren, auch nach der Ausrottung von Bär, Luchs und Auerochs, ein Jagdrevier, wie es sich das Jägerherz nur wünschen kann.

      Dieses herrliche Stück Natur ist seit 1992 mein Jagdrevier. Mitten darin liegt eine frühere Aussenstelle des Lieper Landgutes, das von meiner Frau Astrid und mir zu einem zünftigen Jagdhaus um- und ausgebaute „Lieper Vorwerk“. Seit ca. dem Jahre 2009 heisst das Revier nun „Lehr- und Forschungsrevier Lieper Vorwerk“, weil es inzwischen das Revier für das „JUN.i Institut für Jagd Umwelt und Naturschutz“ ist, im Internet unter www.jagd-umwelt-naturschutz.de.

      2. Das literarische Quintett

      So sitzen wir also – um endlich zur Sache zu kommen - im „Lieper Vorwerk“ um den schön gedeckten Eichentisch herum und lassen uns ein Essen schmecken, wie es nicht nur das Jägerherz, wenn auch dieses ganz besonders, erfreut. Angerichtet hat es meine Frau Astrid, eine begnadete Köchin, deren über Liepe und Berlin hinaus bekannte Kochkurse mindestens ebenso gut sind wie ihre beruflichen Fähigkeiten als Rechtsanwältin und Notarin.

      Das Menu – dieses Buch ist nämlich Teil der neuerdings immer wieder beschworenen notwendigen deutschen Bildungsoffensive - soll dem Leser nicht vorenthalten werden:

       Amuse gueule

       Forellenrahmsüppchen

       Wildschweinkeule in Weisswein

       Brandenburgische Quarkkeulchen mit Himbeercoulis.

      Dazu natürlich Weisswein, Rotwein, danach Espresso, Rum, Cognac, Zigarre usw.; was jeder möchte; auf dem Lande geht es üppig zu.

      Wer die Rezepte nachkochen möchte, findet sie im ANHANG.

      Wir, das sind unsere Lieper Freunde Burckhard, einer unserer besten Jäger und seine Frau Gundela, der Berliner Architekt Christian und seine Ehefrau Marita, auch Rechtsanwältin und Notarin und Astrids beste Freundin, und natürlich wir, die Gastgeber.

      Wie es sich zum Essen bei Gebildeten ziemt, werden die Kau- und Wohlbefindensgeräusche von munteren Reden übertönt. So habe ich, wegen des Wildschweinbratens, gerade die Geschichte vom Bauern Vogt erzählt, der

      … vor geraumer Zeit mit dem Fahrrad aus Brodowin kommend auf der Waldstrasse einen sehr kleinen Frischling rumwuseln sieht, noch im gestreiften Schlafanzug. Den hält er – Wilderei hin oder her - für einen willkommenen Braten, aber als er ihn fängt, quiekt das Tierchen ganz erbärmlich, worauf wie eine Dampfwalze die Mutter durch das Unterholz bricht. Diese Bache wiegt schätzungsweise 70 Kilo, hat das Gebräch (jägerisch für: das Maul) weit aufgerissen und wirkt insgesamt einigermassen unverbindlich.

       Vogt, der weiss, dass Wildschweine schon mal Menschen umgebracht haben, jedenfalls aber ganz schön wehtun können, saust in geradezu artistischer Behendigkeit auf den nächsten Baum; der allerdings ist blöderweise eine gerade mal armdicke Birke, nicht sehr hoch, und biegt sich schon. Die Bache sieht Vogt aus miesen kleinen Augenwinkeln berechnend an – Wildschweine sind verdammt schlau – und rüttelt an dem Baum, woraufhin der bedenklich in Bewegung kommt; Vogt fängt an zu schreien wie am Spiess.

       Das holt zwar keine Hilfe für ihn, aber drei weitere Bachen mit noch mehr Frischlingen aus dem Unterholz.

       Dumm gelaufen bis hierher.

       Die Bachen beratschlagen, die Frischlinge hören aufmerksam zu.

       Dann gehen zwei Bachen zum Fahrrad und nehmen das nach allen Regeln der Kunst auseinander, zerbeissen die Reifen, zertrampeln den Rahmen, und da das Ganze noch zu Zeiten der DDR spielt, wo ein Fahrrad nur gegen sein Gewicht in Gold auf dem Schwarzmarkt erhältlich war, kommen Vogt zu den Tränen der Angst noch welche der Wut.

       Aber Wut hilft nicht, denn zu seinem hilflosen Entsetzen fangen die beiden anderen Bachen an, die Birke auszugraben, an der er hängt.

       Jetzt wird´s eng.

       Sie erinnen sich an das Gedicht, in dem der Friedhofstürmer den Toten die Hemden klaut? - Goethes „Totentanz“?

       Das geht stellenweise so:

      …..

       Da regt sich ein Grab und ein anderes dann: Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann, in weissen und schleppenden Hemden.

      …..

       Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor; Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr: Geh! hole dir einen der Laken.

       Das entspricht dem Frischling von unserem Freund Vogt

       Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell Nun hinter geheiligte Türen.

       oder in unserem Fall auf eine inadäquate Birke

       Der Mond, und noch immer er scheinet so hell Zum Tanz, den sie schauderlich führen.

       Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt Und tappet und grapst an den Grüften; Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt, Er wittert das Tuch in den Lüften. Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück, Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück: Sie blinkt von metallenen Kreuzen. Das Hemd muss er haben, da rastet er nicht, Da gilt auch kein langes Besinnen, Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht Und klettert von Zinnen zu Zinnen.

       beziehungsweise will mal schnell die Birke ausgraben!

       Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt, Gern gäb’ er ihn wieder, den Laken. Da häkelt – jetzt hat er am längsten gelebt - Den Zipfel ein eiserner Zacken.

       So ungefähr also fühlt sich unser Freund Vogt.

       Der Türmer wird zwar gerade noch gerettet,