Die Odyssee. Christoph Laurentius Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Laurentius Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738087727
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können! Dann blieben uns deine dummen Orakelsprüche erspart und du könntest Telemachos nicht aufhetzen in der Erwartung, dass er dir dafür Geschenke ins Haus bringen lässt.

      Ich prophezeie dir auch etwas, und das wird sich tatsächlich erfüllen: Wenn du trotz deiner ach so langen und reichen Erfahrung den jungen Mann in seiner aufmüpfigen Haltung weiter bestärkst, dann wird er als erster darunter leiden: Er wird nämlich bei den Freiern überhaupt nichts mehr zu melden haben. Und dir selbst, Opa, werden wir deine miese Polemik derart heimzahlen, dass du dich noch schwarz ärgern wirst, wenn du die Folgen am eigenen Leib spürst.

      Telemachos fordere ich hiermit in aller Öffentlichkeit auf, seiner Mutter zu raten, aus dem Haus und zu ihrem Vater zu gehen. Dort können die Freier um sie werben und Geschenke abliefern, wie sie einer so gefragten Tochter angemessen sind. Dann erst, das ist meine Meinung, werden die Söhne der Achaier die Brautwerbung im Haus des Odysseus einstellen. Wir brauchen uns von nichts und niemand bange machen zu lassen, weder von Telemachos, macht er auch noch so viel Worte, noch von windigen Orakeln, mit denen du uns beschwatzen willst, Alter, und die dich bei uns nicht gerade beliebter machen. Solange diese Frau Heiratsabsichten hat, uns aber hinhält, werden wir Kosten verursachen. Und das wird nun mal teuer, da wir nichts zu erstatten brauchen. Wir werden weiter um diese außergewöhnliche Frau wetteifern, Tag für Tag, und bis dahin andere Weiber, die ein jeder unseres Standes leicht kriegen könnte, links liegen lassen."

      So weit Eurymachos. Telemachos dachte scharf nach und hielt ihm entgegen: "Ich will mich nicht wiederholen, Eurymachos. Weder dich noch die anderen Freier werde ich ein zweites Mal bitten, denn sowohl den Göttern als auch den Achaiern reicht es, einmal zu hören, was ich gesagt habe. Nun zu etwas ganz anderem. Ich möchte ein schnelles Schiff und zwanzig Leute, um eine Reise zu unternehmen. Ich will nach Sparta und dann ins sandige Pylos, um mich nach dem Verbleib meines verschollenen Vaters zu erkundigen. Vielleicht weiß einer der Menschen dort etwas über ihn. Oder ich bekomme von Zeus ein Zeichen, was natürlich weit verlässlicher wäre. Wenn ich herausfinde, dass mein Vater lebt und sich auf dem Weg nach Hause befindet, werde ich die beklagenswerte Situation hier noch für ein Jahr tolerieren. Erfahre ich aber, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt, dann errichte ich, sobald ich zurück bin im geliebten Land der Väter, ein Grabmal für den Verstorbenen und feiere ausgiebig die Totenriten, wie es Sitte ist. Anschließend lasse ich meine Mutter sich neu vermählen."

      Nach dieser Rede setzte er sich, und aus dem Kreis erhob sich Mentor, der treue Freund des Odysseus. Ihm hatte der Held bei seiner Abfahrt das Haus anvertraut, um das er sich, unter der Leitung des alten Laertes, kümmern sollte. Einen guten Rat hatte Mentor nun für die Versammlung parat:

      "Hört, ihr Leute von Ithaka, was meine Meinung dazu ist. Ihr habt in Zukunft keinen König mehr verdient, der aufrichtig, freundlich, gerecht oder gar mild ist. Nein, ein bösartiger Despot wäre das Richtige für euch! Keiner von euch denkt mehr an den göttlichen Odysseus und dankt ihm dafür, dass er wie ein gütiger Vater zu euch war. Den überaus virilen Freiern kann ich nicht einmal böse sein, dass sie in ihrem Ungestüm Dinge tun, die Unheil nach sich ziehen. Sie riskieren immerhin etwas, nämlich Kopf und Kragen, wenn sie des Königs Hab und Gut verprassen, in der Annahme, er käme nicht wieder. Viel schlimmer finde ich die Einstellung des übrigen Volkes: Ihr sitzt hier 'rum, schweigt euch aus, und nicht einer von euch traut sich, etwas gegen das Grüppchen der Freier zu sagen, sie zu bremsen, obwohl ihr doch in der Überzahl seid."

      Dagegen wandte sich sofort Leiokritos, der Sohn des Euenor: "Mentor, du unverschämter Wirrkopf, du wagst es, gegen uns zu hetzen und willst uns bremsen? Das dürfte schwierig werden: Wer aus der schweigenden Mehrheit würde wegen ein paar lächerlicher Mahlzeiten einen Kampf riskieren? Und käme Odysseus höchstpersönlich, der hehre Held Ithakas, und nähme sich vor, die edlen Freier, die in seinem Palast feiern und schmausen, gewaltsam aus dem Männersaal zu säbeln, es wäre ein trauriges Wiedersehen für seine Gattin. Bei dieser Übermacht erginge es ihm schlecht, er wäre auf der Stelle tot. Nein, Mentor, deine Argumente ziehen nicht. - Geht nun auseinander, Männer, ein jeder an seine Arbeit. Um unseren Kleinen hier und seine Reise werden Halitherses und Mentor sich schon kümmern, sie sind ja Freunde seines Vaters. Dabei scheint es mir viel wahrscheinlicher, dass er auf Ithaka hocken bleibt, um ja kein Gerücht zu verpassen; er wird nie losfahren."

      Nach diesen Worten löste sich die Versammlung rasch auf. Man zerstreute sich, ein jeder ging in sein Haus. Die Freier aber trafen sich wieder im Haus des göttlichen Odysseus.

      Telemachos jedoch machte sich auf den Weg zum Strand, wusch seine Hände im grauen Meerwasser und betete zu Pallas Athene: "Erhöre mich, Gottheit, die du mich gestern in meinem Haus besucht hast! Du hast mir aufgetragen, mit einem Schiff auf die dunstige See hinauszufahren, um etwas über meinen verschollenen Vater herauszufinden. Doch die Leute unterstützen meine Pläne nicht, am wenigsten natürlich die Freier, diese Mistkerle."

      Und als er so betete, da trat an seine Seite die Göttin Athene. Sie war von Mentor, was Stimme und Aussehen betraf, in nichts zu unterscheiden. Sie sprach ihm wieder Mut zu: "Bitte keine kindischen Rückfälle, Telemachos, nicht den Kopf verlieren! Und ab jetzt keine schlechte Laune mehr! In dir steckt doch der Mut und der Elan deines Vaters, der tat, was er sagte und zu Ende brachte, was er begann. Genauso wirst du deine Pläne mit Erfolg durchführen. Bist du aber nicht sein und Penelopeias Sohn, dann allerdings fürchte auch ich, dass du nicht schaffst, was du dir vorgenommen hast. Wenige Söhne erreichen ja das Niveau ihrer Väter, die meisten bleiben darunter, nur seltene Ausnahmen übertreffen es. Da du aber nie wieder schlaff und missmutig sein wirst, und auch die vorausplanende Intelligenz und Gerissenheit deines Vaters in dir steckt, besteht durchaus Hoffnung! Du wirst schon schaffen, was du dir vorgenommen hast. Kümmere dich nicht darum, was die Freier denken und sagen: Ihr Rechtsbewusstsein ist so unterentwickelt wie ihr Verstand. Sie ahnen nicht einmal, dass der Tod und die schwarze Unheilsgöttin auf sie warten, ja dass der Tag ihres Endes schon feststeht.

      Du wirst in Kürze auf dem Weg sein, wie du es geplant hast. Als Freund deines Vaters bin ich auch dein Freund; ich werde dir ein schnelles Schiff besorgen und dich begleiten. Aber nun geh nach Hause und mische dich ganz normal unter die Freier. Beschaffe Reiseproviant und verpacke alles gut: Wein in Amphoren, Gerstenmehl, das Mark der Männer, in dichte Ledersäcke. Ich werde im Volk Gefährten suchen, die mitfahren. Schiffe, alte wie neue, gibt es ja auf Ithaka, das vom Meer umspült wird, jede Menge. Ich suche das beste aus, wir laden ein, was wir brauchen, und ab geht's auf die weite See." So motivierte ihn die Tochter des Zeus aufs Neue, die feurige Athene.

      Telemachos hielt sich nicht lange auf und ging, nachdem die Göttin gesprochen hatte, zurück in den Palast. Mit Unmut sah er, wie die arroganten Freier im Hof seinen Ziegen das Fell über die Ohren zogen und seinen gutgemästeten Sauen die Borsten sengten.

      Lachend kam ihm Antinoos entgegen, nahm seine Hand - ohne sie wieder loszulassen - und sagte: "Na, Telemachos, du großer Redner, du bist rhetorisch ja wirklich unschlagbar! Aber jetzt vergiss mal Streit und Feindschaft, Schwamm drüber. Komm, iss und trink mit uns wie in alten Zeiten. Die Achaier werden dir schon geben, was du willst, ein tolles Schiff und eine erstklassige Mannschaft, bestimmt! Dann kannst du ins sandige Pylos sausen und dich dort nach deinem werten Vater erkundigen."

      Telemachos antwortete überlegt: "Nein, Antinoos, danke. Ich kann mein Essen in eurer doch etwas lauten Gesellschaft nicht in Ruhe genießen. Euch reicht es anscheinend noch nicht, dass ihr mein Erbe, die Basis meines zukünftigen Wohlstands, angegriffen habt, als ich noch ein Kind war. Nun aber bin ich erwachsen, höre, wie andere Leute die Dinge einschätzen, denke mir selbst meinen Teil und lerne meine eigenen Kräfte kennen. Für die nächste Zeit habe ich kein anderes Ziel, als euch die üblen Todesdaimonen auf den Hals zu hetzen, egal ob von Pylos oder von hier aus. Ich werde fahren und die Reise wird etwas bringen! Selbst wenn ich nur als Passagier irgendwo mitreise. Denn ich glaube nicht, dass ich ein eigenes Schiff samt Mannschaft bekommen werde. Ihr habt mich ja dabei auch nicht gerade unterstützt." Mit diesen Worten entzog er dem Antinoos seine Hand.

      Die anderen Freier, die im Haus mit den Essensvorbereitungen beschäftigt waren, begannen ihn zu reizen und zu verspotten. Einer der jungen Kerle rief zum Beispiel: "Ach du meine Güte, Telemachos grübelt schon wieder! Er will uns an den Kragen, wie tödlich! Er gibt sich wirklich Mühe! Nun holt er sich auch noch Verstärkung