Heute bei uns zu Haus. Ханс Фаллада. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ханс Фаллада
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746726359
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wir haben uns ganze acht- oder neunmal bis zu unserer Heirat gesehen. Wir konnten es gar nicht abwarten, uns in Ketten zu schlagen. Selbstverständlich stießen wir mit überwältigendem Ungeschick unsere gesamte Verwandtschaft, auf beiden Seiten, mit unserer Heirat vor den Kopf! Alle stellten wir vor die vollendete Tatsache, niemand erfuhr vorher etwas davon. Das war natürlich wieder einmal meine Idee, ich bin mein Lebtage der ungeschickteste Diplomat von der Welt gewesen. Natürlich konnte ich Verwandtschaft nicht ausstehen! Ich hatte sämtlichen Verwandten, am meisten aber meinen lieben Eltern, soviel Sorgen gemacht, daß ich ihnen das nun schon gewaltig übelnahm! Sollten sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern – was ging das die an, ob wir heirateten! Und ganz selbstverständlich bezog ich auch Suses sämtliche Verwandtschaft in diese Abneigung ein – größtenteils ohne sie überhaupt zu kennen. Und ebenso selbstverständlich brauchten wir lange Zeit, um die Verwandtschaft wieder zu versöhnen.

      Nur mit Suses Mutter machte ich eine Ausnahme – warum, weiß ich eigentlich nicht. Bei ihr hätte ich den meisten Grund gehabt, sie aus der Verwandtschaft zu verstoßen, denn noch immer hatte sie keine Sympathien für den fünfunddreißigjährigen Mann, der es noch zu nichts im Leben gebracht hatte. Öfter sagte sie es mir recht deutlich, gar nicht durch die Blume, daß ihre Tochter nicht mutig, sondern »mall«, das ist verrückt, sei, sich mit so einem, wie ich war, einzulassen.

      Im stillen gab ich ihr sogar recht. Das heißt, ich fand zwar nicht, daß Suse mall, wohl aber, daß sie geradezu tollkühn war, auf den Heiratsvorschlag einzugehen. Tief im geheimsten Innern habe ich bis zur letzten Stunde geglaubt, es würde noch etwas dazwischenkommen, sie würde sich besinnen und abspringen. Und wer weiß, ob mir das – trotz all meiner Liebe – nicht ganz recht gewesen wäre. Denn zum erstenmal im Leben hatte ich Angst, wie das alles weitergehen würde, wenn es wirklich zu einer Heirat kam.

      Für mich hatte ich nie Angst gehabt, aber jetzt kam sie – die Angst vor der Verantwortung. Suse erwartete soviel von mir, sie hielt mich wirklich für etwas, das spürte ich, obwohl sie nie ein Wort darüber sprach. Was aber war ich? Ein Mann, der mit einem seltenen Geschick sich selbst alle Lebensmöglichkeiten zerstört, der alle hilfreichen Hände müde gemacht hatte. In einem Alter, wo alle meine Schulgefährten schon in sicheren Stellungen saßen als Ärzte, als Anwälte, als Oberstudienräte, als Sanskritforscher und Professoren – da war ich der kleine Anzeigenwerber eines dahinsterbenden Blättchens!

      Aber Suse sprang nicht ab! Am Sonnabend vormittag um neun Uhr sagte ich der gänzlich überraschten Schwiegermutter, um halb elf würden wir auf dem Standesamt getraut, und sie möge doch als Trauzeugin ihr gutes schwarzes Kleid anziehen. Suse hatte sehr zu trösten an ihrer Mutter, die war ganz verzweifelt, kein Festessen vorbereitet, keine Gäste geladen, die Schwestern der Braut wußten gar nichts. »Ihr lauft ja zusammen wie die Wilden in Afrika, und ebenso werdet ihr in vier Wochen wieder auseinanderlaufen!«

      Zwischen den Tröstungen Suses setzte ich der Schwiegermutter auseinander, daß weder Essen noch Gäste notwendig seien, wir führen direkt hinter der Trauung nach Berlin. Es war ein Sonnabendvormittag, der Sonntag lag vor uns, und den Montag hatten wir beide frei bekommen, wir planten eine Hochzeitsreise von zwei und einem halben Tag!

      Ich sehe meine Schwiegermutter noch vor dem Standesamt stehen: Es war ein kalter, regnerischer Tag, dieser fünfte April 1929. Die Trauung hatte sich etwas verspätet, wir hatten zu tun, unsern Zug auf dem Hauptbahnhof zu erreichen. Überstürzt kletterten wir auf die nächste Elektrische. Sie stand da, mit einem grimmigen Gesicht, dem das Weinen doch so nahe war. Da kam dieser fremde Kerl und schleppte ihre geliebte Jüngste mit sich fort. Es war nicht abzusehen, was daraus wurde! Gutes aber gewiß nicht.

      Wir aber fuhren nach Berlin. Im Zuge saß ich, betrachtete heimlich den schmalen goldenen Ring – mit vereinten Kräften hatte es sogar zu echt goldenen Ringen gereicht. Das erste Glied einer langen Kette, das einzig sichtbare Glied einer unsichtbaren Verkettung – wie würden die anderen Glieder aussehen? Würden sie sehr drücken? Würde ich wünschen, dieses erste Glied nie auf mich genommen zu haben?

      Ich begegnete Suses ein wenig gespanntem Blick. Sie dachte an Berlin und an meine Freunde, die uns dort erwarteten: ihr Debüt in einer neuen, ganz anderen Welt. Sie hatte Lampenfieber. Ich nickte ihr zu, und wir traten beide auf den Gang des D-Zuges hinaus, hielten uns dort bei der Hand, fühlten, daß wir zueinander gehörten, und die Welt glitt an uns vorüber.

      Natürlich wurde Berlin ein Erfolg, will sagen, Suse wurde bei meinen Berliner Freunden ein Erfolg. All jene, die mich einmal jung und hoffnungsfroh gekannt hatten, die dann mit Bekümmernis meinen Niedergang erlebt und sich doch noch ein Stück Glauben an meinen Stern bewahrt hatten – all diese, ach, es waren nicht mehr viele, begrüßten Suse mit einer Freude und mit einer Herzlichkeit, als habe sie immer zu ihnen gehört.

      Für Suse war es eine fremde Welt, Menschen dieser Art hatten nie zu ihrem Verkehrskreis gehört. Lange fühlte sie sich unsicher, sie war sehr still. Aber sie hatte immer zu ihnen gehört, sie besaß ihr Bürgerrecht in der Welt allen wahrhaften Menschentums, wo Auszeichnungen verliehen und Liebe und Vertrauen gegeben werden unabhängig von Stellung und erlerntem Wissen. Ich war sehr stolz auf meine Suse, ich fühlte mich jenen Hamburger jungen Männern sehr überlegen, die nie gemerkt hatten, mit wem sie da alle Tage umgegangen waren.

      Gute zwei Tage – und zurück in das kleine Leben, sie kehrte heim zum Damenputz und ich zu meiner Zeitung. Wir würden sparen, sparen, sparen, arbeiten und sparen, bis wir endgültig in die Stadt Berlin heimkehren konnten! Eiliger Abschied auf dem Hamburger Hauptbahnhof, zwei junge Eheleute trennten sich.

      »Schreib auch bald, Junge!«

      »Ich fange sofort im Zuge an. Den ersten Brief stecke ich schon ein, wenn ich in Altholm ankomme!«

      Habe ich es nicht erwähnt, daß es in Hamburg bei unserer Trauung nieselte, und daß es in Berlin regnete, jede gesegnete Stunde? Nun, wir waren beide mehrfach um die Füße herum gründlich naß geworden, und viel Zeug zum Wechseln hatten wir nicht in unserm gemeinschaftlichen Köfferchen. Das Schicksal spuckte uns beiden gleich zu Anfang unserer Ehe kräftig in die Suppe. Mit dem Sparen wurde es nichts, das Geldausgeben gelang uns schon besser. Erst war die Suse verschnupft, dann hustete sie, dann blieb sie im Bett, und dann wurde sie krank geschrieben: Nierenentzündung. Wieder einmal, nachdem sie gerade sechs Monate auf der Nase gelegen hatte!

      Aber das konnte ich nun wirklich nicht einsehen, daß sie da in Hamburg einsam und verlassen in ihrem Bett liegen sollte! Mußte sie krank sein, konnte sie das ebensogut und zehnmal besser bei mir in Altholm. Hundertzwanzig Mark sind nicht viel, aber wie die klugen Leute, die es nie versucht haben, mitteilen, lebt ein junges Ehepaar ja eigentlich billiger als ein Junggeselle. So mietete ich denn ein möbliertes Zimmer auf dem Kuhberg zu Altholm, mit Küchenbenutzung.

      Es hat ja doch seine Vorteile, wenn man so ein Werber ist, immer auf den Beinen, immer in der Stadt herum. Kein Chef kann einen kontrollieren. Alle Augenblicke brach ich zwischen zwei Werbungen auf dem Kuhberg ein, da lag meine Frau im Bett. Man denke sich dies: nach sechsunddreißig einsam verbrachten Jahren eine Frau, die nur auf mich wartete, die für alles, was ich erlebte, Interesse hatte, die immer Partei für mich nahm!

      Ich fegte und wischte Staub, ich pflegte und küchelte, ich kaufte ein und packte aus – und dann stürzte ich wieder los auf mein nächstes Opfer, mit einem Elan, keines widerstand mir! Ich schaffte Geld ins Haus, unsere Abonnentenzahl stieg sprunghaft, jeden Tag um drei oder vier, das waren Zeiten! Ich sehe mich da noch in der kleinen Küche stehen, die unter der Dachschrägung eingebaut war, geradestehen konnte ich nicht, und da komponierte ich die wunderbarsten Diätgerichte, die alle salzlos sein mußten. Wie sich das festgesetzt hat in mir! Noch heute kann ich kein normal gesalzenes Gericht essen, mir schmeckt alles versalzen, Suse hat die salzlose Kost längst über, ich nicht!

      Und das Leben geht weiter, Suse läuft wieder herum, aber nun ist natürlich kein Gedanke mehr an Trennung. Wir haben uns so aneinander gewöhnt, was wir Jahre ertrugen, die Einsamkeit, scheint uns nun nach ein paar Monaten Umlernens untragbar. Sie sollte wieder in ein Geschäft gehen? Keineswegs! Hier bist du, bei mir bleibst du – von nun an bis in alle Ewigkeit!

      Zwar das Geld, dieses verdammte Geld! Ich quetsche aus meinem Blättchen heraus, was