Die Ratte paddelt weiter. Glücklich sieht sie nicht aus. Eher erschöpft. Auch ihren Beobachtern stehen mittlerweile Schweißperlen auf der Stirn. Schicksalhafte Fragen schon vor dem Frühstück, wie soll man sich so erholen. Der Regen rauscht unerbittlich. Das Tier schwimmt kraftloser, schnelles Handeln scheint nun dringend geboten. Neben der Eingangstür steht ein Schirmständer. Natürlich, denn die Heftigkeit der sommerlichen Schauer würde Unbeschirmte schon auf dem Weg ins Restaurant durchweichen. Schnell den Schirm herausgefischt und zum Tatort des morgendlichen Dramas geeilt. Alles weitere geschieht nahezu instinktiv: Den Schirm ins Wasser tauchen, mit Schwung die Ratte aus dem Pool hebeln und mitsamt einer Ladung Chlorwasser über den Zaun befördern. Nein, nicht in den Pool der Nachbarvilla, sondern hinaus in die Wildnis. Ganz so weit reicht der Schwung dann doch nicht. Die Ratte landet neben dem Pool auf Land, schüttelt sich, blickt sich verwirrt um. Wie der Blitz verschwindet sie dann über den Zaun. Im Wasser des Pools treiben nur noch ein paar vom Regen weggespülte Blütenblätter. Frieden liegt über der Villa. Zeit für einen wohlverdienten Morgenkaffee. Und die Ratte? Die erzählt jetzt hoffentlich nicht ihren Freunden, wo die gastfreundlichen Urlauber aus Deutschland wohnen.
bis
Requiem für George
George ist gestorben. Einfach so. Keiner hat gesehen, wie es geschah. Niemand weiß, was geschehen ist. Eines Morgens haben sie ihn gefunden: tot in seinem Fünf-Sterne-Quartier. Mehr als ein halbes Jahrzehnt lang war er ununterbrochen ihr Gast, hat kostenlos in einem der teuersten Hotels der Welt gewohnt, wo jedes Zimmer eine Suite ist, über zwei Etagen reicht und in der kleinsten Variante 170 Quadratmeter misst. George war seit der Eröffnung im „Burj al Arab“ in Dubai zuhause, genoss diese Jahre über freie Kost und Logis, schaute schillernden Milliardären und schüchternen Tombola-Hauptgewinnern hinterher, verfolgte sie mit seinen diskreten Blicken, wenn sie die Lobby durchschritten. George hat alle aus der Nähe erlebt – Clinton und Mandela, Scharen von saudischen Prinzen, Sportler und Pop-Größen. Feinde hatte er keine. Alle haben ihn gemocht, und wer ihn kannte, ist traurig über sein überraschendes Ableben.
Einer der Hotelangestellten ist im Taucheranzug neben den Rolltreppen in der Lobby ins Wasser geglitten und hat unter den Augen vieler Zeugen diesseits der zehn Zentimeter dicken Panoramascheibe Georges Leichnam mit einem großen Kescher aus seinem Becken bergen und den Zackenbarsch mit der feinen Musterung der Schuppen und dem violetten Glanz zur letzten Ruhe in den Persischen Golf gleiten lassen.
Sieben Mitarbeiter sind dafür eingestellt, sich allein um die Aquarien im Burj al Arab zu kümmern - um die beiden 5,20 Meter hohen Panoramabecken links und rechts neben den Rolltreppen in der Lobby und um das zylindrische Riesenaquarium in der Mitte des Unterwasserrestaurants Al Mahara im Tiefgeschoss.
George war ihr Liebling, weil er der Größte und der Schönste war. Weil er diesen sympathischen Augenausdruck hatte und irgendwann anfing, aus der Hand zu fressen. Gleichzeitig haben sie den Namen gemocht, ohne sich so recht zu erinnern, warum es dieser und nicht Charles oder Jim oder Bill wurde.
Die Fische sind lebendes Inventar des Burj al Arab, des „Turm der Araber“. Ein Wunsch, der Gästen mit bedauerndem Kopfschütteln beschieden werden musste? Der Concierge, die Butler, die Chauffeure, selbst die Pressesprecherin – keiner hat im Gedächtnis, dass so etwas schon mal vorgekommen wäre, niemand weiß ein Beispiel. Nur die Aquariumsleute erinnern sich mit Schrecken: „Einmal, da hat ein Gast im Unterwasserrestaurant Al Mahara bei der Bestellung `Den da´ gesagt und auf George gedeutet, der seinerzeit arglos seine Kreise im zylindrischen Riesenaquarium zog und freundlich schaute. `In Butter gebraten bitte´.“
Er bedauere, habe der Kellner antworten müssen, nachdem er eilig mit den Fischpflegern telefoniert hatte. Eine Notlüge musste helfen: „Der ist bereits reserviert. Und die anderen in dem Becken sind es auch.“ Er hat stattdessen omanischen Hummer aus der Kühltruhe empfohlen, war sich der Dankbarkeit seiner dekorativen Kollegen sicher – und dem kulinarisch umgeleiteten Gast hat die Empfehlung so gut geschmeckt, dass er ein stattliches Trinkgeld auf dem Meeresgrund ließ.
hs
„James, die Tür bitte“
Vom Leid, plötzlich einen Butler zu haben
Zuhause habe ich so jemanden nicht. Zum Glück. Keine Hilfsperson in dunklem Anzug und weißem Hemd, die mir Drinks einschenkt, Kleinkram hinterherträgt, die Schuhbänder zubindet und dabei ständig „sehr gerne, Sir“, „natürlich, Sir“ sagt und zu allem Überfluss fragt, ob ich womöglich noch einen Wunsch hätte. Und jetzt habe ich plötzlich einen Butler. Nur für zwei Nächte zwar, nur auf Zeit und im Hotel – und nur weil es einen Buchungsfehler gab, mein eigentliches Zimmer nicht verfügbar ist und ich höher gestuft wurde, kostenlos ein so genanntes „Upgrade“ bekommen habe: Mein neues Zimmer ist eine Suite, und standardmäßig gehört neben so nützlichen Dingen wie Riesen-Flachbildschirm und Whirlpool auch ein Butler dazu.
Der schlägt als erstes vor, dass ich ihn der Einfachheit halber wie alle anderen Gäste auch „James“ nennen könnte. In 90-Zentimeter-Abstand folgt er mir durch die Zimmerflucht, um immer kurz vor einer Tür mit eiligen Trippelschritten zu überholen und sie aufzureißen. Nebenbei beschallt er mich mit Erläuterungen und fragt Entscheidungen ab: Wann er im Salon Tee oder Kaffee servieren dürfe, und ob es dazu auch Zartbitter-Pralinen sein dürfen oder nur welche aus Vollmilchschokolade. Ob ich eine Nuss-Allergie hätte und es bei Knabberkram Vorlieben gäbe. Ich will nicht unhöflich sein und möchte nach dem langen Flug eigentlich nur eines: meine Ruhe. Nur wie sage ich es meinem wohlerzogenen Butler? Bis mir dazu eine Lösung einfällt, bedanke ich mich ständig und nehme jeden seiner Vorschläge an: Ob er ein heißes Bad einlassen solle? Warum nicht, kann er machen. Ob ich anschließend noch ein Glas Champagner im Salon trinken und Musik hören möchte? Klassik oder lieber Jazz, lauter oder leise? Klingt alles nicht schlecht. Irgendwann sage ich vollständig ermattet „Gute Nacht“, verschwinde im Schlafzimmer - und schließe sicherheitshalber hinter mir zu.
Vorher noch hatte ich den Fehler gemacht, ihm von dem Tablett mit den drei Dutzend Begrüßungspralinen anzubieten. Entrüstet hat er abgelehnt. Dabei wollte ich nur signalisieren, dass mir die Hierarchie-Ebene unangenehm ist, ich Menschen nicht nach Bedienern und Bedienten unterscheide. Ich wollte ihm signalisieren, dass mir ein Freund für die zwei Tage lieber ist als ein devoter Domestike. Es war falsch.
Schon vor dem Aufstehen muss er wieder da gewesen sein: In einem Nebenraum hat er Tee gekocht, Frühstück vorbereitet. Beim Zeitunglesen steht er nun hinter mir, und immer, wenn ich einen kleinen Schluck Tee getrunken habe, schenkt er genau im Volumen dieses Schlucks nach. Mich macht das alles total nervös.
„Es ist mein Zimmer – wenn auch nur aus Versehen“, denke ich. „Und ich will jetzt meine Ruhe“. Ehe ich es ausspreche, fragt er wieder, was er nun für mich tun könne. Da habe ich endlich die rettende Idee: „Eine Zeitschrift besorgen. Bitte. Eine ganz bestimmte. Eine Fachzeitschrift. Eine seltene. Am Flughafen habe ich sie gesehen und vergessen, sie zu kaufen. Die brauche ich. Sobald es geht.“ Und das Wunder geschieht: Volle drei Stunden habe ich meine Ruhe. Und anschließend die Zeitschrift, die mich nicht sonderlich interessiert. Am Nachmittag bitte ich ihn, eine ganz bestimmte CD zu besorgen, am nächsten Morgen ein deutschsprachiges Buch. Und sollte er mal unerwartet schnell zurückgekommen sein, ich hätte ihn irgendwo eine gelbe Gummi-Ente für die Badewanne auftreiben lassen müssen. Ich wäre ohne all das ausgekommen. Aber er hat zu tun, sein Erfolgserlebnis, ich meine Suite wirklich für mich. Am Ende gebe ich ihm gutes Trinkgeld und danke herzlich. Und wenn ich je wieder eine Suite bekommen sollte: bitte ohne Butler.
hs
Nur die Decke war Zeuge
Bekanntlich gibt es zwei Arten von in Hotels verbrachten Nächten. Die eine ist angenehm.