Das Ding grübelte gerade darüber, wie es am schnellsten einen neuen Wirtskörper finden konnte, als das rechte Bein völlig steif wurde. Es versuchte weiterzugehen und wusste nicht, warum der Körper so reagierte. Es wankte hin und her, und schon wurde auch das andere Bein steif. Der Körper Walt Kesslers geriet aus dem Gleichgewicht und fiel nach vorne. Instinktiv zuckten die Arme nach vorne, um den unvermeidlichen Sturz zu bremsen. Im Fallen spürte das Ding einen Menschen näher kommen, noch bevor er den Wagen hörte. Sein Wirtskörper schlug hart auf den Asphalt, und das Wesen drehte den Kopf. Der näher kommende Wagen bremste ab und kam nur wenige Meter vor Walt Kessler zum Stehen. Die Tür ging auf, und ein älterer Priester — das Wesen wusste, was ein Priester war —, stieg aus. Sofort verließ das Wesen den Körper Walt Kesslers und überfiel den Geist von Pater Marcus.
Der Pater schrie laut auf und fasste sich an den Kopf. Ein stechender Schmerz zuckte ihm durch den Schädel, und dann war er wie benebelt. Er fühlte, wie ein anderer Geist seinen Körper übernahm.
»Mein Gott«, dachte er, »das Böse ist über mich gekommen! Der Herr stehe mir bei.«
»So ist es!«, hörte der Pater eine Stimme in seinem Kopf wispern, und dann drängte eine ungeheure Macht seinen Geist in den tiefsten Winkel seines Bewusstseins.
Das Ding jubelte. Immer, wenn es ein neues Opfer gefunden hatte, fühlte es sich unbesiegbar. Behaglich streckte es seine unsichtbaren Fühler im Körper des neuen Wirts aus und kontrollierte damit alle Funktionen. Nun würde es in den Wagen des Paters steigen und über den Körper von Walt fahren. Dieser Bastard hatte ihm genug Schwierigkeiten bereitet. Rache, ja Rache wollte das Ding. Es lief um den Wagen und setzte sich hinters Steuer. Der Motor sprang erst nach etlichen Versuchen an und rumpelte besorgniserregend. Das Wesen schlug die Tür zu, legte den Hebel der Gangschaltung auf D und schaute nach vorn. Doch da war kein Walt Kessler mehr. Er war weg. Das
Ding suchte sofort mit seinen geistigen Fühlern, konnte aber Walt nicht finden.
Es überlegte, ob es noch einmal aussteigen sollte, als über den Hügel ein großer Lastwagen gerollt kam. Schnell fuhr das Wesen an.
»Er ist bestimmt tot«, kam es aus dem Mund des Paters.
Keine Minute später passierte der Lincoln des Paters den LKW.
Aus dem Straßengraben, im hohen Gras liegend, schaute Walt Kessler unendlich müden Augen dem davonfahrenden Wagen nach. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, bevor er vor Erschöpfung in tiefen Schlaf fiel.
Als Hanky etwa zehn Minuten gelaufen war und das Dorf schon fast hinter sich gelassen hatte, fielen ihm zwei Dinge auf. Seine Beine hatten ihn automatisch in diese Richtung gelenkt, so als wüssten sie, wohin sie Hanky tragen sollten. Und zweitens war das nicht der Weg zu seinem Großvater.
Hanky überlegte hin und her, ob er nicht umkehren und erst einmal mit seinem Großvater sprechen sollte. Aber irgendetwas sagte ihm, dass er keine Zeit zu verlieren habe. So blieb er auf der Straße und beschleunigte sogar noch seine Schritte.
Vor einem Haus am Ortsrand von Frisco stand ein großer Truck. Der Motor lief schon, als der Fahrer aus seinem Führerhaus sprang und zum Haus lief. Anscheinend wohnte der Mann dort und wollte vor seiner Fahrt noch schnell etwas aus dem Haus holen.
»Der hat wohl was vergessen!«, murmelte Hanky vor sich hin.
Hanky kannte den Mann vom Sehen und wusste, dass er mit seiner Familie seit etwa zwei Jahren in dem kleinen Haus wohnte. Er war nicht oft zu Hause, da er gerne weite Touren annahm. Das brachte mehr Geld. Hanky war schon fast bei dem LKW angekommen, als er eine Idee hatte. Der Aufleger des Lastwagens war nach oben mit einer Plane bespannt. An der Rückseite war diese mit einer durchsichtigen Plastikschnur verschlossen. Aber nicht ganz. Unten an der Plane war ein Stück offen geblieben. Hanky brauchte nur die Schnur aus drei oder vier Ösen zu ziehen, was er dann auch tat, und schon war da eine Lücke, durch die er schlüpfen konnte. Hanky zwängte sich hindurch, so schnell er konnte. Kaum im Innern angekommen, hörte er schon schnelle Schritte vom Haus her. Darauf folgte das Geräusch einer zuschlagenden Tür und das aufheulende Brummen des starken Motors. Rumpelnd setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.
Kapitel 10
An diesem Morgen war Ray Berson schweißgebadet aufgewacht. Verwirrt blickte sich Hankys Großvater in seinem Schlafzimmer um. Es war alles an seinem Platz, so wie immer. Und trotzdem, etwas stimmte heute nicht. Bilder aus seinem Traum — heute hatte er seit langem wieder einmal geträumt —, tauchten fragmentartig vor seinem geistigen Auge auf und verschwanden auch gleich wieder.
Er hatte von Hanky geträumt, und von schrecklichen Dingen. Er spürte, dass Gefahr drohte, für seinen Enkel und für andere Menschen. Und da war noch etwas anderes. Er dachte auf einmal an seinen verstorbenen Schwager. Er sah die Bilder von damals so genau vor sich, als hätte er alles gerade eben erlebt und nicht vor so vielen Jahren. Er sah seinen Schwager blutüberströmt am Boden liegen, die Kehle zerfetzt und der Berglöwe über ihm. Er hörte auch alle Geräusche. Vom tiefen Knurren der Bestie bis zum Blubbern des Bluts, das aus dem Hals seines Schwagers sprudelte.
Da schob sich ein Bild vor sein geistiges Auge, das ihm noch heute einen Schauer über den Rücken jagte: die unglaublich bösen Augen der Bestie. Er sah sich die Flinte an die Schulter reißen und sofort schießen.
Die Bilder lösten sich auf, und Ray merkte, dass sein Körper von starkem Zittern förmlich geschüttelt wurde. Er hatte die ganzen Jahre dieses Erlebnis verdrängt. Er hatte tatsächlich vergessen. Nein! Nicht ganz! Er hatte dieses Erlebnis, das schlimmste seines Lebens, tief in sich vergraben und eine hohe Schutzmauer um dieses Grab errichtet. Doch nun war diese Mauer eingebrochen. Warum? Er grübelte vor sich hin und versuchte, die schwindenden Bilder seines Traums zurückzuholen.
Er stand auf, schlurfte in die Küche und setzte Kaffee auf. Danach ging er ins Badezimmer und wusch sich mit kaltem Wasser. Er blickte in den Spiegel, in sein von Falten und einem langen Leben gezeichnetes Gesicht. Aber er sah durch sein Spiegelbild hindurch und erblickte das Gesicht seines Enkels. Hanky lachte diesmal nicht. Er blickte sehr ernst. Er sah aus wie ein Erwachsener.
Als der Laster etwa zweieinhalb Stunden gefahren war, wurde Hanky auf der Ladefläche unruhig. Er spürte, dass in der Nähe etwas passiert war. Er hatte dieses Gefühl schon einmal kurz nach der Abfahrt gespürt, als der Lastwagen die Stelle passierte, an der Mike Clark, der Fuhrunternehmer, ermordet worden war.
Doch hier war es irgendwie anders. Hanky spürte, dass er hier gebraucht wurde und auch Hilfe finden konnte. Er lehnte sich hinten aus dem Lastwagen, und als dieser an einer Anhöhe langsamer wurde, sprang Hanky beherzt ab. Er geriet leicht ins Straucheln, fiel dann trotz aller Ruderbewegungen seiner Arme auf die Straße und schlug sich die Knie auf. Geistesgegenwärtig humpelte er schnell zum nahen Straßengraben und ließ sich ins hohe Gras fallen.
Der Lastwagen rumpelte davon und war schon bald über den nächsten Hügel verschwunden. Hanky setzte sich auf und überlegte, was er wohl hier wollte. Nach einer Weile stand er auf und rieb sich noch einmal seine schmerzenden Kniescheiben. Dann ging er langsam los und schaute sich suchend um. Es dauerte gar nicht lange, bis er am Straßenrand niedergedrücktes Gras fand. Dort musste ein Wagen durchgefahren sein. Hanky wusste aber aufwundersame Weise, dass diese Spur für ihn keine Bedeutung hatte, und so übersah er das Auto von Walt Kessler, das weiter unten am Baum stand.
So ging er weiter und vertraute auf sein Gefühl, das ihm bestimmt sagen würde, wann er gefunden hatte, was er unbewusst suchte. Mit einem Mal fiel ihm sein Großvater ein. Der würde sich bestimmt große Sorgen machen, wenn er erfuhr, dass Hanky verschwunden war. Er ging noch einige Schritte weiter und blieb dann auf einmal wie angewurzelt stehen. Aus dem Gras im Straßengraben ragte ein Bein.
Walt Kessler spürte ein heftiges Rütteln. Nur langsam löste sich sein Geist aus der wohltuenden Ohnmacht. Widerwillig stellte er fest,