5.4.1 Allgemeines
(1) Die Schnittgrößen können nach einer der beiden folgenden Methoden ermittelt werden:
a) elastische Tragwerksberechnung;
b) plastische Tragwerksberechnung.
Anmerkung: Zu Finite Element (FEM)-Berechnungen siehe EN 1993-1-5.
(2) Die elastische Tragwerksberechnung darf in allen Fällen angewendet werden.
(3) Eine plastische Tragwerksberechnung darf nur dann durchgeführt werden, wenn das Tragwerk über ausreichende Rotationskapazität an den Stellen verfügt, an denen sich die plastischen Gelenke bilden, sei es in Bauteilen oder in Anschlüssen.
An den Stellen plastischer Gelenke in Bauteilen sollte der Bauteilquerschnitt doppelt-symmetrisch oder einfach-symmetrisch mit einer Symmetrieebene in der Rotationsebene des plastischen Gelenkes sein und zusätzlich den in 5.6 festgelegten Anforderungen entsprechen. Tritt ein plastisches Gelenk an einem Anschluss auf, sollte der Anschluss entweder ausreichende Festigkeit haben, damit sich das plastische Gelenk im Bauteil bildet, oder er sollte seine plastische Festigkeit über eine ausreichende Rotation beibehalten können, siehe EN 1993-1-8.
(4) B Vereinfachend darf bei nach Elastizitätstheorie berechneten Durchlaufträgern eine begrenzte plastische Momentenumlagerung berücksichtigt werden, wenn die Stützmomente die plastische Momententragfähigkeit um weniger als 15 % überschreiten. Die überschreitenden Momentenspitzen müssen dann umgelagert werden, vorausgesetzt dass:
a) die Schnittgrößen des Tragwerks mit den äußeren Einwirkungen im Gleichgewicht stehen;
b) alle Bauteile, bei denen die Momente abgemindert werden, Querschnitte der Klasse 1 oder 2 (siehe 5.5) aufweisen;
c) Biegedrillknicken verhindert ist.
5.4.2 Elastische Tragwerksberechnung
(1) Bei einer elastischen Tragwerksberechnung ist in der Regel davon auszugehen, dass die Spannungs-Dehnungsbeziehung des Materials in jedem Spannungszustand linear verläuft.
Anmerkung: Bei der Wahl des Modells für verformbare Anschlüsse siehe 5.1.2.
Zu 5.3.4(3) und NDP
Die Imperfektionen für die Tragwerksberechnung nach Theorie II. Ordnung aus der Rahmenebene heraus, also für das Biegedrillknicken, sind abweichend von den ursprünglichen Empfehlungen nach EN 1993-1-1 gemäß der Tabelle NA.3 anzunehmen. Im Gegensatz zum Biegeknicken, bei dem sich Stäbe mit großem h/b-Verhältnis günstiger verhalten als solche mit kleinem h/b- Verhältnis, ist es beim Biegedrillknicken anders. Beim Biegedrillknicken verhalten sich I-Profile mit h/b > 2,0 ungünstiger als solche mit h/b < 2,0. Untersuchungen haben gezeigt, dass die reduzierten Werte der Imperfektionen im mittleren Schlankheitsbereich (0,7 <
Zu 5.4
Leider enthält DIN EN 1993-1-1 eine Anzahl von Begriffen, die missverständlich oder sprachlich nicht korrekt sind. Dazu zählen insbesondere: „elastische Tragwerksberechnung“ und „elastische Berechnung“ statt „Berechnung nach der Elastizitätstheorie“, „plastische Tragwerksberechnung“ und „plastische Berechnung“ statt „Berechnung nach der Plastizitätstheorie“. Ähnliches gilt auch für „elastische Spannungsverteilung“ statt „Spannungsverteilung nach der Elastizitätstheorie“ oder „plastische Querschnittstragfähigkeit“ statt „Tragfähigkeit nach der Plastizitätstheorie“ usw. Zum Wiedererkennen behalten die Kommentare die Begriffe der Norm bei.
Zu 5.4.1(3)
Der Begriff der Rotationsebene ist an dieser Stelle leider etwas unglücklich gewählt. Eigentlich ist hier die Rotationsachse des plastischen Gelenks gemeint. Eine plastische Tragwerksberechnung ist nur für doppeltsymmetrische oder einfachsymmetrische Bauteilquerschnitte mit einer Symmetrieebene parallel zur Rotationsachse des plastischen Gelenks anzuwenden. Hintergrund hierfür ist die Annahme einer vollplastischen Spannungsverteilung, die möglichst nahe am wahren Spannungs-Dehnungsverhalten bleiben soll und nicht zu einem Verschieben der „plastischen Nulllinie“ führt. Dementsprechend ist die Anwendung einer plastischen Tragwerksbemessung für U-Profile um die starke Achse erlaubt und für T-Profile um die starke Achse ausgeschlossen.
(2) Schnittgrößen dürfen mit elastischen Berechnungsverfahren ermittelt werden, auch wenn die Querschnittsbeanspruchbarkeiten plastisch ermittelt sind, siehe 6.2.
(3) Eine elastische Tragwerksberechnung darf auch für Querschnitte verwendet werden, deren Beanspruchbarkeit durch lokales Beulen begrenzt wird, siehe 6.2.
5.4.3 Plastische Tragwerksberechnung
(1) Die plastische Tragwerksberechnung berücksichtigt die Einflüsse aus nichtlinearem Werkstoffverhalten bei der Ermittlung der Schnittgrößen. Die Tragwerksberechnung sollte nach einer der folgenden Methoden erfolgen:
– durch das elastisch-plastische Fließgelenkverfahren mit voll plastizierten Querschnitten in den Fließgelenken und/oder Anschlüssen, die als Fließgelenke wirken;
– durch eine nichtlineare plastische Berechnung, die Teilplastizierung von Bauteilen in Fließzonen berücksichtigt;
– durch das starr-plastische Fließgelenkverfahren, das das elastische Verhalten zwischen den Fließgelenken vernachlässigt.
(2) Eine plastische Tragwerksberechnung darf durchgeführt werden, wenn die Bauteile in der Lage sind, genügende Rotationskapazität zu entwickeln, um die erforderliche Momentenumlagerung durchzuführen, siehe 5.5 und 5.6.
(3) Eine plastische Tragwerksberechnung sollte nur durchgeführt werden, wenn die Stabilität der Bauteile an plastischen Gelenken gesichert ist, siehe 6.3.5.
(4) Für die plastische Berechnung darf die bi-lineare Spannungs-Dehnungsbeziehung nach Bild 5.8 für alle in Abschnitt 3 spezifizierten Stahlgüten verwendet werden. Alternativ darf eine genauere Beziehung angenommen werden, siehe EN 1993-1-5.
(5) Das starr-plastische Fließgelenkverfahren darf angewendet werden, wenn keine Einflüsse aus dem verformten System (z. B. Einflüsse der Theorie II. Ordnung) berücksichtigt werden müssen. In diesem Falle werden die Anschlüsse nur nach ihrer Festigkeit klassifiziert, siehe EN 1993-1-8.
Bild 5.8. Bi-lineare Spannungs-Dehnungsbeziehung
(6) Die Einflüsse des verformten Systems und die Stabilität des Tragwerks sind in der Regel nach den Grundsätzen in 5.2 nachzuweisen.
Anmerkung: Die maximale Tragfähigkeit kann bei verformungsempfindlichen Tragwerken bereits erreicht werden, bevor sich die vollständige Fließgelenkkette nach Theorie I. Ordnung gebildet hat.
5.5 Klassifizierung von Querschnitten
5.5.1 Grundlagen
(1) Mit der Klassifizierung von Querschnitten soll die Begrenzung der Beanspruchbarkeit und Rotationskapazität durch lokales Beulen von Querschnittsteilen festgestellt werden.