Tipp 12: Sind Sie unersetzlich?
"Mein Gespräch mit dem Arzt wurde mehrfach unterbrochen, da Helferinnen Unterschriften benötigten oder Fragen hatten. Das war schon sehr störend!" Die Vorstellung, bei einem Beratungsgespräch in einer Bank oder einem Reisebüro permanent gestört zu werden, wäre auch für Ärzte ein absolutes Negativ-Szenario. Patienten hingegen wird derartiges zugemutet. Die Folgen: das Gespräch wird "zerstückelt" und der rote Faden geht verloren. Je nach Dauer und Intensität der Unterbrechung ist der Arzt dann unkonzentriert und der Patient erhält nicht die volle Aufmerksamkeit, die er eigentlich benötigt und erwartet.
"Schlechte Organisation", sagen die Patienten, "Es geht nicht anders", meinen Ärzte und Helferinnen. Doch der Problemverursacher ist … der Arzt. Will man sein Fehlverhalten neutral umschreiben, würde man von "mangelnder Delegationsfähigkeit" sprechen. Im Kern geht es aber um die "Ich bin unersetzlich!"- und "Ohne mich läuft gar nichts!"-Mediziner. Sie sind davon überzeugt, dass außer ihnen niemand anders richtig handelt und praktizieren eine Scheindelegation mit permanenter Kontrolle. So werden die Medizinischen Fachangestellten zu unselbständigen Ausführungsorganen, die permanent auf Arbeitsanweisungen angewiesen sind und sich diese fortwährend, auch während der Patientengespräche, abholen müssen.
Leidtragende sind die Patienten, aber auch die Mitarbeiterinnen und sogar die Mediziner, denn in Praxen, in denen dieses Handlungsmuster praktiziert wird, ist die Stressbelastung des gesamten Teams extrem hoch. So verwundert es nicht, dass derartige Praxisbetriebe durch eine hohe Personalfluktuation gekennzeichnet sind. Dazu trägt auch bei, dass in diesen Praxistypen die Maßregelungen von Mitarbeiterinnen im Beisein von Patienten überproportional häufig sind.
Tipp 13: Termine sind besser als offene und halboffene Sprechstunden
Das Bestellsystem als Steuerungsgröße des Praxismanagements: Das Bestellsystem ist eine zentrale Steuerungsgröße der Qualität des Praxismanagements. Von seiner Gestaltung hängt maßgeblich ab, wie
- die kapazitäre und zeitliche Belastung des Praxisteams aussieht,
- gut Arbeitsproduktivität und Teamsynergie ausgeprägt sind,
- individuell angepasst die Patientenversorgung erfolgen kann und wie
- zufrieden die Patienten sind.
Worauf setzen niedergelassene Ärzte bei ihren Bestellsystemen?: Eine Auswertung unserer Benchmarking-Praxisanalysen zeigt, welche Bestellsysteme in deutschen Arztpraxen mit welchen Konsequenzen für den Praxisalltag eingesetzt werden.
(1) Deklarierte Bestellsystem-Formen
- 62% der Praxisinhaber geben an, ein striktes Terminsystem zu führen,
- 12% eine offene Sprechstunde,
- die restlichen 26% arbeiten nach eigenen Angaben mit einer Kombination der beiden Formen, der sog. halboffenen Sprechstunde.
(2) Das strikte Terminsystem als „Mogelpackung“
Die Detailanalyse der Ferndiagnose-Unterlagen, insbesondere der Mitarbeiterangaben, zeigte jedoch, dass in Arztpraxen mit striktem Terminsystem entgegen den Aussagen der Praxisinhaber 47% mit einer sog. „verdeckten halboffenen Sprechstunde“ arbeiteten, denn das Personal in diesen Praxen schob Patienten ohne Termin, die keine Notfälle waren, in den Ablauf ein, ohne dass die Praxisinhaber hierüber informiert wurden.
(3) Terminsystem versus halboffene und offene Sprechstunde im Vergleich
Ein striktes, gut strukturiertes Terminsystem ist den offenen und halboffenen Sprechstunden aus folgenden Gründen eindeutig überlegen:
(3.1) Patientenzufriedenheit
(3.1.1) Allgemeine Zufriedenheit: Bei den halboffenen und offenen Sprechstunden schätzen die Patienten, ohne Anmeldung in die Praxen gehen zu können. Das ist auch das Hauptmotiv (Patientenzufriedenheitsorientierung), aus denen Ärzte diese Bestellform praktizieren. Die initiale Freude über den unkomplizierten Praxiszugang „vergeht“ den Patienten jedoch schnell, da sie oftmals mit langen Wartezeiten konfrontiert werden. Die Praxismitarbeiter stehen zusätzlich vor dem Problem, dass ohne Termin angenommene Patienten sich wie Terminpatienten fühlen und die gleiche Erwartungshaltung (Kürze) an die Länge der Wartezeit haben. Durch das „Einschieben“ unangemeldeter Patienten verlängert sich gleichzeitig aber auch die Wartezeit von Terminpatienten. Die Konsequenz ist eine insgesamt eingeschränkte Patientenzufriedenheit, die dem Motiv der Patientenorientierung entgegenwirkt und es nicht – wie eigentlich beabsichtigt – fördert. Patienten bewerten es eindeutig höher, termingerecht behandelt zu werden als sich den Praxis-Besuchstermin aussuchen zu können.
(3.1.2) Zufriedenheit mit dem Arztkontakt: Bei vergleichbaren Arzt-Gesprächszeiten beurteilen Patienten die subjektiv empfundene Gesprächsdauer und die Zuwendung des Arztes in Terminpraxen deutlich besser als in Praxen mit offenen oder halboffenen Bestellsystemen:
- Zufriedenheitsnote in Praxen mit Terminsystem: 1,8 (Basis: Schulnotenskalierung, Durchschnittswert)
- Zufriedenheitsnote in Praxen ohne Terminsystem: 3,2 (Basis: Schulnotenskalierung, Durchschnittswert).
Der Grund: aufgrund der Planbarkeit des Patientenflusses sind die Ärzte in Terminpraxen entspannter und wirken dadurch zuwendungsorientierter. Zudem kalkulieren sie eine Vorbereitungszeit für jeden Patienten ein und können die Gespräche effizienter führen.
(3.2) Arbeitsproduktivität: Die Arbeitsproduktivität in Praxen mit Terminsystem ist deutlich höher als die in anders organisierten Praxen. Legt man eine Kern-Arbeitszeit zu Grunde und vergleicht man, nach einzelnen Fachgruppen sortiert, den Patientendurchsatz, so werden in Terminpraxen deutlich mehr Patienten in dieser Zeit behandelt, d.h. der Wirkungsgrad der Arbeit in Terminpraxen ist höher. Der Grund: in Terminpraxen wird mit verschiedenen Termintypen gearbeitet, z. B. Kurz- und Langkontakte, die dann gebündelt werden, z. B. in Form einer Bagetellsprechstunde. In Nicht-Terminpraxen ist das nicht möglich, die Termintypen wechseln ohne Planung. Gleichzeitig weiß das Personal genau, was zu tun ist, die Zusammenarbeit führt zu einer echten Synergie der Arbeitskräfte. Praxen, die ein „echtes“ Terminsystem praktizieren, haben 70% weniger Überstunden als Praxen mit anderen Bestellformen, da die Arbeit weitgehend kalkulierbar ist. Auch die administrativen Arbeiten (Arztbriefe und Gutachten schreiben) werden in Terminpraxen zeitnah erledigt, es „bleibt nichts liegen“.
(3.3) Stressbelastung: Die o.a. Faktoren führen dazu, dass die Stressbelastung von Ärzten und Mitarbeitern in Terminpraxen deutlich geringer ist.
- Stressnote in Praxen mit Terminsystem: 2,1 (Basis: Schulnotenskalierung, Durchschnittswert
- Stressnote in Praxen ohne Terminsystem: 4,9 (Basis: Schulnotenskalierung, Durchschnittswert)
(Skalierung: von „1“ = „Keine Stressbelastung“ bis „6“ = „Höchste Stressbelastung“) Diese Tatsache wirkt sich unmittelbar auf das Betriebsklima und die von den Patienten empfundene Praxisatmosphäre aus.
(3.4) Mitarbeiterzufriedenheit: Eine geordnete Arbeitszeit mit klaren Arbeitsstrukturen wirkt sich auch auf die Mitarbeiterzufriedenheit aus:
- Zufriedenheitsnote in Praxen mit Terminsystem: 1,7 (Basis: Schulnotenskalierung, Durchschnittswert)
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