„Weil?“
„Weil der Workshop schon übermorgen anfängt. Wir müssen fliegen!“
„Dann hatte ich also in Wirklichkeit von Anfang an keine Chance?“
„Eigentlich nicht. Außer du hast ein Problem damit, dass wir in einem Zimmer wohnen. Weil es ein Pärchen war, das abgesprungen ist. Luc meinte, dass wahrscheinlich eine Frau ihren Ehemann überraschen wollte und dann hat der gesagt, dass er sowas nicht macht.“
„Hm.“ Das ist eigentlich mein Ist-mir-doch-egal-Tonfall, aber in Veras Augen sehe ich einen Hoffnungsschimmer. Dann überlege ich kurz, dass diese Aktion mit Sicherheit einen Hintergrund hat und da fällt mir Veras Geburtstag ein. Nächsten Mittwoch! Und heute ist Donnerstag. Wenn es also übermorgen losgehen soll, dann will meine Freundin ihren nächsten Jahresring in der Fremde feiern. Den fünfunddreißigsten? Der ist doch gar nicht rund? Es gibt also eigentlich keinen echten Grund davonzulaufen.
„Was heißt denn jetzt hm?“, fragt Vera und schaut mich flehend an.
„Hm heißt, dass ich nicht weiß, ob das eine gute Idee ist. Ich kann mir jetzt vornehmen, dass ich das alles ganz locker sehe, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich mitten auf der Gangway keine Panikattacke bekomme. Und es ist auch nicht gesagt, dass ich wieder zurückkomme. Vielleicht muss ich ja schwimmen oder du musst mich narkotisieren, weil mich keine zehn Pferde mehr in so ein Ding reinbekommen. Wenn man es genau nimmt, weiß ich ja nicht mal, ob ich überhaupt hinfliege.“
„Vertraust du mir denn nicht?“ Vera kann so unschuldig schauen, dass ich schon fast wieder lachen kann.
„Doch, an sich schon. Aber ich habe keine Ahnung, ob das in dem Fall reichen wird.“
Vera hebt ihr Champagnerglas. „Auf unsere erste gemeinsame Urlaubswoche mit Yoga und mehr.“
Ich zögere. „Ich wünsche dir viel Glück.“
„Die Sterne sind auf unserer Seite und ich trage alles zusammen, was man gegen Flugangst tun kann. Den Stein habe ich schon besorgt.“
Ich lache auf. „Für meine Beine, damit es nach der Notwasserung schneller geht?“
„Jetzt hör auf mit den Geschichten. Denk einfach nicht darüber nach! Dann bleibst du ganz cool. Ich gebe dir am besten auch schon mal die Globuli mit.“
„Globuli?“
„Ja, klar. Die muss man auf jeden Fall rechtzeitig vorher nehmen, sonst helfen sie bei solchen Sachen nicht. Wir müssen dich sozusagen mental stärken.“
„Dein Wort in Gottes Gehörgang. Weißt du, was jetzt der einzige Vorteil ist?“
„Was denn?“
„Ich habe nicht mehr viel Zeit mich reinzusteigern.“
Vera kichert. „Das wäre auch reine Zeitverschwendung. Freust du dich? Wenigstens ein bisschen?“
„Wenn ich schon dort wäre, wäre mir wohler.“
„Dauert ja nicht mehr lang.“ Sie nimmt den Prospekt wieder in die Hand und hält ihn mir hin. „Schau mal. Das ist der Ausblick. Palmen, das Meer … eine himmlische Ruhe. Da hörst du höchstens deinen eigenen Herzschlag, hat Luc gesagt.“
„Luc …“ Der ist das Stichwort. „Fährt er mit?“
Vera verzieht das Gesicht. „Nein. Er kann nicht. Er sagt, er muss zusehen, dass er sich etabliert mit seinem Studio. Da will er noch nicht weg, weil er gehört hat, dass es einen Konkurrenten geben soll, der drei Straßen weiter seinen Laden aufmachen möchte. Da hilft nur Kundenbindung, sagt er. Und außerdem: Wer nicht will, der hat schon. Und außerdem kommen wir beide sicher prima ohne ihn zurecht, wir sind beide erwachsen und brauchen keinen Aufpasser.“
Er kennt dich nicht, denke ich und sage trotzdem: „Okay.“
„Aber meinen Geburtstag feiert er mit mir nach, das hat er mir ganz fest versprochen“, sagt sie und hört sich dabei an wie ein kleines Mädchen.
„Na dann … meine Liebe, wärst du mir böse, wenn ich jetzt sage, dass ich heim möchte? Morgen ist zwar nichts Großes mehr, aber die Rechnung für den letzten Auftrag will ich auf jeden Fall ausstellen, solange ich noch weiß, wie viel ich gearbeitet habe. Nach der Entspannungswoche ist das wahrscheinlich alles weg.“
„Davon gehe ich auch aus, Süße. Weißt du was? Ich freu mich so richtig. Warte, wir rufen dir ein Taxi … es ist zwar noch vor zwölf und die Kontrollen sind bestimmt noch nicht ausgeschwärmt, aber wir haben zu viel getankt.“
„Das sehe ich schon länger so“, stimme ich ihr zu.
„Dein Auto ist also in meiner Garage bestimmt besser aufgehoben.“
„In deiner Garage, nicht davor? Du meinst, da hinein schaffe ich es noch? Dein Vertrauen ehrt mich. Aber du solltest trotzdem mit rausgehen zum Schauen. Noch hat er zwei ganze Kotflügel, mein kleiner Flocki.“
„Geht klar. Ich mache auch das große Licht an.“
Ich parke und steige schon fünf Minuten später in das Taxi ein, das Vera gerufen hat und auch gleich bezahlt.
„Wie immer“, sagt sie und drückt dem Fahrer einen Schein in die Hand. „Mehr kostet es nicht, ihre Kollegen schaffen die Strecke auch immer in derselben Zeit.“
Der junge Mann ist verblüfft und noch verblüffter, dass ich hinten einsteige in meinem engen Kostüm.
„Fahren Sie vorsichtig um die Kurven“, sagt Vera noch, „die junge Frau hatte ordentlich einen im Tee. Also dann bis morgen Abend, Süße. Ich erwarte dich mit deinem Köfferchen, gestartet wird übermorgen von hier aus, lange bevor die Sonne aufgeht. Sie könnten wir dann auch wieder brauchen, wenn Sie wollen, junger Mann. Zum Flughafen.“
Dann schlägt sie die Autotür für diese Uhrzeit viel zu heftig zu und winkt wie eine Wilde. Nein, das sieht nicht huldvoll aus, wie es sich in dieser noblen Wohngegend gehören würde. Es sieht so aus, als wäre sie glücklich, und das ist die Hauptsache.
Nur ich weiß nicht genau, was ich von der ganzen Sache halten soll. Ich betrachte das kleine Fläschchen mit den weißen Kügelchen in meiner Hand. Eines ist mir sonnenklar: Heute Abend wird es keine Fantasiereise mehr geben, höchstens ein paar Notizen, was ich noch unbedingt erledigen muss, bevor ich wegfahre. Das Wichtigste ist das Sixpack T-Shirts und Hosen für eine Woche Yoga, weil ich in diesen Ferien garantiert keine Klamotten waschen und womöglich noch zum Trocknen auf den Balkon hängen möchte.
Da schießt mir noch etwas anderes in den Kopf: ich und eine ganze Woche nur Yoga?!
Dass Vera ein bisschen verrückt sein muss, liegt auf der Hand, aber ich fürchte langsam, dass es ansteckend ist. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ausgerechnet ich mit meiner Freundin zu einem solchen Workshop verreise. Sogar fliege! Wo es doch auf der Welt so viel schönere Beschäftigungen gäbe, als sich in geschmeidigen Bewegungen vorschriftsmäßig auf und nieder zu quälen, damit der aufdringliche Herr Trainer nicht zu viel an einem herumfummeln muss.
Vielleicht sollte ich mir doch lieber keine neuen T-Shirts besorgen und aussehen wie eine schweißfeuchte Knackwurst, die man erst gar nicht anfassen möchte?
Interessant finde ich jetzt aber, dass ich überhaupt nicht an eine Trainerin denke. Auf Vera ist Verlass, es kann nur ein Mann sein, auf eine Frau als Vorturnerin würde sie sich doch niemals einlassen.
Daheim, im Bett, schaue ich auf mein Hochzeitsbild, das auf dem Nachttisch steht.
„Heartbreaker, ich fürchte, dein Mäusezähnchen begeht jetzt dann bald eine schreckliche Dummheit und steigt in ein Flugzeug.“
Tommy lächelt mich an, wie immer. Was soll er auch sonst machen, von seinem Bild aus und hinter Glas?
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