»Vielleicht ...«
Okay, so weit waren wir schon. Jetzt machen Sie doch mal, ich will es jetzt endlich wissen! »Lassen Sie sich ruhig so viel Zeit, wie Sie brauchen«, sagte eine ungeduldige Denise.
»... wollte ich Sie einfach bestrafen.«
»Bestrafen? Mich?« Denise errötete.
»Für Ihre Perfektheit, ihre Selbstsicherheit, ihre Ausgeglichenheit. Vielleicht hab’ ich es getan, um Ihrem Lara-Croft-Image einen Kratzer zuzufügen.«
Lara Croft – sehr interessant. »Bitte, fahren Sie fort.«
»Ich wollte Ihnen zeigen, dass nichts perfekt ist, auch Sie nicht. Dass auch Sie wehrlos, angreifbar und verwundbar sind. Und dass auch Sie Fehler machen«, sagte die Patientin aufgewühlt.
»Wir alle machen Fehler. Ich genauso wie Sie und jeder andere auf dem Planeten. Das zeichnet die Menschen aus, das macht sie menschlich.«
»Vielleicht wollte ich Ihnen zeigen, dass Sie einen Fehler machten, indem Sie mir vertrauten.« Die Patientin setzte sich aufrechter hin und warf ihren Kopf mit einer energischen Bewegung in den Nacken, um den Anschein eines ausgeprägten Selbstwertgefühls zu erwecken.
»Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen ist Vertrauen unheimlich wichtig; und es wird umso wichtiger, je tiefer und fester diese Beziehungen sind, beziehungsweise je näher sich die Personen stehen.« Denise stützte den Kopf auf ihren schlanken Arm, sodass ihr Haar seitlich über die Schulter fiel. »Ich habe Ihnen natürlich, zum Teil gerechtfertigt durch die erste Session, Vertrauen entgegengebracht, das aber gerade bei Bondage noch viel wichtiger als in jedem anderen Bereich ist. Es enthielt natürlich auch noch einen sehr großen Anteil an Vorschuss.« Sie machte eine Pause.
Die Patientin blickte teilnahmslos in den Raum, dann wanderte ihr Blick zu Denise und suchte ihre Augen. »Sie meinen also, ich habe Ihren Vertrauensvorschuss missbraucht, ich habe Sie enttäuscht.«
»Das ist zum Teil richtig«, versuchte Denise nun wieder etwas abzuschwächen.
Beide schwiegen.
»Muss ich die Zeit eigentlich auch zahlen, wo wir nicht reden?«
Haha, wirklich lustig. Ich muss ja trotzdem da sitzen. »Das regeln wir schon«, meinte Denise entspannt.
»Andererseits ...«
»Ja?«
»... muss ich sagen, hat mich der Gedanke total erregt, als ich mir vorstellte, was in Ihnen vorging, als Sie bemerkten, dass ich schon weg war, ohne Sie losgebunden zu haben.«
»Was meinen Sie mit erregt?«
»Was meine ich mit erregt? Sie sind witzig. Was werde ich schon damit meinen. Mein Slip war so nass bei der Vorstellung, als hätte ich ihn gerade aus der Donau gefischt.«
Na Servus, dachte Denise und spürte ein zartes Prickeln in ihrem Unterleib. Sie drückte die Beine fest aneinander. Nur jetzt keine Schwäche aufkommen lassen, keine Fantasien und keine Gefühle, sonst bin ich wieder dort, wo ich vor einer Woche auch war – geil und triefend am Schreibtisch. »Unsere Zeit ist schon fast um und ich möchte Sie noch etwas bitten.«
Ohne auf eine Reaktion ihrer Patientin zu warten, fuhr sie fort. »Machen Sie bitte folgendes Gedankenexperiment bis zum nächsten Mal. Stellen Sie sich vor – ausgeruht und nüchtern –, Sie wären an meiner Stelle an den Schreibtisch gefesselt gewesen und ich wäre verschwunden. Nächste Woche erzählen Sie mir dann, wie es Ihnen dabei erging.«
30
Ihr schien es, als hätte sich jemand an die Glocke der Straßentür gelehnt und wäre eingeschlafen. Es begann zu läuten und das Gebimmel wollte kein Ende mehr nehmen. Es war nicht jenes Läuten, das Kinder zum Spaß machten, auch nicht jenes, welches die Patienten verursachten, wenn sie statt beim Arzt bei ihr klingelten, und es war schon gar nicht jenes entspannt höfliche Läuten, das einen geladenen Gast ankündigte. Mürrisch ließ sie das Seil zu Boden fallen und ging mit runden Bewegungen zur Gegensprechanlage.
»Ja!?«
»Ich bin’s, Birgit. Machst du mir auf!?« Kam eine leere, verheulte Stimme aus dem Lautsprecher.
Sie stand bereits in der offenen Wohnungstür, als Birgit aus dem Fahrstuhl trat.
»Um Himmels willen, was ist denn passiert?«, rief sie, als sie das gerötete Gesicht ihrer Freundin sah. »Komm rein.«
»Ich wollt’ dich fragen, ob ich für ein paar Tage bei dir wohnen kann?«
Oh-oh, da hat es sicher Ärger mit dem Alten gegeben, dachte Nicola. »Aber sicher doch. Hab’ ja genug Platz. Komm, jetzt trinken wir erst mal einen ordentlichen Cognac und dann erzählst du mir in aller Ruhe, was war.«
Birgit brach erneut in Tränen aus. Als ihre Freundin mit dem Drink kam, hatte sie noch zwei Taschentücher verbraucht.
»Hier, mein Mädchen.« Sie gab ihr den Cognacschwenker, der mehr als zur Hälfte gefüllt war, legte ihren Arm fürsorglich um Birgits Schultern und merkte erst jetzt, dass sie kaum wahrnehmbar zitterte. Birgit nahm einen großen Schluck.
»Ich hatte Streit mit Tobias. Es ist eskaliert.«
Ach nein, auf das wär’ ich ja nie gekommen, dachte Nicola.
»Ich hab’ schon fast so etwas vermutet.«
Birgit erzählte. Sie hatte erst die Hälfte ihres zweiten großzügig eingeschenkten Glases Cognac geleert, als aus dem Studio eine weibliche Stimme rief: »Was ist denn jetzt? Machen wir nun weiter oder nicht?«
Oh, shit! Mein Model. Auf die hab’ ich ja glatt vergessen. »Das tut mir leid, meine Liebe. In der ganzen Aufregung hab’ ich total auf dich vergessen.« Sie stürzte ins Studio, wo ihr Model, mit auf den Rücken gebundenen Händen seit nunmehr fast einer Stunde am Boden verharrte. »Heut’ ist’s leider etwas ungünstig – mittlerweile.« Nicola befreite sie von den Seilen, gab ihr einen Abschiedskuss auf den Mund, einen Klaps auf den Po und warf sie so zärtlich wie möglich aus der Wohnung.
»So, jetzt sind wir ungestört.«
»Sag mal, die quatscht doch nicht, oder?«
»Mein Model doch nicht. Ein Grab ist eine Nachrichtenagentur im Vergleich zu ihr«, hoff’ ich jedenfalls.
»Dann ist’s ja gut. Ich brauch’ nicht noch, dass alle Welt erfährt, dass ich Streit in der Ehe hab’.«
Ein Glas später war Birgit ihren Frust und ihre Schauergeschichten über ihren Mann losgeworden – fürs Erste zumindest. Ihre Sprache war nicht mehr ganz so klar wie zu Anfang und ihre Stimmung nicht mehr ganz so düster. Dafür war sie müde.
Als Nicola ihr das Bett im Gästezimmer hergerichtet hatte, war Birgit bereits friedlich auf der Couch ins Reich der Träume gewechselt. Sie legte Birgits Beine auf das Sofa und deckte den ausgelaugten Körper zu. Tiefes Atmen, oder sollte es bereits leises Schnarchen gewesen sein, durchzog den Raum, der angenehm nach Cognac duftete. Sie trank noch den letzten Rest aus Birgits Glas und begab sich ebenfalls zu Bett.
Es war schon knapp nach elf Uhr, als Nicola bemerkte, dass sich etwas Lebendiges auf ihrer Couch räkelte.
»Guten Morgen, Schlafmütze!« Sie sah in Birgits Augen, die immer noch glasig waren.
»Ich hatte einen Albtraum. Hab’ geträumt, ich bin mit einem gemeinen, hinterhältigen Tyrannen verheiratet.«
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, dachte Nicola. Die gute ist, du hattest keinen Albtraum und die schlechte ... aber das geht jetzt wirklich zu weit. Und da ihr im Augenblick nichts Intelligentes einfiel, beschloss sie, lieber gar nichts zu sagen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Schinken, Eiern, Müsli und Kaffee unterbreitete ihr Nicola einen Vorschlag.
»Ich