Rockmusik statt Seniorennachmittag. Rainer Hannas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Hannas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665380
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nur um dem Geschlechterproporz genüge zu tun?

      Im Endeffekt verhält es sich doch bei Geschlech-terbeziehungen ein bisschen wie mit linker und rechter Gehirnhälfte. Das Optimum liegt vermutlich im Streben nach einem Ausgleich, einem mittleren Weg der Ganzheitlichkeit. Das sich gegenseitig Akzeptieren und dem anderen seinen Raum lassen, kann zu einer Entspanntheit führen, die einem schon zu Lebzeiten ein kleines Paradies schaffen und zu beiderseitigem Seelenfrieden verhelfen kann. Andererseits ist es auch nur ein schmaler Grat zwischen der ‘Ja, Mutti’-Hingabe - aus Männersicht - mit dem Verlust der Selbstbehauptung bis hin zu nervenzehrenden Geschlechterkämpfen.

      Doch die 50Plus-Lebensetappe lässt eigentlich gar keine Zeit zu sinnlosem Streiten. Sollten sich nicht sowohl Männer als auch Frauen ihre Energie in Toleranz und Eintracht auf die neu anstehenden Aufgaben dieses Lebensabschnittes konzentrieren?

      Der Auftritt beim Stadtfest

      Das Publikum war sofort im Bild. Besser gesagt ‘im Ton’, denn der akustische Wiedererkennungswert der ersten Akkorde des Startliedes von Rolli’s Band liessen keinen Zweifel zu: die Melodie von Elvis‘ ‘Jailhouse Rock’ hallte unverkennbar aus der Verstärkeranlage und liess vermutlich sogar die Spatzen von den Dächern mitpfeifen. Wahrscheinlich kroch die Musik sogar in alle Winkel des kleinstädtischen Marktplatzes und animierte wahrscheinlich auch die Kellerasseln in den Mauerritzen mit ihren vierzehn Asselbeinchen zum rhythmischen Mitstampfen.

      Rolli wusste aus vielen Marketing-Berufsjahren, dass Produkte und Dienstleistungen möglichst ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal kennzeichnen sollten. Sprich, es musste gegenüber der Konkurrenz einzigartig, also nicht vergleichbar sein. Fanatische Englisch-Nutzer, also sog. ‘Heavy user’ englischen Vokabulars nennen ein solches Alleinstellungsmerkmal auch gerne ‘USP = unique selling proposition’. Obwohl man dazu genauso gut in gediegenem Deutsch ‘EVA = Einzigartiger Verkaufsaspekt’ sagen könnte. Und so boten Rolli und seine Band ihre Musiktexte in ‘phonetischer Kongruenz’ an. Ihre Spezialität war es nämlich, anglo-amerikanische Liedtexte ins Deutsche zu übersetzen. Jedoch nicht nach dem Wortsinn, sondern nach dem Wortklang und in passendem Versmass. Also eben in phonetischer Kongruenz. Und das klang bei der Version des ‘Jailhouse Rock’ von Rollis Band dann so:

       Mutti macht Gymnastik

      Wenn Mutti in der Küche die Kartoffel (t)schält

      Und ihre rot lackierten Fingernägel quält

      dazu wippt die Hüfte und dann voller Swing

      Denkt sie an den Abend und sie hüpft und singt

      Jetzt hopp, zur Gymnastik zack-zack

      Alle Mädchen hupfen dort halbnackt

      Und Mutti schlägt dazu den Takt

      Der Plattenspieler heizt den Damen kräftig ein

      Porentiefer Schweiss, den bringt kein Deo klein

      Der Bodystocking zwickt und ist fast zu eng

      mancher BH-Träger reisst mit sanftem Peng.

      Jetzt hopp ....

      Mutti schnauft ins Ohr der drallen Rosmarie

      Mensch, schaust du heut‘ gut aus mit dem Minipli,

      Es wäre eine geile Sache, du mit mir

      Wenn wir zwei Boogie tanzen bis morgen Früh.

      Jetzt hopp....

      Marie sitzt ganz still in’einer Ecke `rum

      Schaut den Tänzerinnen zu und ist völlig stumm

      Marie sei nicht traurig, sondern bleib ganz cool

      Hast du keinen Partner, tanz’ halt mit `nem Stuhl

      Jetzt hopp....

      Kenner des Orignaltextes und Feinschmecker des ‘klanglichen Übersetzens’ können sich die Gegenüberstellung des Presley’schen Originaltextes und der Version von Rolli’s Band auf der Zunge zergehen lassen.

      Ob die Leiterin des Kulturamtes Rolli’s ‘Jungs’ wegen dieser Texteskapaden oder aufgrund ihrer eigenartigen Instrumente-Zusammensetzung ausgewählt hatte? Denn ein Rock’n’Roll-Konzert – oder ‘Gig’, wie viele Musiker zu einem Live-Auftritt sagen - mit Akkordeon, Akustik- und E-Gitarre verspricht schon leicht schräge Weisen. Oder ob sie die ‘Herren’ aufgrund ihrer fortgeschrittenen Jugend engagiert hatte – schliesslich hatte jeder der drei Musiker schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel – nun das war nicht herauszufinden. Und Rolli als ‘Frontman’, also einer Art Vorsänger mit einer Gitarre vor dem gewölbten Schnitzelmuskel gehängt, hatte in diesem Jahr sogar schon die Sechzig vollgemacht.

      Sechzig und Rock’n’Roll mag sich so mancher denken!? Das passt doch wie Champagner und Kamillentee oder Bockwurst mit Kaviar …..

      Doch Rolli und seine Partner Klaus und Joe lieferten eine lässige Vorstellung – oder ‘coole Performance’, um es in jugendlichem Neudeutsch auszudrücken. Zu solidem Musikhandwerk hat-ten sie mit ihren eigenwilligen Textübersetzungen eine echt überraschende Besonderheit auf Lager. So wurde dann aus Eddie Cochran’s knackiger Rocknummer ‘Summertime Blues’, sinngemäss eigentlich ‘Sommerblues’ übersetzt, bei Rollis Band ‘Im Sommer deine Blus(e)’. Oder der Moody Blues-Schmachtfetzen ‘Nights in white satin’ mutierte in ‘Schneuz‘ nicht in Servietten’. Und völlig respektlos verwandelten Rolli und seine Mitmusiker Ike & Tina Turner’s ‘Nutbush City Limits’ in ein freches ‘Knackwurst iss ich nimmer’.

      Trotz der Oldie-Melodien scharten sich bald viele junge Leute direkt vor der Bühne, um zum Takt der meist flotten Melodien mitzuwackeln und mitzuwippen. Genauer gesagt die Teenies ‚groovten‘. Manches der Mädchen zeigte dabei ein Zahnspangen-blitzendes Lächeln, während sich Rolli wunderte, wie grazil sich einige Jungs trotz ihrer klobigen Turnschuhe zur Musik bewegen konnten.

      Das ältere Kleinstadt-Publikum verweilte zunächst an den Biertischen, die die Innenstadt füllten und wackelte zunächst verhalten mit. Immerhin klatschte es artig Beifall, gab sich jedoch zunächst lieber verstärktem Bierkonsum aus den bayernüblichen

      1-Liter-Krügen hin. Verständlich – denn schliesslich heizte an diesem Tag die Sommersonne mit reichlich über 30 Grad den festlichen Marktplatz gnadenlos auf. Die Bühne mit ihren dunkelblauen Kunststoffwänden und gleichfarbigem Regendach wurde bei diesen tropischen Temperaturen zu einer richtigen Bio-Sauna für Rolli und seine Kollegen.

      Musizierende Schnell- und Vielschwitzer können am ehesten nachempfinden , dass die Koordinationsarbeit beim Musikmachen, also dem aufeinander abgestimmten Singen und gleichzeitigem Instru-mentspielen in Verbindung mit rhythmischen Körperbewegungen eine verstärkte Schweisspro-duktion hervorruft. Und so fühlen sich Musikerhemden schon bei Zimmertemperatur nach einem zweistündigen Konzert meist duschgetränkt nass an. An diesem heissen Sommernachmittag in der plastikeingehausten Bühne kam es jedoch zu wahren Transpirations-Wasserfällen. Schon nach wenigen Minuten spürte Rolli die Schweissströme vom Haupthaar förmlich in Sturzbächen zwischen der Rückenmuskulatur sich in Richtung Gesässschlitz bewegen. Wo sie sich dann, fast wie die rauschende Stromschnelle eines Gebirgsflusses an den Sockenrändern aufzustauten wie volle Regenkanäle bei einem Wolkenbruch. Anstelle eines Taschentuches wäre eher ein Stoffstück in der Grösse eines Bettlakens hilfreich zum Abtrocknen gewesen, um die salzigen Schweissströme aus den Augen, vom Hals und Nacken zu wischen.

      Dennoch war es ein besonderes, unvergessliches Erlebnis für Rolli. Der Auftritt auf dem Marktplatz dieser Stadt vor grossem Publikum hatte für ihn noch eine ganz andere, sehr intensive, persönliche Dimension. Während er an diesem Nachmittag mit seinen Darbietungen die anwesenden Gäste zum Klatschen und Lachen brachte - und was für ihn noch viel wichtiger war, seinen eigenen Körper durch die himmlischen Sphärenklänge der Musik in positive Schwingungen versetzte – weckte Rollis Erinnerung an vergangene Jahre und diese Stadt durchaus auch gemischte Gefühle. Denn schliesslich