Slopentied. Deike Hinrichs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Deike Hinrichs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844241655
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den Boden. „Keine Angst, das kommt raus oder wir nehmen eine Großaufnahme nur bis zu den Schultern.“

      Judith nickte beruhigt und verrieb einen Klecks Haar Gloss in den Handflächen. Dann schaute sie noch einmal prüfend in den Spiegel. Ihr exakt geschnittener Pagenschnitt, mit einem glänzenden, bis knapp über die Augenbrauen fallenden Pony, umrahmte ihre blassen, zarten Gesichtszüge.

      Gegen 21 Uhr begann der erste Durchgang für die Teilnehmerinnen zur Wahl der Best Beauty Meck-Pomm in Abendmode. Zu Justin Timberlakes Song Señorita stelzten die Teenager auf absurd hohen Absätzen über die Bühne. Der hässliche Fleck auf dem gelben Kleid der rehäugigen Rostockerin tarnte sich unauffällig hinter einer blutroten Ansteckblume. Moritz hatte keine Ahnung, wo sie die altmodisch anmutende Filzblume noch aufgetrieben hatte, aber sie erfüllte ihren Zweck. Für eine Sekunde stellte er sich seine Tochter Valentina zwischen den Mädchen vor und schüttelte hastig den Kopf, um das Bild wieder zu verscheuchen. Kim trug ein rotes, knapp unter dem Po endendes Kleid, welches sich mit dem Rot-Ton der Haarverlängerungen gehörig biss.

      Stephen Reizling moderierte die einzelnen Runden launig an. In Durchgang Nummer zwei durften die acht Beautys tanzen, singen, ein Gedicht rezitieren oder andere schlummernde Talente offenlegen. Das Ganze erinnerte Moritz an die vielen Schulaufführungen, die er als Vater schon erlebt hatte — mit dem feinen Unterschied, dass im Galaxy das geneigte Publikum nicht aus alles großartig findenden Eltern bestand. Erste anzügliche Zwischenrufe von betrunkenen Kerlen störten den Ablauf der Inszenierung. Kim turnte in ihrem engen Kleid über die provisorisch errichtete Bühne, und als sie plötzlich in die Hocke ging, dachte Moritz, der Kniefall sei Teil einer ausgefeilten Choreografie. Ein Irrtum, wie sich schnell zeigte. Mit tastenden Händen kroch Kim auf allen Vieren über den Boden und rief dabei verzweifelt Stephen Reizling zu, er und alle anderen mögen stehen bleiben und bloß keine weiteren Mädchen auf die Bühne lassen.

      „Männo! Die Dinger war’n schweineteuer. Wehe, einer latscht mir uff meine Linsen!“

      Profimäßig reagierte der Moderator auf die unerwartete Situation, indem er den DJ um eine Überbrückung in Form einer Tanzrunde bat.

      Beim Durchgang drei, der Königsdisziplin, wie Reizling mit erhobener Stimme verkündete, wurde ersichtlich, dass die im Vorfeld entflammte Diskussion zwischen roten und gelben Badeanzügen diplomatisch beigelegt worden war. Die Mädchen steckten in schwarzen Badeanzügen, versehen mit einem güldenen Logo, aus dem Schriftzug Best Beauty und den Konturen eines geschwungenen, leicht geöffneten Kussmundes. Gold auf Schwarz ... eine Entscheidung des Senders, von der sich der verantwortliche Redakteur Lehndorff Eleganz versprach — wenn nicht gar einen Hauch Glamour.

      Die langen weißen Gliedmaßen von Judith leuchteten gespenstisch im grell aufblitzenden Scheinwerferlicht. Das Schwarz der Badekleidung stand fast allen Mädchen nicht gut zu Gesicht. Auf Kims Pupillen schwammen wieder beide Kontaktlinsen, durch die sie schelmische Blicke in die Runde warf.

      Zu fortgeschrittener Stunde glich die aufgeheizte Stimmung in Warnemündes Galaxy einem Bierzelt-Besäufnis. Mit der Kamera vor dem Auge schwenkte Moritz betroffen von der johlenden Menge auf die Bühne mit den acht Mädchen und von den Mädchen wieder auf die johlende Menge. Verbittert pochte der Kopfschmerz gegen seine Schläfen. Das linke Augenlid zuckte rhythmisch im Takt der wummernden Bässe und der Tinnitus pfiff sich sein eigenes Liedchen dazu. Dermaßen strapaziert hob Moritz die Kamera vorsichtig von seiner Schulter und stellte sie seitlich neben der Bühne ab, wo ein abgetrennter schmaler Streifen für die Jury und das Drehteam zur Verfügung stand.

      Er brauchte dringend eine Verschnaufpause. Mit einem Glas Wasser in der Hand, in dem er vorher ein Kopfschmerzmittel aufgelöst hatte, suchte sich Moritz eine möglichst weit von der Bühne entfernte, ruhige Ecke. Langsam zerfiel die Tablette in ihre Bestandteile und färbte das Wasser milchig, was Moritz immer ein wenig unappetitlich fand. Da die gewöhnliche Aspirin-Dosis nicht mehr anschlug, war Moritz auf Thomapyrin umgestiegen. Mit Abstand betrachtete er aus der Nische heraus das Spektakel. Währenddessen trank er langsam, Schluck für Schluck, den lauwarmen Medizincocktail. Die Einsicht traf ihn wie ein präzise gesetzter Nadelstich, fein und scharf und punktuell: Das war nicht mehr der Beruf, den er einst mit Freude ausgeübt hatte. Nicht nur die Best Beautys prostituierten sich — auch er. Anders konnte man das hier nicht mehr bezeichnen.

      Eine schwache Wohltat an diesem Abend verschaffte ihm die Entscheidung der Jury und des Publikums: Seine heimliche Favoritin Judith stand am Ende der Vergnügung strahlend auf dem Siegertreppchen und wischte sich eine Träne aus dem Auge, als Stephen Reizling ihr die Schärpe der Best Beauty Mecklenburg-Vorpommern umlegte. Eine ätherische Schönheit mit einem Madonnengesicht, die sich aus dem Reigen der Mädchen nicht nur rein optisch abhob. Judith stand kurz vor dem Abitur, womit sich ihre Gedanken nicht ausschließlich um das eigene Aussehen drehen konnten. Moritz mochte ihre ruhige, vernünftige Art. Von der Natur gesegnet mit der Erscheinung eines Porzellanpüppchens, traute man Judith weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick das Durchsetzungsvermögen zu, welches in ihr schlummerte.

      Sofort nach der Siegerehrung eilte Petra zu Melanie. Da Moritz nicht aus seiner Deckung auftauchte, hievte sich Praktikant 2, Lukas, die Kamera auf die Schulter. Im Austausch schnappte sich Petra Lampe und Tonangel, um festzuhalten, was Melanie zum Sieg ihrer Konkurrentin von sich geben mochte. Melanies Gesicht zeugte von herber Enttäuschung, aber sie wollte sich nicht die Blöße geben und setzte ein gezwungenes Lächeln auf, als sich die beiden näherten.

      Von Ferne sah Moritz Lukas nervös an den Knöpfen und Rädchen der Kamera hantieren. Daneben stand Petra und redete auf ihn ein, statt die Tongabel ordentlich über den Kopf von Melanie zu halten. Gehetzt schaute sie durch den Saal, bis ihre Augen an Moritz hängen blieben.

      Als Petra ein „Schnell, mach schon!“, durch den Saal brüllte, zeigte Moritz mit dem Zeigefinger fragend auf seine Brust und musste unvermittelt hysterisch lachen, weil ihm der Anfeuerungsruf aus Kindertagen Schneller, Propeller, schneller, Propeller in den Sinn kam. Auf Petras Stirn bildete sich eine steile Zornesfalte. „Ja, du Spaßvogel“, formten ihre Lippen zurück — das könnte aber auch Spastvogel geheißen haben.

      Die Rückfahrt nach Berlin verlief noch ruhiger als die Anreise, was zur Gänze auf die erlahmte Redelust von Petra zu dieser unchristlichen Uhrzeit zurückzuführen war. So rauschten Musik und Gebläse ungestört einträchtig vor sich hin.

      Kurz vor Neustrelitz musste Moritz das Lenkrad an Petra übergeben, da er knapp davor stand wegzunicken. An einer Autobahnraststätte hielt Moritz an und sie spielten Bäumchen, wechsel dich. Bibbernd lief er mit Petra in der kalten Nachtluft die wenigen Schritte um die vordere Autohälfte herum zur jeweils anderen Seite. Lukas, von dem eisigen Luftzug erwacht, schaute verschlafen aus der Vorderscheibe auf ihr nächtliches Ringelreihen und schloss verständnislos sofort wieder die Augen, als hätte er im Traum eine Erscheinung gehabt, die ihm nicht gefiel.

      Kaum schmiegte sich Moritz in den Beifahrersitz, lullten auch ihn die Wärme und die gleichmäßige Geschwindigkeit auf der Autobahn zuverlässig in den Schlaf, wie eine Mutter ihr Baby in der Wiege. Unsanftes Klopfen auf dem Oberschenkel weckte Moritz, als sie über die Ausfahrt Berlin-Mitte die Autobahn verließen. „Aufwachen. Wir sind gleich da.“

      Ohne Abendtoilette kroch Moritz gegen vier Uhr in sein Bett. Dabei stieß er sich den großen Zeh an dem Wäscheständer, den er am Vormittag noch eilig bestückt im Wohnzimmer stehen gelassen hatte. Fluchend zog er den lädierten Fuß hinter sich her. Jede Faser seines Körpers lechzte nach Schlaf. Dennoch lag er beinahe noch eine Stunde hellwach unter der viel zu warmen Decke und lauschte dem pochenden Zeh nach, bis die Müdigkeit ihn gnädig wegdämmern ließ.

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