Lange Zeit verbrachten die beiden im Wasser, bis sich Alf einigermaßen über Wasser halten und auch fortbewegen konnte. Dann sagte Duscha: „Ich fange an zu frieren. In solchen Fällen sollte man lieber aufhören – wenn denn Land in Sicht ist.“ Sie schwamm zu der Insel zurück, Alf folgte ihr. „Wir sollten uns von der Sonne trocknen lassen, dann werden die Kleider erst gar nicht naß,“ meinte Duscha und streckte sich wohlig in den warmen Sand. Als ihr Mann sich neben sie legte, griff sie nach seinem Arm und zog ihn an sich. „Das habe ich mir schon immer gewünscht – dich einmal unter dem hellen blauen Himmel liebzuhaben,“ flüsterte sie. „Erfüllst du mir diesen Wunsch?“
*
Inzwischen war der Herbst im Jahres des Heils 1150 mit Sturm und Regenschauern herangekommen, Alf war von seiner zweiten Gotlandfahrt zurückgekehrt, gerade noch rechtzeitig, um vor der Geburt seines ersten Sohnes einzutreffen. Vesna hatte ihrer Tochter beigestanden, die Wehen durchzustehen, gemeinsam mit einer Nachbarin hatte sie das Kind ins Leben geholt und Duscha in den Arm gelegt. Dann ließ sie Alf herein, der voller Angst vor der Hütte auf- und abgelaufen war und zahllose Vaterunser und Ave Maria gebetet hatte, immer erschrocken und hilflos auf das Stöhnen und Schreien seines Weibes im Inneren hörend. Doch nun blickte er in ihr erschöpftes, aber glückliches Gesicht und küsste sie vorsichtig auf die schweißnasse Stirn. Sie hielt ihm dieses kleine, mit blonden Härchen geschmückte Wesen hin und sagte leise: „Dein Sohn!“ „Unser Kind,“ verbesserte er sie ebenso leise. „Wir wollen ihn Dietmar nennen, nach seinem Großvater.“ Duscha nickte: „Vielleicht kann er dich mit ihm versöhnen. Nichts wünschte ich mehr.“
Es war beschwerlich für Alf, fast täglich zwischen den Häusern am Hafen, wo er mit Kaufleute und Schiffern verhandelte, und seinem winzigem Grubenhaus im Kietz hin- und herzulaufen, auch schien ihm die Hütte unangemessen für einen Fernhändler und für einen langen Winter zu zugig und kalt für seinen kleinen Sohn und dessen Mutter zu sein, obwohl er die Nähe vor allem Vesnas zu schätzen wusste, die Duscha in vielem zur Hand ging, denn sie war noch sehr geschwächt von der Geburt. So sah er sich heimlich nach einer besseren Bleibe in Lubeke um. Er wollte Hinrich von Soest um Rat und Hilfe bitten, doch der hatte gerade eine Nachricht erhalten, die ihn ganz in Anspruch nahm: „Soeben kam ein Bote vom Stadtvogt,“ erzählte er Alf, „der Bischof wird uns besuchen. Endlich kann dann unsere Pfarrkirche des heiligen Nikolaus geweiht werden. Das wird ein großer Tag für uns alle.“ Alf nickte, sein Anliegen hielt er zurück, denn Hinrich hätte ihm kaum zugehört. „Du wirst es noch gar nicht gehört haben, doch während du noch auf Fahrt warst, hat Herzog Heinrich sich endlich mit dem greisen Vicelin verständigt und ihn als Bischof anerkannt. Nun also wird er die beschwerliche Reise von Bozowe am großen See, wo er erst einmal Wohnung genommen hat, hierher antreten. Du musst wissen, dass der Schlagfluß ihm seinen rechten Arm und das rechte Bein gelähmt hat, auch ist seine Zunge schwer geworden. Ich habe Reginald angeboten, dass der heilige Mann unter meinem bescheidenen Dach einkehren kann, denn Ethelo kann ihn unmöglich beherbergen.“
Alf nickte, noch mit seinen Gedanken mehr bei der Zukunft seiner kleinen Familie als bei dem großen Ereignis, von dem Hinrich berichtet hatte. Doch plötzlich kam ihm eine Idee: „Ihr wisst, mein Weib hat mir vor drei Tagen einen Sohn geboren. Wir wollten ihn morgen zu Ethelo bringen, damit er das Sakrament der heiligen Taufe empfängt. Doch nun, wo der Bischof kommt...“ Er stockte, es schien ihm doch unangemessen, dass Bischof Vicelin um die Taufe gebeten würde. Doch Hinrich nahm den Gedanken auf: „Das wäre in der Tat ein großes Zeichen, wenn dein Sohn die Taufe durch bischöfliche Hand empfangen würde. Es würde Vicelin sicher erfreuen, in seinem Alter noch ein Kind zu taufen, das von einer Wendin geboren wurde, einer Wendin, die zugleich eine treue Tochter unserer heiligen Kirche ist, wie ich von Ethelo weiß.“
Hinrich dachte einen Augenblick nach, dann sagte er zögernd: „Und vielleicht könnte die heilige Handlung, noch dazu durch einen Bischof, deinen Vater bewegen, nun endlich mit euch Frieden zu schließen und seinen Enkel über die Taufe zu halten. Das wäre mein Wunsch für euch alle. Wie oft war ich schon versucht, ihm und Magdalene die Wahrheit zu sagen, wer ihre Tochter damals vom Fieber geheilt hat. Wenn deine Margareta mich von dem Gelübde, das ich ihr gab, entbinden würde, ich wäre gerne ein Bote des Friedens. Sprich mit ihr auch darüber, das bitte ich dich.“
Es war ein Festtag für die ganze Stadt, als endlich Bischof Vicelin in Lubeke einritt. Der Stadtvogt hatte ihn jenseits der Trave empfangen und zur Furt geleitet, die Knechte der Burg hatten einen Prahm gezimmert, auf dem sie den ehrwürdigen Vater übersetzten, damit er nicht den Fluß durchreiten musste. Am Palisadentor, das nun den Zugang zum Werder versperrte, warteten neben dem Priester Ethelo die Vertreter der Stadt, die Ältermänner der Kaufmannschaft und die Häupter der Korporationen der Schiffer und der Wein- und Tuchhändler, die ebenfalls zu den Beratern des Vogtes gehörten. Sie alle geleiteten den hohen Gast ehrerbietig in die Stadt und zum Hause des Hinrich von Soest, wo er sich von der Reise erholen sollte. Dieser hatte Margareta, Alfs Eheweib, gebeten, sich doch um die Gesundheit des Bischofs zu kümmern, und Duscha hatte gerne zugesagt, obschon sie noch schwach war und sie sich ein wenig fürchtete vor einem so frommen und berühmten Mann, wie es Vicelin für viele war. Gegen die Wirkungen des Schlagflusses war sie machtlos, doch konnte sie dem Bischof einen anregenden Trank reichen und eine Salbe anbieten für jene Gelenke, die ihn nach dem langen Ritt Schmerzen bereiteten, und der Greis nahm beides dankbar an und zeichnete sie dafür mit dem heiligen Kreuz.
Zögernd zwar, weil sie kein Lob haben wollte, aber doch um einer möglichen Versöhnung willen hatte Duscha zugestimmt, dass Hinrich Dietmar und Magdalene von der Herkunft der Medizin berichtete, die einst ihrer kleinen Anna, wie die Tochter nun hieß, Heilung vom Fieber verschafft hatte. Es hatte Dietmar tief bewegt, und auch Magdalene zeigte sich bereit, mit Duscha Frieden zu schließen.
Am nächsten Morgen strömte alles zur Kirche des heiligen Nikolaus, und endlich traf auch Bischof Vicelin dort ein, angetan mit einer bestickten Kasel und der Mitra. Den Bischofsstab trug er gegen die Regel in der linken Hand, da die rechte unfähig war, ihn zu umfassen. Um der Menge das segnende Kreuzeszeichen zu spenden, musste er Ethelo den Krummstab reichen. Der Priester und an der anderen Seite Vogt Reginald als Vertreter des Grafen und des Herzogs mussten Vicelin immer wieder stützen, denn sein rechtes Bein tat nur sehr unbeholfen noch seinen Dienst. Dennoch empfanden alle die Würde, die von dem alten Mann ausging, und auch, wenn seine Worte oft nur undeutlich waren, vollzog er mit großem Ernst die Weihe des Altars und anschließend die heilige Messe. Als das Opfer vollzogen war, trat Vicelin an das steinerne Taufbecken. Duscha hatte ihren kleinen Sohn in ein Wolltuch gehüllt und sanft auf den Armen gewiegt, aber er blieb während der ganzen Feier still und blickte mit den blauen Augen, die er von Vater und Mutter geerbt hatte, friedlich auf den fremden Mann, als Duscha ihn Dietmar, dem Großvater und Paten, übergab. Der Schmied hatte tatsächlich Tränen in den Augen, als er seinen Enkel dem Bischof darbot, damit dieser die Taufe vollzog.
Nach einer Zeit der Ruhe, die man Vicelin zugestanden hatte, versammelten sich die Vertreter der Stadt gemeinsam mit Reginald und Ethelo im Hause des Hinrich von Soest zu einem festlichen Mahl. Dietmar und Magdalene aber hatten Alf und Duscha mit ihrem Sohn in das Hallenhaus am Rande des Marktes gebeten, und Magdalene hatte all ihre Kochkunst aufgeboten, um dem jungen Paar ein ebenso festliches Essen zu bieten. Sie hatte eine Ente, mit Früchten und Nüssen gefüllt, auf dem Herd gebraten, dazu weißes Brot gebacken und einen Hirsebrei mit reichlich Honig gesüßt, und Dietmar hatte von Hinrich eine große, tönerne Kanne mit Wein eingehandelt. Doch noch ehe sie sich zum Mahl niederließen, nahm Dietmar seine Schwiegertochter in den Arm und küsste sie auf beide Wangen. „Wir müssen dir Abbitte tun, Margareta, wir haben uns gegen dich versündigt. Aber jetzt sollst du uns stets in diesem Hause willkommen sein.“ Und zu Alf gewandt, fuhr er fort: „Auch dir, Sohn, habe ich wohl Unrecht getan. Und doch hast du mich zum Paten deines Sohnes bestimmt, und er trägt meinen Namen. Möge er immer als aufrichtiger Christenmensch seinen Weg gehen.“
Nach dem Essen nahm der Schmied seinen Sohn noch einmal beiseite: “Ihr wohnt noch immer in einer Hütte bei den Fischern dort an der Wochenitze, wie ich hörte. Aber ich