„Nein, ich glaube nicht, daß du ihr schon einmal begegnet bist. Sie heißt Duscha.“ Der Vater hob erstaunt die Augenbrauen und blickte den Sohn misstrauisch an: „Das ist ein ungewöhnlicher Name, er klingt slawisch. Ist sie etwa..“ Er sprach seinen Verdacht nicht aus, aber Alf sagte nun mit entschlossener Stimme: „Ja, Vater, sie ist eine Wendin, sie wohnt hier auf dem Werder, in dem Kietz an der Wochenitze. Ihr Vater ist Fischer.“ „Du willst uns eine Ungläubige ins Haus holen? Das ist nicht dein Ernst, Sohn!“ „Sie wird bald Margareta heißen, wenn der Priester Ethelo sie tauft am Namenstag der Heiligen. Aber sie lässt sich nicht taufen, weil es ihr befohlen wird, so wie es früher üblich war. Und glaube mir: Sie lässt sich auch nicht meinetwegen taufen, obwohl sie vieles aus Liebe tut. Ethelo hat sie überzeugt, und darüber bin ich froh, Vater.“
Dietmar war keineswegs überzeugt, aber es fehlten ihm die Gründe dafür, Alf diese Heirat auszureden. „Sie ist und bleibt eine Slawin,“ sagte er nur. „Wir werden beide das Sakrament der Ehe eingehen wie gute Christenmenschen,“ antwortete Alf. „Es ist wahr, ihr Vater ist Wende, und obwohl er einmal getauft wurde, ist er wohl eher Heide geblieben, weil niemand die Menschen gelehrt hat, auch christlich zu leben. Aber denke an die heilige Margareta! Auch ihr Vater war ein Heide, sogar ein Priester und Götzendiener, und dennoch hat sie unseren Herrn bekannt und hat um seinetwillen den Märtyrertod erlitten.“
„Du hast dich gut vorbereitet, sie zu verteidigen, mein Sohn. Und ich würde dir auch zustimmen, doch ich muß an die anderen denken hier in der Stadt. Alle werden es missbilligen, vor allem jedoch Magdalene. Sie würde keine Slawin in unserem Hause dulden, und mir wäre ein solcher Zank sehr zuwider.“ Alf erhob sich: „Deine Frau war zu Gast bei Duscha und ihren Eltern, sie haben sie freundlich aufgenommen, als wir flüchten mussten. Wie kann sie das vergessen.“ „Aber ihr Mann wurde von den Wenden erschlagen. Das kann sie ebenso wenig vergessen.“ „Wenn Duscha in deinem Hause nicht willkommen ist, dann werden wir uns eine andere Bleibe suchen. An meinem Entschluß wird das nichts ändern, obwohl es mich traurig macht, von meinem Vater verstoßen zu werden.“
Auch Dietmar war jetzt aufgestanden. Der letzte Satz hatte ihn zornig gemacht: „Früher haben die Söhne auf ihre Väter gehört. Das scheint aus der Mode gekommen zu sein. Überlege dir gut, was du tust, Sohn!“ Er wandte sich ab und ging mit raschem Schritt auf die Schmiede zu. Alf blickte ihm nach, und es schmerzte ihn, den Vater unversöhnt ziehen zu lassen. Aber auf Duscha verzichten, das werde ich nie, murmelte er trotzig. Nie!
*
Ethelo hatte die Slawin schon mehrfach zu Gesprächen in der Kapelle empfangen, die etwas abseits von der Civitas am Hang des Höhenrückens stand und bereits vor der Gründung der Siedlung errichtet worden war und dem heiligen Nikolaus gewidmet war, obwohl es keinen Bischof gab, sie zu weihen. Aber es waren Missionare hier tätig gewesen, und mancher deutsche Händler hatte auf dem Weg in das alte, nun vergangene Liubice hier seine Gebete verrichtet. Nun war daraus die erste Pfarrkirche der neuen Stadt geworden, obwohl sie abseits der Siedlung und des Marktes lag. Doch noch fehlte die Anordnung des Grafen oder gar des Herzogs, eine neue und größere Kirche zu errichten, noch fehlte auch die Zustimmung des Erzbischofs im fernen Bremen, weil die früheren Bistümer im Wendenland, Oldenburg im Herzen Wagriens etwa, seit den letzten blutigen Aufständen der Heiden verwaist waren. Zwar hieß es, der neue Erzbischof plane nun, im befriedeten Slawenland die Bistümer neu zu besetzen, doch im Kloster zu Füßen der Siegesburg, die einst auf seinen Rat hin errichtet wurde, wartete der große alte Mann der Wendenmission, Vicelin, immer noch vergeblich auf einen solchen Schritt. Dabei hatte er schon vor zwei Jahrzehnten segensreich im alten Liubice gewirkt, als König Heinrich dort herrschte, doch nach dessen Tod blieb dem Missionar nur die Flucht und die Hoffnung auf eine glückliche Wende.
Auch Ethelo gehörte zum Kreis der Missionare um Vicelin, ebenso wie der kürzlich so grausam ums Leben gekommene Rudolf, aber er konnte nur die Messen lesen für die deutschen Bewohner des neuen Liubice und die wenigen wirklichen Christen unter den Wenden der umliegenden Siedlungen betreuen. So war er hoch erfreut, als der Sohn des Schmiedes Dietmar bei ihm erschien und um die Taufe von Duscha bat, die er zu heiraten gedachte. Und noch mehr freute es ihn, dass dieses kluge Mädchen mehr wollte als nur ein wenig Wasser aufs Haupt. Die Slawin bedrängte den Priester mit ihren Fragen, und manches Mal geriet er fast in Erklärungsnot, während er zugleich heimlich lächeln musste über ihren Eifer.
Selbst das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit, das so viele Christenmenschen in den deutschen Landen ohne wirkliches Verständnis in jeder Messe bekannten, wollte ihr wacher Geist ergründen. „Ehrwürdiger Ethelo,“ fragte sie vor einigen Wochen, „was bedeuten die drei Götter, Vater, Sohn und Geist, wo ihr doch behauptet, es gäbe nur einen einzigen und wahren Gott? Und warum verdammt ihr dann Swantewitt, unseren wichtigsten Gott, der doch auch einer ist und dennoch vier Gesichter hat, wie erzählt wird? Ist er nicht mächtiger, wo der Christengott nur drei Gesichter hat?“ Ja, es fiel ihm schon schwer, auf alle Fragen eine verständliche Antwort zu geben, aber er lobte ihre Klugheit, denn was sie begriffen hatte und was ihr gut erschien, das glaubte sie dann auch von ganzem Herzen. Und manchmal bedauerte Ethelo heimlich, dass Duscha nur ein Weib war, denn sie wäre sicher ein guter Missionar unter ihren Stammesgenossen geworden, wäre sie nur männlichen Geschlechts gewesen.
Endlich hatte er den 20. Juli zum Tauftag bestimmt, den Tag der heiligen Margareta, und diesen Namen sollte sie fortan tragen als Christin. Am gleichen Tag auch würden sie und Alf, der Sohn des Dietmar, vor Gott ehelich verbunden werden, auch wenn der Schmied dieser Heirat nicht zustimmte. Rastislav, der Fischer, hatte dagegen keine Einwände, und das war Ethelo wichtiger, denn ohne Einwilligung des Vaters hätte er das Mädchen nicht trauen können.
Als der heilige Ritus vollzogen, die Eheleute erstmals miteinander die Kommunion empfangen hatten und mit den ehrlichen Wünschen des Priesters aus der Kapelle traten, nahm Alf Duscha in den Arm und küsste sie: „Jetzt bist du mein liebes Weib, und auch wenn du jetzt Margareta heißt, für mich bleibst du ewig meine Duscha,“ sagte er zärtlich. „Verrätst du mir jetzt, was dieser Name in eurer Sprache bedeutet?“ Das Mädchen lachte: „Duscha heißt einfach 'Seele',“ um dann ernsthaft hinzuzufügen: „Und nun weiß ich, dass ich wirklich eine ewige Seele habe, die mir unser Gott geschenkt hat. Und das ist wunderbar!“
Dabei nahm sie sich ihr Stirnband mit den Schläfenringen ab. „Von jetzt an werde ich eine solche Haube tragen wie die deutschen Ehefrauen,“ sagte sie und wollte das Band in ihren Gürtel tun. Doch Alf hinderte sie daran. „Du sahst wunderschön aus mit deinen Ringen. Ich bitte dich, trage sie mir zuliebe. Warum sollen wir verbergen, dass du aus einem anderen Volksstamm bist.“ Er lächelte: „Deine Sprache wird dich sowieso verraten, so gut du inzwischen auch die meine beherrscht. Aber hat Gott nicht der Welt verschiedene Sprachen gegeben?“ Duscha sah ihn dankbar an, dann sagte sie nachdenklich: „So werde ich also mein Leben lang auf zwei Seiten eines Flusses leben, und du bist meine Brücke. Laß mich die Haube tragen und Margareta heißen auf deiner Seite, es ist besser so. Aber auf der anderen, auf meiner Seite will ich mich gern mit Stirnband und Ringen schmücken, wenn es dir gefällt. Und damit meine Leute sehen, dass ich sie nicht verachte.“ Und sie küsste ihn, nicht ohne Begehren, doch mit großem Ernst.
Noch am Tage ihrer Hochzeit aber suchte Ethelo den Schmied auf, um ihm davon zu berichten und einmal mehr zwischen Vater und Sohn zu vermitteln. Aber er hatte auch diesmal keinen Erfolg, vor allem Magdalene zeigte sich unversöhnlich. Und sie wusste wohl selber nicht, ob sich ihr Haß allein gegen die Slawin richtete oder doch eher gegen die Frau, die unbewußt und ungewollt ihre geheimsten Wünsche vereitelt hatte.
So verabschiedete sich der Priester mit bedrückter Miene, und Dietmar geleitete ihn zur Tür. Draußen jedoch beim Abschied drückte er dem Verdutzten einen Beutel in die Hand, prall gefüllt mit Münzen. „Gebt das meinem Sohn, Ethelo,“ sagte er, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, „er möge es nutzen für eine gute Zukunft.“ Und leise fügte er dann hinzu: „Und für die Zukunft seines Weibes und ihrer Kinder. Gott segne sie beide.“ Dann wandte er sich brüsk um, als schäme er sich für diese Worte, und trat ins Haus zurück.
Erstaunt