“Aber es muss doch ein Gegenmittel geben!”
Ein Kloß schnürte ihr den Hals zu und sie konnte nur noch mühsam die Tränen unterdrücken.
“Es gibt ein Gegenmittel, aber es ist bisher noch keinem Sterblichen geglückt, es von den Bergtryaden zu bekommen.”
Die letzten Worte hatte Schnurz nur noch geflüstert, so als erwarte er jeden Moment von einer unsichtbaren Hand ergriffen zu werden.
“Aber dann müssen wir sofort versuchen, diese Tyraden zu finden!”
Sally wollte schon voller Ungeduld losrennen, wurde aber gerade noch von Ziofotta zurückgehalten.
“Sie heißen Tryaden und du kannst nicht einfach losstürmen, um sie zu suchen. Wer sie sucht, hat sie noch nie gefunden, aber der, der sie fürchtet, wird von ihnen gefunden. Außerdem hast du Schnurz scheinbar nicht richtig zugehört. Es hat noch nie jemanden gegeben, der etwas von den Bergtryaden bekommen hat. Wer ihnen begegnet ist, ist nie wieder zurückgekommen.”
“Aber ich habe doch gar keine andere Wahl!”
Sally war nun wirklich den Tränen nahe. “Ihr habt doch selbst gesagt, dass sie meine einzige Hoffnung sind. Ihr könnt ja hier bleiben, ich jedoch werde versuchen, die Bergtryaden zu finden.”
Mit diesen Worten drehte sie sich um und stürmte los in die Dunkelheit. Schnurz und Ziofotta wollten noch etwas erwidern, aber schon war sie verschwunden.
Sally hatte rein instinktiv gehandelt. Sie konnte sich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, dem Bösen zu verfallen. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander und als sie schließlich stehen blieb und sich umsah, hatte sie sich schon weit von ihren Freunden entfernt. Ein mattes Dämmerlicht umgab Sally, dessen Herkunft unerklärlich war und es herrschte eine unheimliche Stille. Sie konnte förmlich ihr Herz schlagen hören. So sehr sich Sally auch anstrengte, vernahm sie kein anderes Geräusch, als ihren eigenen Atem. Panik machte sich in ihr breit. Urplötzlich wurde ihr bewusst, dass sie alleine war.
“Schnurz! Ziofotta!”
Dumpf hallte ihr Ruf durch den Gang, durch den sie gelaufen war, doch es kam keine Antwort. Es war, als ob jeder Laut von etwas unsichtbarem verschluckt wurde. Sally rief noch einmal, bekam aber auch jetzt keine Antwort. Zögernd ging sie in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Sich selbst zur Ruhe zwingend versuchte sie sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, ob sie auf ihrem Weg an irgendwelchen Abzweigen vorbei gekommen war, konnte sich aber an keinen erinnern. Dann beschleunigte sie ihre Schritte. Als sie um die nächste Ecke bog, blieb sie abrupt stehen. Der Gang teilte sich hier in drei Richtungen. Alle sahen sie gleich aus. Kalter Schweiß stieg ihr auf die Stirn. “Das kann doch nicht sein!”
Sally überlegte einen kurzen Moment und trat dann in den mittleren Gang hinein, drehte sich um und schaute in die Richtung, aus der sie gekommen war. Das Dämmerlicht machte es allerdings unmöglich, Einzelheiten zu erkennen. Von hier aus schien der vor ihr liegende Gang in gerader Linie weiterzugehen. Sie machte den gleichen Test mit dem zweiten und dritten Gang, immer mit dem gleichen Ergebnis. Es war ihr unmöglich, den Gang zu bestimmen, aus dem sie ursprünglich gekommen war. Niedergeschlagen kniete sie sich nieder, um sich auszuruhen und eine Entscheidung zu treffen. Vielleicht war es ja einfach besser, hier zu warten, bis Schnurz und Ziofotta kamen, um sie zu suchen. Aber was, wenn es noch mehr solcher Abzweige schon viel früher gab? Wie sollten sie sie dann finden? Auf einmal hörte sie Stimmen, ganz leise nur und in scheinbar weiter Entfernung, aber sie waren da. Ihr erster Impuls war aufzustehen und laut zu rufen, doch dann bemerkte sie, wie die Stimmen lauter wurden und es nicht nur zwei sondern noch mehr waren. Die Stimmen kamen aus der Richtung, aus der sie gerade gekommen war. Es konnten also gar nicht Schnurz und Ziofotta sein. Waren das etwa schon die Bergtryaden?
Sie sprang auf, um in die Richtung zu stürmen, aus der die Stimmen kamen, besann sich aber dann doch noch eines besseren. Was, wenn es stimmte, was ihr Schnurz und Ziofotta über die Bergtryaden erzählt hatten? Sie sollte erst einmal versuchen, etwas über die herannahenden Personen herauszufinden. Ihre Finger tasteten nach dem Kristall, um sich mit seiner Hilfe den Bergtryaden körperlos zu nähern. Er fühlte sich warm an und ein schwaches Licht pulsierte tief in seinem Innern. Sally schloss ihre Augen und begann sich darauf zu konzentrieren, ihren Körper zu verlassen, um mit ihrem Geist den Herannahenden entgegen zu gehen. Der Kristall wurde immer wärmer in ihrer Hand und begann zu pulsieren. Ruhe breitete sich in Sally aus. Sie versuchte, wie schon die Male zuvor, ihren Geist vom Körper zu trennen, aber es gelang ihr nicht. Stattdessen vernahm sie die Stimmen jetzt deutlich in ihrem Kopf. Es schienen drei weibliche Personen zu sein, die sich zwanglos unterhielten.
“ versucht, dieses Mädchen zu sich zu ziehen, um Besitz von ihr zu ergreifen. Allerdings scheint er langsam alt zu werden, denn plötzlich stürzte die Wand ein und hätte das Mädchen fast erschlagen. Dabei schien sich seine Energie gegen ihn selbst gerichtet zu haben, denn urplötzlich war er verschwunden.”
“Wir sollten versuchen, das Mädchen zu finden. Sie könnte für etwas Abwechslung sorgen. Schon lange hat uns niemand mehr besucht.”
Eigentlich sollte Sally zu Tode erschrocken sein sollen, aber sie fühlte nichts als Neugier.
“Wenn ihr so gut Bescheid über alles wisst, könnt ihr mir ja vielleicht auch helfen, den Fluch des Bösen von mir zu nehmen!”
Sally war über ihre eigenen Worte erschrocken. Sie hatte in Gedanken zu den Bergtryaden gesprochen und augenscheinlich hatten diese sie auch verstanden, denn es wurde plötzlich wieder ganz still.
“Wer bist du?”, hörte sie eine der Drei fragen.
“Das gleiche könnte ich euch fragen!”
Ihre Worte klangen hart und herausfordernd. Sally wunderte sich über sich selbst.
“Wir sind die Wächter zum Reich der Bergtryaden und wachen darüber, dass niemand unbefugt unser Reich betritt.”
“Und ich bin Sally, die Magierin aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, auf dem Weg, die böse Saldera zu bezwingen.”
“Dann warst du es, die den Herrscher über die Unterwelt in seine Schranken verwiesen hat?!”
Sally konnte das Staunen aus den Worten heraushören.
“Natürlich war ich es!”, antwortete sie, ihre kleine Chance erkennend. “Ich habe mich auf den Weg gemacht, euch um einen kleinen Gefallen zu bitten. Wie ihr wisst, hinterlässt der Herrscher der Unterwelt seine Spuren an jedem, den er jemals berührt hat. Ich konnte ihn zwar zurückweisen, aber trotzdem hat er es geschafft, ein Teil des Bösen auf mich zu übertragen. Ich möchte euch bitten, mich von diesem Übel zu befreien, damit ich meine Aufgabe vollenden kann.”
Es herrschte kurzzeitig Stille. Dann antworteten die Bergtryaden:
”Das können wir nicht selbst entscheiden. Wie du sicherlich weißt, ist es noch niemandem gelungen, der jemals in unserem Reich war, es wieder lebend zu verlassen.”
Enttäuschung machte sich in Sally breit.
“Es ist aber bisher auch noch nie eine Magierin in unser Reich gekommen. Wir werden dich mitnehmen, damit du dein Anliegen unserer Königin vortragen kannst. Sie wird dann entscheiden, ob sie dir helfen wird.”
Ein schwacher Hoffnungsschimmer keimte in Sally auf. Vielleicht hatte sie ja doch noch eine Chance. Sie öffnete die Augen und hätte fast vor Schreck aufgeschrieen, als sie direkt vor sich die drei Bergtryaden sah.
Sie blickte in gütige weiße Gesichter mit blonden Haaren. Die schlanken Gestalten waren in weiße Gewänder gekleidet, die wie alles hier, ein mattes Leuchten ausstrahlten.
“Folge uns!”
Sally hörte zwar die Stimme in ihrem Innern, konnte jedoch nicht ausmachen, welche der drei Gestalten zu ihr sprach. Als sie sich umwandten und losgingen, folgte Sally ihnen gehorsam.
Sie gingen in die Richtung, aus der Sally gerade gekommen war, zweigten dann jedoch mehrfach