„Was meint Ihr, Vater?“ Auch der Sohn spricht mit vollem Mund.
„Lehrt man dies bei den Boudingern?“, fragt seine Mutter, Gräfin Hildgard, eine zarte und schlanke Frau. Sie trägt einen leinenen grünen Hemdrock mit weiten Ärmeln, die schön verziert sind. Eine dunkler gefärbte Schnur gürtet sie. Ihr strohblondes Haar bekundet ihre nordische Abstammung. Es ist zu einem dicken Zopf gebunden, der über ihre linke Schulter auf die Brüste fällt. Hermann bedenkt sie mit einem gequälten Blick, den sie beschwichtigend mit ihren graugrünen Augen erwidert.
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„Wegen des Bauernmädchens. Warst du hier zum Frühlingsfest?“ Der Vater bleibt hartnäckig.
„Vater, wenn ich in Buodingen war, wie kann ich dann hier gewesen sein?“, erwidert Hermann erneut ausweichend. Hilfesuchend schaut er zu seiner Mutter.
„Auch das ist keine Antwort. So sage mir klar: Wo warst du zur Zeit des letzten Frühlingsfestes? Bedenke bei deiner Antwort, was sich für einen Edelmann, der du werden sollst, geziemt.“ Der Graf hat nun die Keule aus der Hand gelegt und greift mit beiden Händen nach seinem Bier, damit es ihm nicht aus den fettigen Händen rutscht.
„Lass doch die Sache ruh´n.“, mischt sich nun Gräfin Hildgard ein und steht damit ihrem bedrängten Kind zur Seite. „Willst du wegen einer kleinen Bauerndirne so ein Aufheben machen? Wenn er sagt, er war es nicht, dann glaube ihm doch. Oder ist so ein dummes kleines Ding ehrenhafter als dein eigener Sohn? Sie ist das Bruderkind eines unfreien Bauern, dein Eigentum. Selbst wenn Hermann Gefallen an ihr fände, so ist sie doch nur ein Spielzeug. Er kann ihr doch nicht verpflichtet sein. Der zukünftige Herr und die kleine Hure. Wo kommen wir denn da hin?“ Ihr ist das Thema zu wider. Für den Ehrenkodex ihres Mannes hat sie kein Verständnis. Unfreie und Leibeigene sind für sie keine Menschen. Notwendiges Übel, die die Arbeit zu erledigen haben und am Besten alles abgeben, ohne selbst etwas zu benötigen. Dummes Vieh! Ohne eigenen Willen, wenn es nach ihr ginge. Dreckiges Pack und weniger Wert, als die fahrenden Spielleute. Die gingen irgendwann wieder, wenn man sie nicht vorher weg jagte. Die Bauern blieben und machten, wie man jetzt wieder sah, nur Probleme. Sollten sich doch andere darum kümmern.
„Natürlich ist er höheren Wertes. Und doch sollte er wissen, dass er solches nicht tun sollte, auch wenn sie uns gehören.“ Graf Guntbert beharrt auf seinem Standpunkt der Ehrhaftigkeit. Die unfreien Bauern waren abhängig von ihnen, aber sie auch von den Bauern. Er hatte zum Einen keine Lust, sich selbst auf das Feld zu stellen und die schwere Arbeit zu tun und zum Anderen waren es auch Menschen, wenn auch von geringem Stand. Selbst ein gequältes Tier versucht sich zu wehren, wenn es in die Enge getrieben oder in Not gebracht wird. „Es gibt genug Huren, die ihm gerne zu Diensten wären. Doch bei den eigenen Bauern, frei oder unfrei, mag solch Verhalten zu Unruhe und Zorn führen. Wie leicht kann er erschlagen werden, treibt er sich doch so oft allein in der Gegend herum. Des Menschen Stolz ist nicht abhängig vom Stand. Der einfache und dumme Mensch ist oft unverständig. Und vielleicht deswegen auch sehr gefährlich.“ Seine letzten Worte betont er über deutlich. „Selbst dein Großvater hat das zu spüren bekommen, mein Sohn. Du kennst die Geschichte, als sich damals die Leibeigenen gegen ihn erhoben.“
Mit dieser Mahnung lässt der Graf die Sache ruhen. Seine Frau hat den Sohn schon immer in Schutz vor allem genommen. Sicher ist der Junge deswegen auch so verzogen. Der Graf hat es immer weniger vermocht, Einfluss auf seinen Sohn zu nehmen. Zunehmend hat die Gräfin sich um die Erziehung gekümmert und sogar ihn, den Vater, immer mehr verdrängt. Bald schon würde der Junge wieder nach Buodingen gehen. Dort, so hofft die Gräfin, würde er edles Benehmen lernen und eine junge Frau aus gutem Haus finden oder der Familie zu mehr Ansehen bei Hof verhelfen. Dort hegt man gute Beziehungen zu König Chlothar II. Bah, der Wanderkönig und sein Hofstaat. Jeder war froh, wenn die wieder weg waren. Guntbert sah den König bisher nur einmal. Als kleiner Junge wurde seinem Vater die Grafenwürde verliehen und ein gutes Stück Land am Lauf der Chynzych zu Lehen gegeben. Damals war Sigibert I König in seinen letzten Tagen. Ein König kostet nur Geld. Von hohem Ansehen würde er, der Graf, auch nicht reicher werden. Das würde bestimmt nur noch mehr Geld kosten.
Zu später Stunde lässt der Graf noch einen Brief an die Boudinger schreiben und übergibt ihn seinem Meier, er möge ihn baldigst nach dort bringen lassen. Das Verhalten von Frau und Sohn wird zunehmend seltsamer und abweisender ihm gegenüber.
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Tage später macht sich Hermann wieder auf den Weg nach Buodingen. Am Vortag bereits hatte sein Vater, in Begleitung von zwei Knechten, die Motte verlassen. Er sei auf der Jagd, hatte er gesagt. Die Satteltaschen des jungen Herren sind gepackt und aufgelegt. Er sitzt schon im Sattel und winkt seiner Mutter zu, als der Meier angerannt kommt. „Junger Herr!“, ruft er im Laufen. „Junger Herr, da wäre noch ein Schreiben eures Vaters. Ich fand bis heute leider keinen, der ihn bringt. Wäret ihr so freundlich, ihn mitzunehmen?“
„Wenn es denn sein muss.“, ist die missmutige Antwort. Wie jeden Brief, den sein Vater bisher nach Buodingen schickte, würde er auch diesen zuvor der Gräfin bringen. Seine Mutter sorgt dann schon dafür, dass ihr Sohn auch weiterhin sein fröhliches Leben genießen kann. Die Vorstellungen und Pläne des Vaters waren noch niemals die der Mutter gewesen. Ehrhaftes Verhalten ist etwas für Narren, doch niemals für jene, die hoch hinaus wollen. Einfluss und Macht bekommt man nicht dadurch, dass man seine Bauern gut behandelt und gute Geschäfte macht. Härte und Strenge für die Niederen, Intrige und Niedertracht den Gleichen und tückische Demut den Hohen, so war ihre Lehre für ihn gewesen. Und danach lebt er auch, wenn er auch nicht wirklich den Sinn von allem versteht.
Nach den Plänen seiner Mutter soll er dereinst großes Ansehen am königlichen Hofe haben. Mehr noch, als Graf Buodo, der sich zwar eigentlich, wie Graf Guntbert, einen Dreck um diese Beziehungen kümmert. Zum Glück denkt seine Frau anders darüber. Ihr ist es wichtig, wie man bei Hofe denkt. Also hat sie eigens zur Lehre des höfischen Lebens einen Lehrer für ihren Sohn in Dienst genommen. Dies hat sich Hildgard zu Nutzen gemacht und lässt Hermann ebenfalls dort lernen, gegen eine geringe Beteiligung an den Kosten. Ist Hermann erst einmal der Graf und nutzt, unterstützt durch seine Mutter, seine Beziehungen, wird das Ansehen steigen und damit lassen sich dann Macht und Einfluss ausdehnen. Findet der Junge dann noch eine Frau aus gutem Hause, mag das den Vorteil nur noch erhöhen. Ehrbares und rücksichtsvolles Verhalten, so hat ihm die Mutter beigebracht, sind dabei fehl am Platze.
So hört Hermann in Buodingen, wie er sich benehmen sollte, doch seine Mutter erklärt ihm, wie er dies zu seinem Nutzen einzusetzen hat. Na gut, was er mit Magda, diesem Bauernkind getan hat, war nicht von Nutzen, doch von sehr hohem Vergnügen. Und das ist Hermann zurzeit immer noch am wichtigsten. Ihm muss man zu Diensten sein, andernfalls nimmt er sich halt, was er begehrt.
„So gebt schon her, Meier.“ Mürrisch greift der junge Graf nach dem gereichten Schreiben. Als er den Brief in Händen hält tut er so, als fiele ihm noch etwas ein. „Oh, das will ich noch.“, spricht er scheinbar zu sich selbst, gilt es doch mehr dem Meier. „Halte das Pferd“, sagt er zu dem Stallknecht, der schon bisher das Tier hielt und steigt wieder vom Pferd. Zügig geht er, vorbei am Meier, zurück ins Haus zu seiner Mutter.
Dabei übersieht er das leichte Grinsen in des Meiers Mundwinkeln. Hatte der doch genau dies erwartet. Er wusste, was hier vor sich ging. Jeden Brief ersetzt die Gräfin durch einen eigenen. Jedes Mal das gleiche Spiel. Dieser junge Fant bildete sich wer weiß was ein. Irgendwann würde er es dem Burschen schon zeigen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Gräfin ihm den Auftrag erteilen würde und der Graf wäre nicht mehr. Wie damals mit der Amme. Diese dumme Alte dachte ein Geschäft machen zu können. Nicht mit denen von Lanczengeseze. Nach angemessener Zeit würde er dann die Gräfin zum Weibe nehmen und Herr über die Ländereien und die Bauern sein. Dann gäbe es für den Jungen nichts mehr zu lachen, oder zumindest nicht mehr für lange. Doch das war dann seine, des Meiers, Sache. Nur durfte er darüber noch nicht reden. Er durfte noch gar nichts. Noch musste er sich fügen. Keiner sollte je davon gewahr werden. Die Gräfin konnte man schon erziehen und falls nicht, … Das Grinsen auf seinen Zügen fror ein. Auf jeden Fall weiß man sich bis dahin Nächtens miteinander zu vergnügen.