Die versteckte Welt. Ina van Lind. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ina van Lind
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847626244
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knallrot, so peinlich war ihr der Gefühlsausbruch von eben. Am liebsten hätte sie die letzten Minuten rückgängig gemacht.

      „Sag bloß, du hast das gar nicht gemacht?“

      Da begann Nele leise zu schluchzen. „Wieso bist du nur so gemein zu mir? Ich habe nichts, überhaupt nichts getan. Ich weiß nicht mal, von welcher Kugel du sprichst.“

      Die Sätze kamen stockend aus Neles Mund. Wie Kaugummiblasen, die die Luft schon verloren hatten, bevor sie aus dem Mund kamen und mit einem sanften Blubb zusammenfielen, statt mit einem satten, kleinen Knall zu platzen. Neles Worte reihten sich wie eine Perlenkette auf, die um Rikes Hals enger und enger wurde. Es war, als würden alle Erlebnisse, die sie mit Nele in den letzten Jahren hatte, um sie herum zu tanzen beginnen und sich zu bunten Kreisen verwandeln. Immer schneller drehten sie sich um sie und ihr wurde ganz schwindlig dabei.

      Verlegen sah sie Nele an und sagte nur: „Es tut mir leid! Ich habe mich wohl geirrt.“

      Doch damit gab sich Nele nicht zufrieden.

      „Es tut dir leid? Du hast dich geirrt? Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Wie wäre es, wenn du mir endlich verraten würdest, worum es hier eigentlich geht?“

      „Ja, ich erkläre dir das irgendwann einmal, okay?“

      „Nein!“, fuhr Nele hoch. Nun überschlug sich ihre Stimme. „Das ist unfair! Ich will jetzt wissen, was los ist! Du behauptest, ich hätte etwas aus deinem Zimmer genommen und dann sagst du einfach, du hättest dich geirrt. Ich will aber jetzt sofort wissen, was es mit den Kugeln auf sich hat. Seit ein paar Tagen bist du so anders - so, so seltsam. Noch viel seltsamer, als sonst.“

      „Pffff.“ Rikes schlechtes Gewissen von eben war wie weggeblasen.

      Zu viel Eifersucht hatte sich in den letzten Jahren aufgestaut. Zu viel Neid, zu viel Rivalität. Die kleine Schwester, die immer besser war als sie. Ob in der Schule oder zu Hause. Die fleißige, ordentliche, immer vorbildliche Nele. Die kleine Schwester, die so entzückend, so süß aussah, wie alle sagten. Gewiss reizender als Rike. Mama und Papa mochten sicher Nele auch viel lieber als Rike. Und jetzt wollte sich Nele auch noch in diese Farbenweltgeschichte einmischen. Wahrscheinlich nur, um sich hinterher als große Heldin feiern zu lassen. Wie immer. Klar. Das sah ihr ähnlich. Es war Nele durchaus zuzutrauen, dass sie sich die Kaugummikugel unter den Nagel gerissen hatte. Sicher tat sie nur so, als wüsste sie von nichts. Stattdessen wartete sie nur darauf, durch Rikes Erzählungen eine Art Gebrauchsanweisung zu bekommen. Nein! So einfach würde sie es Nele nicht machen. Diesmal wollte Rike die Heldin der Geschichte sein. Dieses Abenteuer war für Rike gemacht. Nicht für Nele. Ganz sicher nicht für Nele. Dafür würde sie schon sorgen!

      Nele blies geräuschvoll ins Taschentuch und als Rike noch immer wutentbrannt zur Tür stürmte, hörte sie Nele aus dem Taschentuch schnauben: „Marie kommt heute noch vorbei und bringt dir die Hausaufgaben vorbei und das, was sie in der Schule heute durchgenommen haben.“

      „Mhm“, ließ Rike noch verlauten, knallte die Türe zu und damit war dieses traurige Schauspiel fürs Erste beendet.

      Als sie zurück in ihr Zimmer kam, fegte Minka gerade mit einem kleinen roten Gummiball durch den Raum, den sie geschickt mit ihren Pfoten mal links, mal rechts weiter schubste. Nun raste sie dem Ball nach, der unter Rikes Bett gerollt war. Rike blieb amüsiert vor ihrem Bett stehen und hörte dem Getöse unter dem Bett zu. Jetzt klemmte der Ball wohl hinter dem Bettpfosten und Minka kam ohne ihn wieder hervor. Rike griff nach ihr und trug sie in den Flur.

      „So, kleine Miezekatze, du musst nun nach Hause, sonst gibt Oma Luise noch eine Vermisstenanzeige auf!“ Damit öffnete sie die Haustüre und ließ Minka ins Freie. Rike stutzte, als die Katze ums die Hausecke strich. Minkas Schwanzspitze war doch immer schwarz gewesen. Und nun war die Spitze ebenso weiß, wie der Rest. Rike schüttelte den Kopf. Ach was, sie hatte sich bestimmt getäuscht!“

      „Du kannst ja schon wieder ganz gut laufen!“, lästerte Nele über das Treppengeländer hinweg.

      „Hm“, brummte Rike gereizt. „Stell dir vor, jetzt geht es mir sogar wieder so gut, dass ich morgen wieder zur Schule gehen kann. Darüber freust du dich bestimmt, oder täusche ich mich da?“

      „Ist mir doch egal“, gab Nele zurück und verschwand in ihrem Zimmer.

      Kapitel 8: Der entscheidende Tipp

      Marie saß mit leuchtenden Wangen in Rikes Zimmer und lauschte ihren Erzählungen.

      „Und du hast das alles wirklich nicht geträumt? Bist du dir ganz sicher?“

      Auf einmal prustete sie los: „Meine Güte, bin ich doof. Jetzt hätte ich dir beinahe die Geschichte abgenommen.“

      Rike rollte mit den Augen. „Marie, hör auf! Das ist jetzt gar nicht witzig. Ich hab dir keinen Quatsch erzählt. Es stimmt. Ob du es nun glaubst, oder nicht.“

      „Ehrlich?“

      Rike nickte.

      „Ist ja der Hammer! Zeig mir doch mal die Kugeln, von denen du erzählt hast.“

      Rike hielt den Beutel hoch. Marie sah sie sich ganz genau an. „Die sehen wirklich wie Kaugummikugeln aus. Und damit funktioniert es? Tut mir leid, aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

      „Ich weiß zwar nicht, wie es wirklich abläuft, aber es klappt tatsächlich.“

      „An was kannst du dich denn erinnern?“

      „Ganz einfach: Ich nehme die Kugel in den Mund und dann komme ich in diese andere Welt.“

      „Aha.“

      „Ich glaube, dass hier sogar die Zeit stehen bleibt, solange ich in der anderen Welt bin.“

      „Wie praktisch! Vielleicht sollten wir es ja mal gemeinsam ausprobieren“, überlegte Marie. „Ich meine, du kaust die Kugel und ich beobachte das Ganze. Dann kann ich dir erzählen, was mir aufgefallen ist. Was hältst du davon?“

      „Ich weiß nicht. Ich denke drüber nach. Heute schaffen wir es sowieso nicht mehr. Meine Mama kommt gleich nach Hause und ich muss die Hausaufgaben und die Hefteinträge noch machen. Aber vielleicht können wir uns ja morgen Nachmittag treffen?“

      Marie stimmte zu, sah aber enttäuscht aus. Doch für Rike war das alles noch zu aufregend, um diese Geschichte mit Marie zu teilen. Einerseits war Marie ihre einzige, wirkliche Freundin. Sie vertraute ihr und so gab es eigentlich nichts, was dagegen sprach. Trotzdem. Es sollte erst einmal ihr Abenteuer bleiben.

      Marie verabschiedete sich schnell. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, nicht zu lange zu bleiben und noch im Lokal mitzuhelfen, das ihre Mutter vor ein paar Jahren übernommen hatte.

      „Bitte, komm morgen wieder zur Schule! Erstens ist es verdammt langweilig ohne dich und zweitens will ich wissen, ob du noch was erlebt hast.“

      Eine halbe Stunde später rief Marie noch mal bei Rike an. Nele hatte den Hörer abgenommen und gab ihn an Rike weiter.

      „Rike, ich glaube, ich weiß, wo die rote Kugel ist.“

      Lärm drang an Rikes Ohr. Deswegen brüllte Marie in den Hörer, um das Stimmengewirr zu übertönen. Rike konnte geradezu sehen, wie Neles Ohren immer größer und größer wurden. Bald wird sie ein Elefant sein, dachte sie gehässig. Würde ihr ganz recht geschehen.

      „Wo denn?“, nuschelte Rike in das Telefon, damit Nele nicht alles mitbekam.

      „Was hast du gesagt?“, plärrte Marie wieder. Entnervt verließ Rike den Raum. „Wo denn?“, wiederholte sie dieses Mal ein bisschen lauter.

      Marie stand nun wohl direkt neben der Stereoanlage im Lokal ihrer Mutter, denn plötzlich drang zu dem Stimmengewirr auch noch laute Musik an Rikes Ohr. Sie musste genau hinhören, um Marie zu verstehen.

      „Du hast doch erzählt, dass die Tüte über den Rand deines Nachttischchens