Ilara sah verzweifelt aus. „Ich weiß nicht, ob ich das kann, Celsa. Ich habe Angst vor ihm, vor seiner Kraft und seinem …:“
Sie beendete den Satz nicht, aber die Sklavin schien verstanden zu haben.
„Wenn es mit Liebe und Mitgefühl passiert, kann man lernen, es zu genießen. Aber wenn die Männer es mit Gewalt erzwingen, zerstören sie nicht nur das Hymen, sondern auch die zarte Seele der Frau.“
Ilara war neugierig geworden. „Erzähle, Celsa, wie war es bei dir? Warst du verheiratet? Hattest du Kinder?“ Sie stellte fest, dass sie nichts von dem Vorleben ihrer Leibsklavin wusste.
Celsa blickte zu Boden. Sie sah plötzlich sehr traurig aus. „Ja, ich war verheiratet und hatte einen Sohn. Mein Mann kämpfte gegen die Römer. Sie töteten ihn im Kampf. Ich musste ihn begraben.“ Die Dienerin stockte, die Erinnerungen überwältigten sie. Ilara legte ihr freundschaftlich den Arm um die Schultern. Celsa schluckte schwer, dann fuhr sie fort. „Etwa drei Monate danach kamen die Römer in unser Dorf. Sie setzten es in Brand und verschleppten die Frauen und Kinder. Ich hatte erst kurz zuvor gemerkt, dass ich erneut schwanger war. Das Kind musste kurz vor Gregorios Tod gezeugt worden sein.“ Wieder machte sie eine Pause. Ihr Gesicht wirkte plötzlich wieder völlig versteinert. „Nächtelang haben sie meinem Körper Gewalt angetan, und schließlich verlor ich das Kind. Mit der Fehlgeburt und dem ganzen Blut, das aus meinem Unterleib rann, verlor ich auch jegliches Vertrauen in Männer. Es tropfte mit jedem Blutstropfen aus mir heraus.“
Ihre Stimme erstarb. Celsas Blick war starr und wirkte leer.
Ilara wusste nicht, was sie sagen sollte. Nun verstand sie, warum ihre Leibsklavin so verschlossen und still war. Sie hatte Schreckliches erlebt. Ihr Hass auf die Römer musste abgrundtief sein. „Was wurde aus deinem Sohn?“
Celsa hob die Schultern. „Ich weiß es nicht, Domina. Er hieß Sergios und war sechs Jahre alt, als sie ihn wegführten. Auch er ist in die Sklaverei gegangen, vermute ich.“
Die Dakerin blickte in die Ferne, als suchte sie nach ihrem verlorenen Sohn. Sie sagte kaum hörbar: „Jede Nacht sehe ich sein kleines Gesicht vor mir. Ich sehe, wie er weint und schreit, als sie ihn in Ketten legen und von mir wegzerren. Jede Nacht…“
Ilara nahm die Sklavin in den Arm und drückte sie fest an sich.
„Es tut mir so schrecklich leid, Celsa! Ich wusste ja nicht, was du durchgemacht hast. Ich schäme mich dafür, dich bisher nicht danach gefragt zu haben!“
Die Dienerin zuckte die Achseln. „Schon gut, Domina! Ihr konntet es ja nicht wissen!“
„Es muss schlimm für dich sein, einer Römerin zu dienen, nicht wahr?“ Ilara hatte ein schlechtes Gewissen.
Celsa schüttelte den Kopf. „Es könnte schlimmer sein! Ich bin nicht in einem Lupanar gelandet. Aber es tut mir weh mit anzusehen, wenn sich ein Römer so gefühllos und gewalttätig benimmt wie Euer Gatte und seiner Frau so etwas antut.“ Sie zeigte auf die Blutflecken auf Ilaras Nachthemd. Der jungen Ehefrau war klar, dass die Sklavin Lucius‘ Verhalten vom Vorabend meinte. „Ich habe Euch ein Kamillensitzbad zubereitet. Das hilft, die Schürfwunden zu heilen. Dann werde ich Euch beim Ankleiden und Frisieren helfen. Eure Schwiegermutter hat schon nach Euch gefragt. Sie ist aufrichtig besorgt, wie mir scheint.“
Ilara ließ sich von Celsa helfen. Tatsächlich half das Sitzbad. Auch wenn es zunächst sehr brannte, ließ der Schmerz doch nach einiger Zeit nach. Den seelischen Schmerz konnte die Kamille jedoch nicht lindern. Ilara wusch sich mit Celsas Hilfe, ließ sich mit duftenden Salbölen einreiben und schließlich ankleiden. In ihrer blauen Tunika ging sie zum Frühstück.
Besorgt blickte die Schwiegermutter in Ilaras Gesicht. „Du siehst sehr blass aus, Liebes! Ich werde deine Mutter nach einem Stärkungstrank fragen. Du scheinst ein wenig blutarm zu sein.“
Sie bedachte Lucius mit einem verärgerten Blick, worauf sich der frisch gebackene Ehemann erhob und auf Ilara zuging. Wortlos nahm er sie in den Arm – es war eine gänzlich emotionslose Umarmung. Dann setzte er sich wieder und löffelte lustlos in seinem Brei.
Tibulla schob Ilara den Klappstuhl hin und goss ihr warme Milch in einen Becher. Sie wies die junge Frau darauf hin, dass sie am Abend als Gastgeberin aufzutreten habe. Die Gäste erwarteten von ihr, dass sie als neue Hausherrin die Hochzeitsgäste bewirtete und sich für die erhaltenen Geschenke bedankte. Ilara wusste, was von ihr erwartet wurde. Sie nickte mechanisch. Die Schwiegermutter zählte alles auf, was sie für das Festmahl vorgesehen hatte. Zuletzt erwähnte sie, dass es auf Lucius‘ Wunsch eine kleine schauspielerische Darbietung geben werde. Entsetzt blickte Ilara Tibulla an. Das durfte doch nicht wahr sein! Würde ihr Glycera den ersten Abend als Ehefrau verderben? Sie suchte Lucius‘ Augen, doch er wich ihrem bohrenden Blick aus. Stattdessen lächelte er naiv seine Mutter an, die ihm die Hand streichelte. Tibulla schien Ilaras entsetzten Blick fehl zu deuten. „Du brauchst noch Ruhe, Liebes! Das sehe ich.“ Und zu Ilaras Leibsklavin gewandt, fuhr sie fort: „Celsa, nach dem Essen, bringst du Ilara auf ihr Zimmer! Dann schicke ich dich zu Elvas. Sie soll sich ihre Tochter einmal ansehen. Bestimmt kennt sie ein Mittel, sie wieder in Form zu bringen!“
***
Als Celsa Tibullas Nachricht vom Schwächezustand Ilaras überbrachte, war Alpina sofort alarmiert. Sie überredete Elvas, sie begleiten zu dürfen. Wegen der Hochzeitsfeierlichkeiten war sie ohnehin vom Unterricht befreit.
Sie erreichten das Haus des Soterichus zur fünften Stunde. Von Lucius und Tiberius war nichts zu sehen. Die Haussklaven waren damit beschäftigt, neuen Blumenschmuck anzubringen und die Leckereien für das Festmahl vorzubereiten. Tibulla hatte alle Hände voll zu tun, die Dienerschaft zu delegieren. Sie schickte Elvas und deren jüngere Tochter in Ilaras neue Gemächer.
Alpina sah sofort, dass es nicht Ilaras Körper war, der schlimmen Schaden genommen hatte, sondern ihre Seele. Sie überließ es jedoch der Mutter, sich um die junge Ehefrau zu kümmern und hielt sich im Hintergrund. Auch Elvas stellte fest, dass ihre Älteste blass war. Sie fühlte Puls und Stirn. Dann fragte sie nach Schmerzen. Ilara berichtete von dem Sitzbad gegen die schmerzenden Wunden. Die Mutter nickte. „Gut. Lass mich mal sehen. Ilara zog sich aus, und Elvas begutachtete die Verletzungen. „Hm, das mit dem Kamillensitzbad war schon gut und richtig. Du musst das jetzt täglich wiederholen. Nimm zu gleichen Teilen Eichenrinde und Kamille. Ich bringe dir heute eine ausreichende Menge vorbei. Außerdem darfst du die Woche nicht in die Therme, und Lucius soll seine Finger von dir lassen. Sag´ ihm das!“
Alpina erkannte, dass Ilara nicht wusste, ob sie sich über dieses Verbot freuen sollte oder nicht. Einerseits war sie sicher froh, dass Lucius sie nicht erneut anrühren durfte, andererseits wusste sie auch, dass ihn das mit Sicherheit erneut in die Arme Glyceras treiben würde. Diese Vorstellung gefiel ihr offensichtlich ebenso wenig wie die Aussicht auf sein Gesicht, wenn sie ihm verbieten würde, sie anzurühren.
„Außerdem“, fuhr Elvas fort. „hat Tibulla recht, du bist blutarm. Ich verordne dir einen Trank aus blutbildenden Heilkräutern und eine Diät. Du solltest gerade jetzt, wo die Jahreszeit günstig dafür ist, rote Früchte essen: Kirschen, Johannisbeeren, Himbeeren und Brombeeren. Ich werde dir Kräuter schicken und Tibulla bitten, dir das Obst besorgen zu lassen.“
Gehorsam nickte Ilara. Es blieb den Schwestern keine Zeit, um sich unter vier Augen zu unterhalten. Elvas drängte zum Aufbruch, um die Kräuter mischen zu können, bevor das Festessen begann.
***
Lucius knurrte ungehalten, als Elvas ihm zur Begrüßung am Nachmittag klar machte, dass er seine junge Frau einige Tage unberührt lassen musste. Nicht, dass er es wirklich bedauerte, schließlich war Ilara steif wie ein Brett unter ihm gelegen. Für ihn hatte Sex mit ihr ungefähr die Attraktivität eines faden Imbiss. Verglichen mit Glyceras Können auf diesem Gebiet war Ilara eine Vestalin. Er schwelgte lieber in üppigen Leckereien, als dröge Hausmannskost hinunterzuwürgen. Doch