„Centurio, sie können nicht weit sein! Ich habe einige Fußspuren im sumpfigen Gelände gefunden. Nur wenige Schritte von hier hat hinter den Bäumen offenbar ein Komplize gewartet, bereit die gestohlene Ware abzutransportieren. Wir könnten sie kriegen!“
Caius nickte und schickte zwei weitere Männer mit ihm, so dass er mit den vier Verbliebenen bei dem Verletzten warten konnte.
Der Frumentarius Fabatus reichte dem Centurio seine Feldflasche mit Wasser. Der leerte einen Teil davon über dem Gesicht des Alten aus. Das zeigte Wirkung. Er hustete, blinzelte und riss dann abwehrend die Hände vor das Gesicht.
„Nein, nein, tut mir nichts! Ich habe nichts! Ich bin ein armer Schuster, auf dem Weg zum Erntefest. Ich habe nicht viel! Nehmt, was ich habe, aber lasst mich leben!“
Caius beruhigte den Mann. Nach einigen Anläufen brachte der Alte seine Erlebnisse hervor. Er war auf dem Weg zum Erntefest in Bratananium gewesen. Dort wollte er auf dem gleichzeitig stattfindenden Markt Leder kaufen und seine Ware anbieten. Plötzlich war ein Mann mit gezücktem Dolch direkt vor ihm auf die Straße gesprungen, und im nächsten Moment war ihm schwarz vor Augen geworden. Ein Blick in seine Rucksacktrage verriet, dass die Räuber das Geld gefunden hatten. Auch sein kleines Messer hatten sie entwendet.
Caius schickte Fabatus nach Bratananium zurück, um den Beneficiarius zu holen. Er wies ihn zudem an, für den Alten ein Handpferd mitzubringen, damit er nach Hause reiten konnte. Dann versicherte er dem Überfallenen, dass man ihn sicher geleiten würde.
Nur kurz nachdem Fabatus nach Bratananium zurückgaloppiert war, kam einer der Equites von der Verfolgertruppe auf sie zugeritten. Atemlos hielt er sein Pferd an.
„Sie sind über den See entkommen, Centurio! Am Ufer haben sie den Wagen zurückgelassen und sind mit einem Boot davon gerudert. Wir konnten ihnen nicht folgen. Es waren vier Mann, Centurio!“
Caius bedankte sich und gab den Befehl, die Verfolgung abzubrechen. Der Regen hatte inzwischen ein wenig nachgelassen, und das Wasser bildete in den Spurrillen der gekiesten Straße kleine Pfützen.
Der Centurio gab den Abmarschbefehl, spornte sein Pferd an und führte seine Equites im Eiltempo nach Cambodunum. Eines stand fest: das Problem mit den Räubern war dringlicher als er gedacht hatte.
***
Da die Regenschauer erst nach Mittag aufhörten, und der Festplatz total durchnässt war, beschloss der Stammesrat von Bratananium, das Getreideerntefest auf den kommenden Tag zu verschieben. Nach dem Essen setzten sich die Frauen zusammen; sie bastelten Strohpuppen und Ährenkränze für das Erntefest. Pertha fragte ihre Enkelin, ob sie in ein paar Tagen mit ihr eine Schwangere besuchen wolle, die in Kürze gebären würde.
Alpina nickte eifrig. „Warum gehst du zu ihr? Wirst du denn nicht gewöhnlich von den Männern oder Verwandten geholt, wenn es losgeht?“
„Die Frau hat schon zwei gesunde Kinder, aber die letzten beiden Schwangerschaften endeten vorzeitig mit einer Fehlgeburt. Deshalb besuche ich sie seit einiger Zeit in regelmäßigen Abständen, um zu überprüfen, ob es dem Kind gut geht. Diesmal scheint es zu klappen. Der errechnete Termin steht unmittelbar bevor.“
Das Mädchen freute sich. „Könnte es sein, dass wir gleich da bleiben?“
Die Großmutter nickte. „Wir verbinden die Pflicht mit dem Angenehmen und besuchen Ritali und Knuse Vispekhanu, Freunde von Großvater und mir.“
Elvas horchte auf. „Ihr besucht Ritali und Knuse? Wie geht es ihnen denn? Hören sie ab und zu von ihrem Sohn Pithie?“
Pertha schmunzelte. „Den beiden geht es gut. Sie ziehen seit einigen Jahren ihren Enkel Remi auf. Pithie ist ja, wie du weißt, bei einer römischen Hilftruppe. Er ist jetzt die meiste Zeit in Nordafrika: Iudaea, Syria, Aegyptus. Sein Sohn ist bei den Großeltern besser aufgehoben. Er ist jetzt etwa siebzehn.“
Elvas blickte traurig in die Ferne. „Sieht er seinem Vater ähnlich?“
„Ja, er sieht Pithie sehr ähnlich. Wobei ich die Mutter nicht kennen gelernt habe. Ritali und Knuse erzählten, dass sie noch jung gestorben sei, weshalb Pithie wohl auch beschloss, das Kind bei seinen Eltern zu lassen. Inzwischen soll er noch eine Tochter haben. Aber die haben Ritali und Knuse noch ebenso wenig gesehen wie die Frau dazu. Sie leben bei ihm in Nordafrika.“
Pertha sah ihre Tochter lange an, dann wandte sie sich an Alpina: „Du wirst Remi und seine Großeltern morgen beim Fest kennen lernen. Sie sind sehr nett!“
Die Frauen vertieften sich erneut in ihre Arbeit. Bald hatten sie genug Strohpuppen und Ährenkränze gebastelt.
Monat August, am Tag vor den Nonen des August
Der Festtag begann für Alpina mit Bauchkrämpfen und Kopfschmerzen. Sie kannte die Symptome mittlerweile recht gut und wusste, dass ihre Mondblutung bevorstand. Allerdings hoffte sie, zumindest die Feiern noch mitmachen zu können. Sie fragte ihre Mutter und die Großmutter um Rat. Übereinstimmend entschieden die Obstetrices, es mit einem Trank aus der Wurzel der Angelica, Gänsefingerkraut, Hirtentäschel und Melisse zu versuchen. Das Gebräu schmeckte würzig, und sie hatte schon bald das Gefühl, dass die Bauchkrämpfe nachließen.
Das Fest der Getreideernte wurde mit viel Tanz und Musik gefeiert. Es war neben dem Frühlingsfest eine beliebte Gelegenheit für die Partnerwahl. Alpina lernte Etuni, Estas und Secunda kennen, die alle in diesem Jahr erstmals ihre Blutung bekommen hatten. Auch sie trugen die komplette Tracht der raetischen Frauen. Die Mädchen kicherten aufgeregt. Für alle drei war der Zeitpunkt gekommen, sich den heiratsfähigen Männern der Region zu zeigen. Die Eltern würden dann versuchen, einen guten Partner für sie zu finden und das Brautgeld auszuhandeln. Allen Mädchen schien die komplette Tracht mit den großen Flügelfibeln und dem langen Überkleid noch ungewohnt zu sein. Sie bewegten sich langsam und vorsichtig.
Der Festplatz war herrlich geschmückt, und auch die Wettergötter hatten ein Einsehen. Die Sonne strahlte vom Himmel und hatte bis zum Mittag die regenfeuchte Erde einigermaßen getrocknet.
Pertha und Lasthe nahmen Alpina bei der Hand. Sie gingen von einem zum anderen, um ihre Enkelin den Festbesuchern vorzustellen. Die meisten kannte Alpina bereits, weil sie schließlich jedes Jahr die Ferien in Bratananium verbrachte. Aber zum Frühlings- und Getreidefest kamen auch Bauern aus der Umgebung mit ihren Frauen und Kindern. Als sie ihre Runde bereits beendet hatten, trafen Ritali und Knuse ein, auf die Pertha und Elvas schon sehnlichst gewartet hatten. Das Ehepaar war etwa im gleichen Alter wie Alpinas Großeltern. Ritali war klein und hatte leuchtend blaue Augen, mit denen sie Alpina und Elvas an strahlte.
„Wie schön dich mal wieder zu sehen Elvas! Und das hier muss deine Tochter sein, nicht wahr? Sie sieht dir sehr ähnlich! Pertha sagte, du hättest zwei Töchter? Werden wir auch die andere einmal sehen?“
Elvas lächelte. „Schön, dass es euch gut geht. Meine älteste Tochter Ilara ist frisch verheiratet. Sie ist in Augusta Vindelicum geblieben.“
Der ältere Mann, der ganz wie Lasthe einen weißen Vollbart trug, nahm Elvas in den Arm. Er hielt sie lange fest, dann sprach er mit dunkler Stimme: „Ich hoffe, es geht dir gut, Elvas? Wie steht es mit deinem Mann? Behandelt er dich gut?“
Alpina horchte auf. Warum sollte ihr Vater sie nicht gut behandeln?
„Oh ja, Knuse! Sehr gut! Caius ist mein Fels in der Brandung! Was hört ihr von Pithie?“
Der alte Mann seufzte. „Wenig, Elvas. Er ist im Augenblick in der Provinz Iudaea stationiert. Seine neue Frau ist Jüdin. Mit ihr hat er eine Tochter.“
Dann