Wolfgang Greuloch
Anea
Heats and Colds
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Inhaltsverzeichnis
Wanderung
Schwärze!
Dunkelheit!
Matter Schein. Licht. Das Licht wird farbig, Schemen und Konturen treten hervor, ein grüner Schimmer umhüllt Anea.
Langsam zerfällt das Grün in Nuancen, in einzelne Flecken, wird gegenständlich, wird zu Baumstämmen, welche zu hundertfachen Zweigen auseinanderlaufen, die ebenfalls wieder Grün tragen und manchmal unter ihrer Last bis auf den Boden herabsinken; Schlingpflanzen, die Bäume hoch rankend, so als wollten sie eine Gemeinschaft mit ihnen erzwingen, die selbst, manchmal schlank, manchmal wuchtig, in die Höhe ragen. Farne, die in Sträußen aus dem Waldboden wuchern, an unzähligen Stängeln kleine und kleinste Blätter bilden. Schemenhaftes Licht fällt durch die Baumkronen, und auf dem mühsamen Weg zum Boden wird aus dem warmen Schein ein grünliches Flimmern.
Anea sieht das Geschöpf ihr gegenüber, die Arme vor dem Korpus gekreuzt, mit seiner gleichförmigen Gestalt, bedeckt mit grünlichen, kleinförmigen Schuppen, scheint es mit den Pflanzen verschmolzen zu sein.
„Erkennst du mich?“, fragt es.
„Du bist Larus“, antwortet Anea.
„Der Creator stellt dir eine neue Aufgabe.“
„Wer ist der Creator?“, fragt Anea.
„Es ist noch zu früh darüber zu sprechen. Später wirst du es verstehen. Jetzt würde es dich verwirren.“
Verwirren?
„Ist das ein Geheimnis?“, fragt Anea.
Sie weiß, was ein Geheimnis ist. Das ist etwas, das keiner wissen darf, außer ganz wenige.
„Nein, aber eines Tages wirst du für die Antwort bereit sein. - In einem Land jenseits der Berge wohnen die Heats und die Colds. Sie sind seit unendlicher Zeit miteinander verfeindet. Der Creator hat dich auserkoren, Frieden zwischen ihnen zu stiften. Dir wird aber eine Einschränkung auferlegt. Du darfst den Mantel nur im äußersten Notfall benutzen.
Wenn ein Notfall eintritt, wirst du es merken. Dann kannst du ihn benutzen, aber nur dann. Den Pugio kannst du einsetzen wie bisher. Folge mir, ich führe dich zum Ausgang des Waldes, von dem aus du die Richtung findest, in die du wandern musst, um das Land der Heats und Colds zu erreichen.“
Anea packt Mantel und Dolch in den Beutel aus Fasern des Clantusbaums und folgt Larus durch den Wald. Das schier endlose und fast undurchdringliche Grün scheint vor ihm bereitwillig auseinanderzuweichen, um den Weg freizugeben. Larus findet die Richtung, ohne dass ein Pfad erkennbar wäre. Manchmal schlängelt er sich geschickt zwischen den Farnen hindurch, kaum, dass sein schlanker aber proportionsloser Körper eine Verrenkung machen muss. Anea kann die Zeit nicht bemessen; irgendwann ist der Wald zu Ende, und vor ihnen liegt ein trockenes Land, nur von vereinzeltem dürren Buschwerk bewachsen, ab und zu ragt ein verdorrter Baum ohne Blattwerk in die Höhe. In der Ferne ist eine Bergkette zu sehen, zum Teil mit weiß leuchtenden Gipfeln.
„Die Berge in der Ferne musst du überschreiten, dann siehst du das Land der Heats. Merke dir diesen Ausgang, den musst du nehmen, wenn du zurückkommst. Dann wirst du mich wieder finden“, sagt Larus und verschwindet im Dickicht des Waldes.
Anea fixiert die Umgebung, fasst die Berge ins Auge und marschiert los. Der Boden unter ihren Füßen ist steinig und trocken. Das Schuhwerk aus den Blättern des Clantusbaums schützen ihre Füße vor den scharfen Kanten mancher unregelmäßig geformten Steine. Gibt es eine unbekannte Gefahr in dieser kargen Landschaft?
Sie schaut in den blauen Himmel, der nur durch helle Wolkenstreifen unterbrochen wird. Von oben scheint keine Gefahr zu drohen. Am Boden huschen kleine Tiere von Gestrüpp zu Gestrüpp. Sie leben in der Erde, verlassen ihren Bau, um schnell wieder in einem Erdloch zu verschwinden. Später sieht sie ein vierbeiniges Wesen mit Fell, dessen Farbe an die Farbe der Umgebung angepasst ist. Das Wesen ist mager, schnüffelt mit seiner spitzen Schnauze dicht über der Erde. Als das Wesen sie wahrnimmt, verharrt es kurz, schaut zu ihr herüber und setzt dann seine Suche fort. Manchmal sitzen Wesen in den blätterlosen Bäumen und scheinen geduldig auf irgendein Ereignis zu warten. Manchmal flattert eines von ihnen in die Luft. Es sind die Tiere, die fliegen können.
Allmählich wird die Landschaft hügelig und steigt an. Die Sonne hinter Aneas Rücken sinkt langsam zur Erde, das Licht verliert seine Kraft. Bald wird es Nacht werden, weiß Anea. In der Dunkelheit kann sie nicht so gut sehen wie am Tag, deswegen hält sie Ausschau nach einem Versteck, das sie auch bald findet. Die Berge kündigen sich mit kleineren Felsformationen an. In einer dieser gelbbraunen Felsen entdeckt sie einen Spalt, der ausreichend Schutz für sie bietet. Sie kriecht hinein, der Spalt ist nicht tief, aber für ihren schmalen Körper ausreichend. Sie verbringt die Dunkelheit an den Felsen gelehnt. Sie braucht keinen Schlaf, verspürt weder Hunger noch Durst.
Ab und zu hört sie Stimmen von Tierwesen, ein klagendes oder auch manchmal ein rufendes Heulen. Eines dieser vierbeinigen Tiere streift dicht an ihrem Versteck vorbei, sie sieht den schattenhaften Umriss und ein glühendes Augenpaar. Anea tastet nach ihrer Waffe, aber das Tier verschwindet schnell in der Finsternis.
Mit der aufziehenden Dämmerung des neuen Tages verlässt Anea das Versteck und marschiert weiter. Auch die beginnende Berglandschaft ist trocken, kahl und steinig. Die Gipfel der ersten Erhebungen sind trist, von Steinfeldern bedeckt, die aus Brocken unterschiedlicher Größe bestehen, von schwarzen, perlartigen Steinchen bis zu Findlingen, der mehrere Male so hoch sind, wie sie selbst. In der Ferne ragen weiß gefleckte Gipfel empor. Die muss sie überwinden.
Anea wandert weiter, überwindet verschiedene Höhen, kommt den fernen Bergen langsam näher. Dann