Fall A: Reifenhändler in Pottenstein. Dort bin ich täglich am frühen Nachmittag, was dem guten Mann allerdings nicht passt, denn so bekommt er seine Reifen viel zu spät und kann nicht arbeiten. Persönlich verstehe ich das natürlich, doch er ist nicht der Einzige, den ich beliefere. Auch die anderen Firmen warten auf ihre Pakete und bekommen diese teilweise sogar erst um 16 oder 17 Uhr, wie ich eben gerade herumkomme. Ich versuche ihm also klarzumachen, dass ich nicht früher kommen kann. Doch das sieht er gar nicht ein. Ich solle doch gleich früh, wenn ich hier ankomme, bei ihm vorbeifahren. Dass ich dabei einen Umweg von rund 50 Kilometern haben würde, ich dadurch noch länger unterwegs wäre und alle anderen ihre Pakete noch später erhalten würden, ist ihm egal. Aber soll ich Ihnen was sagen? Mir ist es auch egal, wann der gute Herr seine Reifen bekommt. Glücklicherweise müssen wir uns (noch) nicht nach den Kunden richten.
Fall B: Ein IT-ler in Auerbach. Er hat in seinem Wohnhaus auch sein Büro, das zu bestimmten Zeiten besetzt ist. Früh ist das von 10 bis 12 und nachmittags von 14 bis 16 Uhr. Was habe ich schon mit diesem Menschen gestritten, weil ich oft zu Zeiten komme, in denen sein Büro nicht besetzt ist. Das Argument, er würde doch nur eine Etage höher wohnen und könne von dort ebenso gut herunterkommen, lässt er natürlich nicht gelten. Er machte mir einst unmissverständlich klar, dass er keine Pakete annehmen würde, wenn ich nicht innerhalb der Geschäftszeiten komme. Nun ja, da ich das eben nicht immer schaffe und mich nicht nach ihm richten kann, landeten zwei-, dreimal Benachrichtigungsschreiben bei ihm im Briefkasten. So musste er auf den nächsten Tag warten, bis er seine Pakete erhielt. Sie können es sich vorstellen: Auch das hat ihm nicht gepasst. Schönes Beispiel von Pech gehabt. Nachdem er dann noch versucht hat, mich im Depot anzuschwärzen und ich den Sachverhalt erklärt habe, ist er nun lammfromm und immer bereit, auch außerhalb der Geschäftszeiten seine Pakete entgegenzunehmen. So was aber auch.
Wo Zusteller überall zustellen
In der Regel sind die Häuser, in denen unsere Kunden wohnen, Ein- oder Mehrfamilienhäuser, die man über normale Fahrstraßen erreichen kann. In der Regel. Doch eben nicht immer. Hier eine kleine Sammlung von Orten, die für einen Zusteller auch nicht alltäglich sind.
Schwabach, A6, Rastplatz Kammersteiner Land. Der Rastplatz ist nur über die Autobahn anzufahren, liegt aber so, dass man nach dem Ausliefern der Pakete bis zur nächsten Ausfahrt nach Neuendettelsau fahren muss und danach wieder zurück nach Schwabach. Dies ist eine Fahrstrecke von rund 40 Kilometern – oftmals für nur ein Paket.
Michelfeld, Asamweg. Ein ehemaliges Kloster, das man erreicht, indem man durch zwei sehr enge Stadttore fahren muss, durch die das Auto geradeso durchpasst. An der Pforte arbeitet noch immer eine Schwester in Klostertracht, die mir bei einem Gespräch erzählt, dass sie die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs hier im Kloster miterlebt hat.
Auerbach, Nitzlbuch. Einige Häuser am Ende des Dorfes befinden sich hinter einem Schild mit folgender Aufschrift: Militärischer Sicherheitsbereich, Vorsicht: Schusswaffengebrauch.
Neuhaus an der Pegnitz, Burgstraße. Um zum Burgrestaurant zu kommen, muss man den Burgberg hochlaufen, durch das Burgtor und dann durch die Ruine gefühlte zehn Minuten bei einer Steigung von mindestens zwölf Prozent bis zum Gasthaus laufen, um dort seine Pakete abzugeben. Einfahrmöglichkeiten sind nicht vorhanden – zumindest nicht für Paketfahrer.
Plech, Freizeitpark. Die meisten Pakete, die für den Freizeitpark bestimmt sind, kann man im Büro neben dem Eingang oder direkt am Eingang abgeben. Wurden sie von Schaustellern bestellt, darf man auf Erkundungstour durch den Freizeitpark gehen.
Spies, Baustelle der Wasserwerke. Diese befindet sich nicht etwa im Ort, sondern im Wald. Dazu muss man ca. einen Kilometer einen Schotterweg entlangfahren, ehe man auf einer Lichtung ein Haus findet, in dem gearbeitet wird. Meistens. Ausgeschildert ist natürlich nichts.
Betzenstein, Campingplatz. Im Sommer ist meist jemand da, im Winter allerdings nicht. Wenn man Pakete loswerden möchte, irrt man bisweilen rufenderweise minutenlang über den Campingplatz.
Pottenstein, Kletterwald. Bei gutem Wetter ist hier Betrieb, bei schlechtem nicht. Doch Pakete richten sich nun mal nicht nach dem Wetter. Glücklicherweise liegt der Kletterwald am Waldrand, sodass ich nicht noch ewig durch den Wald fahren oder gar laufen muss.
Pottenstein, Burgstraße. Wenn der Freiherr, der noch immer die Burg bewohnt, ein Paket bekommt, dann wird einem das Burgtor durch einen Summer geöffnet – so modern ist man bereits. Danach muss ich dann ca. 100 Stufen nach oben zum Büro des Herrn von und zu steigen, denn entgegen kommt einem niemand.
Pottenstein, Teufelshöhle. Eine Attraktion in der Fränkischen Schweiz. Direkt daneben befindet sich eine Gaststätte, und die bekommt von Zeit zu Zeit eine Menge Pakete, um die Kunden wieder mit Kaffee zu versorgen. Diese Pakete kann ich nun entweder 115 Stufen nach oben wuchten, wobei ich meist acht bis zehn Pakete habe, also mindestens viermal laufen müsste, oder ich nehme den Wanderweg, den ich zumindest mit meiner Sackkarre entlanglaufen kann. So fällt das Geschleppe weg und eine schöne Wanderung von ca. fünf Minuten gibt es kostenlos dazu.
Hohenmirsberg, Steinbruch. Wie man sich Pakete in einen Steinbruch schicken lassen kann, ist und wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Wenn ich großes Glück habe, ist der Chef vor Ort, meist sind nur Laster da, die Steine hinaustransportieren. Natürlich liegt der Steinbruch mitten in der Pampa, Nachbarn gibt es also nicht.
Pottenstein, Rupprechtshöhe. Ein Kaff bestehend aus fünf Häusern, wobei das fünfte Haus etwa zwei Kilometer weit von den anderen entfernt steht und nur über einen Schotterweg zu erreichen ist.
Pottenstein, Pullendorf. Eine Ortschaft, die man erreicht, indem man einer schmalen Straße ca. drei Kilometer folgt, diese teilweise durch Wald führt und oft sehr steil den Berg hinunter. Unten ist dann der Ort mit seinen acht Häusern zu finden. Das Besondere: Hier ist Dead End. Eine Sackgasse, aus der es keinen anderen Weg hinaus gibt.
Langweilig wird es so auf jeden Fall nicht. Und in Einfamilien- oder Mehrfamilienhäusern, die über befestigte Straßen direkt erreichbar sind, kann ja wohl jeder zustellen.
Krank ist man nicht
Dass ein Arbeitgeber nicht unbedingt begeistert ist, wenn sich der Arbeitnehmer krank meldet, das ist klar. Im Paketdienst kann das schnell mal zum Problem werden. Hier hat jeder seine feste Tour, Ersatzleute gibt es nicht, also müssten Chef oder Chefin die Tour übernehmen – und die haben in der Regel keine Lust. Mein Motto: Man muss nicht wegen ein bisschen Schnupfen zu Hause bleiben, doch wenn es etwas Ernstes ist, dann erwarte ich eigentlich von einem Arbeitgeber, dass er nicht noch versucht, einem ein schlechtes Gewissen einzureden.
Meine beiden Chefs konnten das ziemlich gut. Das war auch der Grund, warum ich in den dreieinhalb Jahren nur vier Tage krank war. Im Nachhinein frage ich mich, ob ich denn ein bissel doof war und ich komme immer wieder zur selben Antwort: „Ja.“ Die vier Tage, an denen ich zu Hause war, hatte ich eine Grippe mit 39 Grad Fieber.
Mit den vier Tagen in der langen Zeit konnten sich meine Chefs wirklich glücklich schätzen. Hätte ich mich nicht überreden lassen, wären es wohl statt vier Tagen rund vier Wochen geworden, was für einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren auch noch nicht viel gewesen wäre. So konnte ich aber zumindest den Schein wahren, ein guter Arbeitnehmer gewesen zu sein, auch wenn ich das so sicherlich nicht mehr tun würde.
Beispiel 1: Beim Zustellen bin ich auf glattem Boden mit dem Fuß umgeknickt und habe mir einen Bänderriss zugezogen. Da meine Chefin meinte, damit könne man schon noch laufen, sie stelle ja trotz Bandscheibenvorfalls auch zu, bin ich am nächsten Tag humpelnderweise doch wieder zur Arbeit.
Beispiel 2: Wie es passiert ist, weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall habe ich mir mal den Rücken verrissen und hatte daraufhin einen Hexenschuss. Wer schon mal einen hatte, der weiß, wie schmerzhaft das ist, man kann sich kaum bewegen. Anstatt zum Arzt zu gehen und mich krankschreiben zu lassen, bin ich am nächsten Tag wieder