Rache für Dina. Cristina Fabry. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cristina Fabry
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738052855
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zusammengefaltet. Sie war innerhalb von fünf Minuten hier und drehte mir mit dem 'Superintendanten'. Da habe ich sie verbessert, aber wer weiß, vielleicht meinte sie Tom Buhrow.“

      Sabine kicherte während des gesamten Berichtes. Dann fragte sie: „Was ist denn gestern bei der Konfrontation MAV-'Superintendant' raus gekommen?“

      „Nichts Richtiges. Volkmann ist tot.“

      „Wie bitte?“

      „Ermordet. Hast du nicht Zeitung gelesen?“

      „Nee. Wer macht denn so was?“

      „Woher soll ich das wissen? Ich war's jedenfalls nicht. Das hab' ich Frau Schlatter auch schon gesagt; sie sah mich nämlich so an, als würde sie's mir zutrauen.“

      „Und was passiert jetzt?“, fragte Sabine.

      „Zum einen werde ich mit jeder Mitarbeiterin in unserer Kita und mit jeder Leiterin der anderen Einrichtungen ein Vier-Augen-Gespräch führen, damit alle gewarnt sind; denn Volkmann war ja auch nur die Spitze des Eisberges. Jens Carstensen spricht mit dem Landeskirchen-Fuzzi, der für seine Berufsgruppe zuständig ist. Der ist arbeitsrechtlich sehr vernünftig, sicher auf unserer Seite und stellt die passenden Kontakte im Landeskirchenamt her, damit die unseren Vorgesetzten auf die Finger hauen und in die Suppe spucken.“

      „Und bei denen, die unterschrieben haben?“

      „Die können vors Arbeitsgericht gehen, aber da prüft mein Hajo noch die Rechtslage.“

      „Wenn wir den nicht hätten.“

      „Langsam, langsam.“, mahnte Regina Heuer. „Er ist immer noch mein Mann. Kein mein-dein-euer-unser Hajo!“

      „Kommst du gleich zum Frühstück zu den Sonnenkäfern? Karin kommt später, hat'n Termin beim Arzt.“

      „Ja, klar. Besser ich gewöhne mich schon mal dran. Bis sie in Mutterschutz und Elternzeit geht, haben wir eh keine qualifizierte Vertretung.“

      In der Sonnenkäfergruppe herrschte eine ausgelassene Stimmung. Rico zog den Neid aller anderen Kinder auf sich, weil er ein verbotenes Schoko-Croissant dabei hatte. Pierre warf seinen Kakaobecher um und färbte damit Finnjas Rüschenrock schokobraun, die heulend aufsprang und von Sabine in den Waschraum begleitet wurde, um die Kleidung zu wechseln und das Gröbste auszuwaschen.

      Dustin sagte mehrmals „Fick deine Mutter!“, was Regina ausnahmsweise zu schwarzer Pädagogik veranlasste: „Dustin, du setzt dich jetzt in die Kuschelecke bis die anderen fertig gefrühstückt haben. Du frühstückst dann danach und dann reden wir noch einmal mit dir.“

      „Ich hab' aber ganz doll Hunger!“, brüllte Dustin aus Leibeskräften.

      „Das kann gar nicht sein.“, erwiderte Regina ruhig. „Wer so viel Zeit hat, andere zu beleidigen, der kann gar keinen Hunger haben. Wenn du wirklich doll Hunger hättest, hättest du einfach gegessen und nicht geredet. Und jetzt setz' dich bitte in die Kuschelecke und warte, bis ich dich hole.“

      Das hätte auch daneben gehen können, aber Dustin gehorchte. Später, beim Frühstück unter vier Augen erklärte Regina Dustin, warum sie solche Ausdrücke im Kindergarten nicht hören wollte und warum er sich selbst schadete, wenn er so redete. Dustin vermied für den Rest des Tages jedes Wort mit F.

      Zum Glück war Karin zum Osterbasteln wieder da. Regina hatte genug im Büro zu tun und sie hasste diese Wir-machen-Mutti-eine Freude-Basteleien, wo weniger der Spaß der Kinder und die Entwicklung ihrer Kreativität im Vordergrund stand, als vielmehr die vor Stolz und Rührung glänzenden Elternaugen. Ekelhaft. Aber mittlerweile forderten Eltern so etwas ein: „Warum bastelt ihr nicht mal wieder was Nettes?“

      Aber wehe, das Kind kommt mit schmutziger Kleidung nach Hause: „Die Lackschuhe waren ganz neu! Die sollte sie noch zur Silberhochzeit meiner Eltern anziehen. Und die haben 90 Euro gekostet! Können Sie uns das ersetzen?“

      Ja ja. 90 Euro für Lackschuhe, aber keinen Cent mehr übrig für Gummistiefel. Was für eine Generation zogen diese Eltern da heran? Und konnten sie in der Kita das Schlimmste verhindern oder war sowieso schon alles zu spät? „Bloß nicht drüber nachdenken.“, murmelte Regina und öffnete ihr e-mail-Postfach.

      8. Kreiskirchenamt Minden

      Mit letzter Kraft nahm Katharina Förster die Stufen zum 1. Stockwerk des Kreiskirchenamtes, um halbwegs pünktlich zur monatlichen Dienstbesprechung im Jugendreferat einzutrudeln. Sie hatte die Fahrtzeit mal wieder zu knapp kalkuliert und kam fünf Minuten zu spät. Alle waren schon da: der kreiskirchliche Jugendreferent Kai-Uwe Kehrer, ausgeschlafen, blitzsauber und aufgeräumt wie immer, der Kollege Jens Carstensen für Porta Westfalica und die Kollegin Hilke Sander für die Stadtrandgebiete, die sie immer verständnisvoll anlächelte, aber heimlich für ihre Unzulänglichkeit verachtete. Außerdem war der Jugendpfarrer Paul-Gerhard Solms dabei und in Vertretung des verstorbenen Superintendenten Pfarrer Sebastian Reimler, der Assessor.

      „Entschuldigung“, murmelte Katharina und versuchte möglichst wenig Aufhebens zu machen, als sie sich setzte, was ihr aber nur unzureichend gelang. Hilke stellte ihr fürsorglich einen grünen Tee hin und zupfte dann – ganz die große Schwester in Christo – ein langes Haar von Katharinas Pullover. Dafür hätte sie ihr am liebsten den Tee ins Gesicht gekippt.

      „Dann will ich mal mit meinem Anstoß zum Tage beginnen.“, meldete sich Paul-Gerhard Solms zu Wort. „Angesichts der Sprachlosigkeit, die der gewaltsame Tod unseres Superintendenten in uns allen auslöst, möchte ich euch eine Beileidskarte vorlesen, die ich gestern in der christlichen Buchhandlung gefunden habe. Und wenn ihr einverstanden seid, würde ich sie gern für diesen Kreis an Frau Volkmann schicken.“

      Ein allgemeines, stummes Nicken interpretierte Pfarrer Solms folgerichtig als Zustimmung und er las das Gedicht auf der Karte vor:

       Du fragst warum?

       Ich weiß es nicht.

       Gibt’s einen Grund,

       einen tieferen Sinn?

       Wohl kaum.

       Wir können's nicht begreifen

       und wollen auch nicht,

       Nein!

       Wie kann das sein?

       Wie kann ein Gott aus unserer Mitte reißen,

       was eigentlich hier her gehört?

       Was handelt er so unerhört?

       Wird uns die Antwort schuldig bleiben,

       wie für so vieles andere Leiden

       bis zu dem Tag, an dem für uns

       die Welt vergeht.

      Das Schweigen im Raum war weniger andächtige Stille als vielmehr der angehaltene Atem angesichts der ungeheuerlichen Heuchelei, derer sich alle gemeinsam schuldig machten. Katharina hätte Frau Volkmann am liebsten geschrieben:

       Verkaufen Sie Ihre garstige Klinkerhütte, fangen Sie irgendwo weit weg ein neues Leben an, feiern Sie wilde Parties und vergessen Sie das Arschloch. Herzlichen Glückwunsch!

      Aber so etwas tut man ja nicht. Und woher wollte sie wissen, was für ein Ehemann er gewesen war und wie seine Frau zu ihm stand? Aber Katharina fand Volkmanns Tod nicht bedauerlich und auf die Frage nach dem Warum fielen ihr viele Antworten ein. Sie wusste, dass sowohl ihr Kollegenkreis als auch der Jugendpfarrer das ebenso sahen wie sie. Selbst Sebastian Reimler, die alte Sackratte, rieb sich innerlich die Hände, weil er jetzt die Chance hatte, sich als Superintendent zu beweisen, der elende Wichtigtuer. Trauer empfand hier niemand; bestenfalls Entsetzen angesichts eines Gewalt-Verbrechens und vielleicht ein bisschen Mitleid mit