Rache für Dina. Cristina Fabry. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cristina Fabry
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738052855
Скачать книгу
14

       55. Irgendwo im Kirchenkreis

       56. Nordhemmern – Nordhemmer Straße 132

       57. Nordhemmern – Nordhemmer Straße 136

       58. Kreispolizeistelle Minden

       59. Minden – In den Bärenkämpen 14

       60. Polizeipräsidium Bielefeld – eine Woche später

       Impressum neobooks

      1.Kreiskirchenamt Minden – Superintendentur

      Sie hielt einen Augenblick inne. Die Klinke hatte sie noch in der Hand. Egal, er konnte die Verträge später unterschreiben. Sie musste noch das Protokoll zuende schreiben. Ihre Hand löste sich von der Klinke und sie ging wie ferngesteuert zurück in ihr Büro.

      „Aber er ist doch vor einer Viertelstunde noch da gewesen.“, dachte sie. „Ach ja. Vermutlich aufs Klo gegangen.“

      Sie stellte das Diktaphon wieder an, um das Protokoll abzuschließen, da schoss ihr ein Bild durch den Kopf: ein Fuß. Neben dem Schreibtisch. Derjenige, der zu dem Fuß gehörte, musste dahinter liegen. „Oh Gott!“, stöhnte sie und sprang auf. „Er ist zusammengebrochen. Kein Wunder bei dem Stress.“

      Sie rannte zurück in das Zimmer ihres Chefs. Als sie durch die Tür stürzte, lag der Fuß immer noch an derselben Stelle. Mit wenigen Schritten war sie hinter dem Schreibtisch. Ihr bot sich ein unfassbares Bild. Es brannte sich augenblicklich in ihr Gedächtnis ein. Und dann schrie sie, so sehr, dass man glaubte, sie wolle das Bild damit fort scheuchen, die Tatsache ungeschehen machen, die Erinnerung auslöschen. Sie sollte es niemals vergessen.

      2. Kreiskirchenamt Minden – Superintendentur

      „Ist die KT schon lange da?“, fragte Keller und schüttelte sich den Schnee von der Jacke. „Halbe Stunde vielleicht.“, entgegnete der junge Polizist, der den Eingang zur Superintendentur sicherte.

      Keller grunzte, statt sich für die Information zu bedanken und betrat den Tatort. Er hatte schon viel gesehen, aber dieser Anblick veranlasste ihn, sich ein Taschentuch vor den Mund zu pressen. Hinter dem Schreibtisch lag eine Männerleiche: ein hagerer Typ, vielleicht Ende Fünfzig. Er lag halb auf der Seite, halb auf dem Rücken, weil die Mord-waffe, die ihm von hinten in den Oberkörper getrieben worden war, noch steckte und so eine entspannte Rückenlage verhinderte. Soweit war der Anblick ganz gewöhnlich. Ungewöhnlich war allerdings, dass man ihn an den Genitalien entblößt und verstümmelt hatte.

      „Kannst du schon was sagen, Konstanze?“, fragte er die Medizinerin von der Kriminaltechnik.

      „Todeseintritt vielleicht vor etwa zwei Stunden. Vermutlich wurde er von hinten erdolcht. Er

      war nicht sofort tot, daher das viele Blut. Der Täter hat ihm dann die Hosen herunter gezogen und ihn auf den Rücken gedreht oder zuerst gedreht und dann entblößt und mit einem Teppichmesser das Präputium entfernt.“

      „Das was?“

      „Das Präputium, die Vorhaut. Er hat ihn beschnitten, wie in der jüdischen und islamischen Kultur üblich. Er hat das Messer und das Amputat hier fein säuberlich auf dem Schreibtisch arrangiert.“

      Keller erblickte ein blutiges, ringförmiges Etwas, sowie ein ebenso blutverschmiertes Teppichmesser effektvoll auf der Seite einer aufgeschlagenen Bibel platziert. Er beugte sich darüber und las: „Genesis – 1. Mose 34.“ Die Spitze des Messers zeigte auf eine Überschrift: „Die Schandtat an Dina und das Blutbad zu Sichem“.

      Er notierte die Bibelstelle. Das klang doch verschärft nach Rachemotiven: Vergewaltigung, Genitalverstümmelung und für den Theologen extra biblisch unterfüttert.

      Keller ging vor die Tür und fragte den jungen Kollegen: „hat schon jemand mit der Person gesprochen, die die Leiche gefunden hat?“

      „Die Kollegen von der Streife. Aber die Frau war ganz aufgelöst. Sie haben ihr erst einmal was zu Trinken besorgt und jemanden geholt, der sie beruhigt.“

      „Na ja, an Notfallseelsorgern wird es denen hier ja nicht mangeln. Wo bleibt eigentlich die Kerkenbrock? Die hat das Einfühlsame und Trost Spendende besser drauf als ich.“

      „Die hat heute Überstunden frei und ist auch weiter weg gefahren.“, antwortete der junge Polizist.

      „Na super.“, knurrte Keller. „Und wo ist jetzt die Zeugin?“

      Der Polizist machte eine Kopfbewegung in die entsprechende Richtung. „Da drin. Schluchzt noch. Hat 'ne Pastorin zum Händchen halten.“

      „Na, dann will ich mal. - Ach ja, Name des Toten, Verwandte, Liste mit anderen Zeugen und so weiter hätte ich gern umgehend schriftlich.“

      „Ist schon alles in Arbeit.“

      Keller nickte anerkennend, klopfte an die Tür und betrat den Raum, in dem Norbert Volkmanns Sekretärin saß und zitternd die Hand einer Pfarrerin hielt.

      „Entschuldigen Sie bitte“, Keller trat vorsichtig näher. „Mein Name ist Stefan Keller. Ich ermittle in diesem Fall. Wer von Ihnen beiden hat den Verstorbenen aufgefunden?“

      „Ich“, schluchzte die Sekretärin mit erstickter Stimme.

      „Und Sie sind...“

      „Elisabeth Attig. Ich bin Verwaltungsfachangestellte und persönlich Herrn Superintendent Volkmann zugeteilt.“

      Sie brach wieder in Tränen aus, unfähig, weiter zu sprechen. Keller setzte sich und betrachtete die weinende Frau. Sie war schätzungsweise in den Fünfzigern, trug graue Bundfaltenhosen aus Wollstoff mit Bügelfalte und dazu eine cremefarbene Chiffonbluse mit überdimensionaler Schleife, die ihre gewaltige Oberweite unvorteilhaft überbetonte. Ihr ausladendes Becken stand in einem absurden Missverhältnis zu ihren schmalen Füßen, die in altmodischen Lackpumps steckten. Sonst war sie eher grobknochig und hoch gewachsen. Das vermutlich gefärbte, nussbraune Haar war in einer voluminösen, schulterlangen Betonfrisur erstarrt. Ihr perlrosa Lippenstift, der perfekt zum Nagellack passte, war verschmiert und auch das Augen-Make-up hatte hässliche Ringe gebildet. Tränenrinnsale hatten sich durch die pudrige Tagescreme ihren Weg gebahnt. „Wenn sie sich jetzt selbst sehen könnte, würde sie vor ihrem eigenen Spiegelbild erschrecken.“, dachte Keller.

      „Frau Attig, ich weiß, das ist alles sehr schlimm für Sie, aber in einem Mordfall müssen wir so schnell wie möglich ermitteln, nur so haben wir eine Chance, die Umstände aufzuklären. Wann haben Sie Herrn Volkmann zum letzten Mal lebend gesehen?“

      „Etwa eine Viertelstunde bevor ich ihn gefunden habe.“

      „Wann genau war das?“

      „Ich weiß nicht. Aber nur wenige Minuten, nachdem ich ihn gefunden habe, hat doch Herr Werner die Polizei gerufen.“

      „Also etwa zwanzig Minuten vor dem eingegangenen Anruf. Das grenzt die Tatzeit enorm ein. Frau Attig, haben Sie mitbekommen, dass in dieser Zeit zwischen Ihrer letzten Begegnung mit Herrn Volkmann und dem Moment, wo Sie ihn tot aufgefunden haben, jemand bei ihrem Chef im Zimmer war?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich war damit beschäftigt, ein Protokoll zu schreiben, das mir Herr Pfarrer Volkmann auf das Diktiergerät gesprochen hatte. Ich habe nichts gehört.“

      Keller wandte sich