„Telefon und Kamera kann ich ja noch verstehen, aber einen Korkenzieher?“
Bramme zog das Corpus delicti aus der Tasche und hielt es Serow unter die Nase.
„Eine Marotte von mir“, erklärte er, „oder besser gesagt, mein Talismann.“
„Wenn er Ihnen hilft, hilft er auch uns“, stellte Wassili lapidar fest.
„Habt ihr sonst noch etwas an mir auszusetzen?“, fragte Bramme und lächelte dabei.
„Nein, der dunkle Anzug steht Ihnen gut und die bewusst unordentliche Frisur verleiht Ihnen einen jugendlichen Charme, um den ich Sie ehrlich beneide.“
„Sie sehen aber in Ihrer Wildlederjacke auch sehr gut aus.“
„Und von mir redet wieder kein Mensch“, klagte Wassili, „sagt mal, jetzt haben wir zusammen schon so viel erlebt, wollen wir nicht endlich „Du“ zueinander sagen?“
„Endlich mal eine gute Idee“, platzte es aus Serow heraus, „ich heiße Alexander, ihr könnt mich auch Alex nennen.“
„Und ich heiße Holger.“
Sie besiegelten den Bund mit gegenseitigem Händedruck und einer spontanen Umarmung.
„So ein epochales Ereignis muss begossen werden“, meinte Wassili.
„Ja, aber nicht jetzt“, entschied Serow.
In diesem Moment öffnete sich zu ihrer Rechten eine Tür. Wohl in der Annahme, Sascha Rudny käme um sie abzuholen, drehten sich alle drei Männer um. Eine junge, attraktive Frau betrat die Halle und strebte dem Ausgang zu. Auf ihrem Weg dorthin musste sie zwangsläufig an der Wartenden vorbeigehen. Wassili schaute sie kurz an und wandte sich dann ab. Auch Serow gönnte ihr nicht mehr als einen neugierigen Blick. Bramme hingegen schien es plötzlich heiß geworden zu sein. Er schob den Korkenzieher hastig in die Tasche und öffnete den obersten Hemdkragen. Die Frau trug schulterlanges, schwarzes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Die eng sitzenden Jeans-Shorts betonten ihre langen, gebräunten Beine. Alles in Allem wirkte sie ungezwungen und natürlich, wenn man auch den Eindruck nicht vom Tisch wischen konnte, dass sie sich ihrer weiblichen Ausstrahlung durchaus bewusst war. Als sie an den drei Männern vorbeiging, schnappte Bramme einen Hauch ihres Parfüms auf. Wie ein Ertrinkender sog er den Duft in sich hinein. Kurz bevor er dabei war, den Verstand zu verlieren, riss er sich aber zusammen.
Wassili registrierte Brammes Verhalten mit einiger Verwunderung und wollte gerade eine Bemerkung los werden, als Rudny die Treppe herunterkam.
„Darf ich die Herren bitten, mir zu folgen?“, fragte er mit gespielter Höflichkeit.
„Sie dürfen“, äffte ihn Wassili nach.
„Ich fahre Sie hin und hole Sie um Mitternacht wieder ab“, erklärte Rudny.
„Ist das nicht zu spät?“, will Serow wissen.
„Nein. Massud will es so.“
Serow zuckte zusammen. Massud scheint hier alles zu bestimmen, dachte er. Der Herr verfügt über uns, als stünden wir bei ihm auf der Lohnliste. Um keine Missstimmung aufkommen zu lassen, hielt er aber den Mund.
Das Anwesen Massuds lag am Stadtrand von Termes auf einer kleinen Anhöhe. Hinter einem imposanten Portal und einem von Mandel- und Maulbeerbäumen umstandenen, gepflegten Park erhob sich ein palastartiges Haus wie ein zu Stein gewordener Traum aus 1001 Nacht. Hecken, Sträucher und Blumenbeete blühten in allen Farben des Regenbogens um die Wette. Zwischen zwei Türmen, die die Form kleiner Minarette hatten, machten sich Erker und Kuppeln breit und verliehen der Mixtur aus allen möglichen Baustilen ein nahezu märchenhaftes Flair.
Während Bramme staunend davor stand, die Hände in den Hosentaschen, und eine leichte Brise ihm sanft durchs Haar strich, dachte er an seine kleine Wohnung in Kiel. Dort hatte er vor dem einen oder anderen Damenbesuch gerne eine neue Topfpflanze gekauft. Seine Versuche, auf diese Weise ein wenig Behaglichkeit in seine vier Wände zu zaubern, erschien ihm beim Anblick der ganzen Pracht peinlich klein kariert und naiv.
Serow kam auf ihn zu und klopfte ihm auf die Schulter.
„Da fragt man sich doch unwillkürlich, ob man den richtigen Beruf gewählt hat. Oder bist du anderer Meinung?“
„Ja. Die Berufswahl allein trifft keine Schuld. Man muss in der Wahl seines Vaters vorsichtig sein.“
Serow musste laut lachen.
Ein Hausdiener in weißer Pluderhose, einem mit bunten Fäden besticktem Hemd und einem ebensolchen Käppchen auf dem Kopf, empfing sie, verbeugte sich lange und tief und führte sie mit einer einladenden Geste ins Haus.
Rudny, der bislang im Wagen gewartet hatte, drehte um und fuhr hupend davon.
Waren die Ankömmlinge schon bei der Betrachtung des Hauses von außen beeindruckt, so stockte ihnen der Atem, als sie die Eingangshalle betraten. Schon an der Schwelle blieben sie wie angewurzelt stehen und rissen Mund und Augen auf. Spiegelblanker Marmor, kostbare Teppiche, plüschige Sofas, Möbel aus dunklem Edelholz, ziselierte Silberschalen, Fayence-Krüge, Wasserpfeifen und Kristallleuchter, alles vom Feinsten, mit Sachverstand ausgesucht und perfekt aufeinander abgestimmt.
Bramme fragte sich allmählich, wie wohl der Mann aussehen mochte, der in dieser Umgebung sein täglich Brot einnahm, arbeitete und schlief.
Als wäre sein Gedanke durch die offene Tür geschwebt, erschien Massud mit seinem aus acht Männern bestehenden Gefolge. Sein Gesicht war zum größten Teil von einem weißen Bart bedeckt, der ihn sicherlich älter machte, als er wirklich war. Groß gewachsen zwar und von massiger Gestalt, hatte er einen verhältnismäßig kleinen Kopf. Auch er trug, wie seine Begleiter auch, die obligatorisch unverzichtbare Kappe. Ein breiter Gürtel mit einer silbernen Schnalle hielt den weiten Mantel aus Goldbrokat und Seide über dem rundlichen Bauch zusammen. Seitlich ragte ein reich verzierter Dolch aus dem Gürtel heraus.
Mit weit ausgebreiteten Armen kam Massud auf die Besucher zu.
„Dobro poshalowat! – Herzlich willkommen!“
Serow und Wassili verbeugten sich leicht in Massuds Richtung, Bramme spickte diese Geste bei seinen Freunden mit einem Seitenblick ab und machte sie eiligst nach.
Massud ging ihnen ins Speisezimmer voraus, wo eine reich gedeckte, mit Blumenbuketts dekorierte Tafel auf sie wartete.
Der Hausherr bestimmte die Tischordnung. Bramme durfte zu seiner Rechten, Serow zu seiner Linken Platz nehmen, Wassili wurde der Platz neben Bramme zugewiesen. Die anderen verteilten sich um die große Tafel herum.
Massud prüfte unterdessen seine Gäste aus schmalen, farblich undefinierbaren Augen. Man konnte nicht sagen, dass es misstrauisch aussah, aber es lag unbestreitbar etwas Listiges in seinem Blick. Schließlich klatschte er in die Hände.
„Wodka für meine Freunde!“, befahl er und sofort erschienen zwei Diener und füllten die Gläser. Dann erhob er sein Glas und rief: „Auf unsere Gäste! Na sdarowje, sa wasche sdarowje!“ in die Runde. So schnell die Gläser geleert wurden, so schnell wurden sie auch wieder gefüllt.
Mit den Worten: „Auf Deutschland! Na sdarowje, sa wasche sdarowje!“, prostete er Bramme zu und leerte sein Glas wieder in einem Zug.
Man trank auf die Freundschaft, auf die Archäologie und auf die Gesundheit. Bramme konnte die Runden schon gar nicht mehr zählen.
Mit einem anerkennenden Blick nahm Serow die Wodka-Flasche in die Hand und betrachtete das Etikett. „Stolitschnaya – Kaliningrad“ stand dort in großen Lettern.
„Ein sehr guter Tropfen!“, stellte er fachmännisch fest, „der hat einen weiten Weg hinter sich.“
Massud fühlte sich geschmeichelt.
„Für meine Gäste ist mir das Beste gerade gut genug“,