Elisa stapft nun den kleinen Hügel hoch, zu Charlies Grab. Charlie war die Liebe ihres Lebens und einmal im Monat kommt sie hierher, um ihm so nah wie möglich zu sein. Bestimmt schaut Charlie von oben zu und murmelt wieder etwas Charmantes in seinen weißen Bart. In diesen Augenblicken ist für Elisa alles wieder gut.
Es ist bestimmt der schönste Strauß auf all diesen Gräbern und den hat sich Charlie auch verdient – „Tu das Gemüse weg, da sieht man ja gar nichts vom Fleisch am Tisch“ sagte Charlie immer, wenn Elisa den Tisch mit Blumen geschmückt hatte. Elisa wusste aber, dass er es nicht so meinte. Elisa verweilt noch ein paar Stunden am Grab und genießt den geistigen Dialog mit ihrem Charlie.
Der Karton
Sam sieht sich im Blumenparadies um und er stellt fest, dass er noch nie so viele Blumen auf einem winzigen Fleck gesehen hat. Er beobachtet Hertha bei der Arbeit, die gerade Reisig bindet und schneidet. Ihre Hände sind vom billigen Blumendraht etwas gräulich und vom Reisig ziemlich zerstochen. Aber es sind trotzdem ganz feine Hände, fast wie jene der Klavierlehrerin. Wie es ihr wohl ergehen würde?
Aus dem Hinterzimmer ertönt plötzlich die Stimme von Margarethe, Herthas Mutter. Sie ruft nach Hertha, weil ihr Gehstock wieder umgefallen ist und Margarete kann sich ohne das Gehwerkzeug kaum fortbewegen. Vor kurzem war sie 85 geworden und arbeitet noch immer mit ihrer Tochter in diesem Blumenladen. Margarethe hat das Geschäft von ihrem Vater geerbt und viele Jahre alleine geführt, denn ihr Mann starb bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle. Hertha begann nach der Schule gleich im Blumenladen und zum 70. Geburtstag von Margarethe – die sie aber immer nur ‚Mutti‘ nennt – hat sie das Geschäft übernommen. Hertha ist nur ganz selten zum Tanzen gegangen, denn sie hängt an ihrer Mutti und möchte sie auch keinesfalls wegen eines Mannes im Stich lassen. Auf diese Weise sind die beiden Mädels älter und alt geworden. Alles was sie an Liebe in sich haben, schenken sie den Blumen. Natürlich wissen sie, dass ihnen etwas fehlt, aber das würden sie nicht einmal unter Folter zugeben.
Seit ihrer Kindheit spricht Hertha mit den Blumen, so als ob es ihre Kinder wären – irgendwie sind sie es ja auch. Und mit den Blumen stehen die beiden mitten im Leben. Manchmal gibt es eine Taufe, für die Gestecke gebraucht werden, mal eine Geburt, oft eine Hochzeit, eine Verlobung und natürlich auch manchmal ein Begräbnis.
„Mutti, hast du die Glyzinien gesehen, ich kann sie nicht entdecken, obwohl sie so auffällig sind.“ Mutti antwortete: „Ich habe den Blauregen in die Auslage gestellt, denn ich hab es nicht über das Herz gebracht, ihn ins Kühlhaus zu stellen.“
Herthas Hände sind gerade von Erde schmutzig, denn sie hatte eine Pflanze umgetopft, als ihr Blick auf Sam fällt, der noch immer am Verkaufspult liegt. Mit der linken Hand öffnet sie eine Lade unterhalb des Pults und mit dem rechten Ärmel schiebt sie Sam in die Lade hinein. Er fällt in einen großen Karton und dann schließt Hertha die Lade wieder.
Während Sam sich davon überzeugen will, wo er da hingeraten ist, plaudern Hertha und Mutti weiter, während sie ihre tägliche Arbeit verrichten. Sam bemerkt schnell, dass in dem Karton auch andere Geldscheine liegen. Offenbar haben die beiden Ladies keine Kasse, sondern heben ihr Bargeld hier auf. Soweit es Sam in der Dunkelheit beurteilen kann, sind dies alles kleine Scheine, also kein ‚rotbrauner Fuffy‘ und kein ‚grüner Hunni‘. „Bestimmt heben sie das große Geld woanders auf, wo es in Sicherheit ist“, denkt sich Sam. Dann sieht er aber noch zwischen den Geldscheinen andere Dinge. Es sieht nach ungeöffneter Post aus und zwar gar nicht so wenig. Sam erinnert sich an Elisa, die alles sehr ordentlich verwahrt hat, und er wird auch ein wenig sentimental, weil er nicht weiß, wie es ihr jetzt geht. Geldscheine können eben nicht vergessen, sie speichern alles in sich und dies prägt sie auch auf eine gewisse Weise.
Eine Stunde später hört Sam, wie Hertha und Mutti sich heftig streiten. Dies wiederholt sich in den nächsten Tagen ziemlich oft. Jeden Tag fallen neue, ungeöffnete Kuverts in den Karton aber nur wenig Geldscheine. Schließlich bekommt Sam mit, dass es den beiden wirtschaftlich sehr schlecht geht. Die ungeöffneten Kuverts sind alles Rechnungen, die sie nicht öffnen, weil sie die Forderungen ohnehin nicht bezahlen können, jedenfalls nicht alle.
Irgendwann spricht Hertha davon, den Blumenladen zu schließen und die letzten Jahre bis zur Pension in einer Fabrik zu arbeiten. Sie hat sich auch schon schlau gemacht und kann – wenn sie will – in einer Produktion anfangen. Dort müsste sie Salzgurken in Gläser einfüllen und das von morgens bis abends im Akkord.
Sam hat bis jetzt noch keine Salzgurke getroffen, aber Herthas Stimme verrät ihm, dass Blumen irgendwie bedeutender sind, als diese ominösen Gurken. Also schleppen sie sich von Tag zu Tag weiter und hoffen. Worauf? Das wissen sie selbst nicht so genau.
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