Ein Ort in Italien. Emmi Ruprecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emmi Ruprecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738047585
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Interesse wecken konnte. Das war für sie ein Zeichen von Souveränität gewesen und davon, dass Maik weiß, was er will. Das hatte ihn wohltuend von all den unreifen Männern, die sonst ihren Weg säumten, abgehoben.

      Anfangs war sie völlig hin und weg gewesen und hatte alles, was diesen Mann betraf, förmlich aufgesogen. Da gab es nichts Wichtigeres, nichts Interessanteres als das, was ihn betraf. Dass er aus einer anderen Welt stammte, die ihr sehr viel handfester und bodenständiger als ihre eigene vorkam, hatte sie darüber hinaus fasziniert. Maik wusste sich immer zu helfen, kam mit jeder Situation klar, verlor sich nicht in endlosem Hin und Her, sondern sagte, was er dachte und tat, was er für richtig hielt – und darüber hinaus auch noch mit Erfolg! Niemand konnte ihm in ihren Augen das Wasser reichen!

      Aber natürlich musste all diese Verliebtheit, dieses Anhimmeln, dieses Schwärmen und Verklären nach und nach der Realität weichen. Der Alltag machte auch vor ihrer Beziehung nicht halt. Carola wurde von der behüteten Tochter zur erwachsenen Frau und legte damit auch nach und nach ihre rosarote Brille ab. Maik wurde bequem und gab sich immer weniger Mühe, ihr seine Zuneigung zu zeigen. Manches Mal kränkte er sie mit Nachlässigkeiten, die er sich in der Akquisephase ihrer Beziehung natürlich nicht erlaubt hätte. Sprach sie ihn darauf an, wurde immer öfter die Sorge um den Betrieb vorgeschoben, um den er sich zu kümmern hätte und der alle Aufmerksamkeit beanspruchte. Zwar lief die Dachdeckerei glücklicherweise sehr erfolgreich, aber das spielte in dieser Diskussion keine Rolle.

      Gleichzeitig hatte Carola immer häufiger Spannungen wahrgenommen, wenn Maik ihre Anwesenheit bei irgendwelchen Veranstaltungen erwartete und sie ihrerseits berufliche Termine geltend machte. Als ihre Beschäftigung am Institut und ihre Doktorarbeit immer mehr Zeit beanspruchten, rückten seine familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen, die sie anfangs höchst interessant fand, auf ihrer Prioritätenskala nach unten. Denn nun war sie selbst sehr viel mehr als früher gefragt und eingebunden in universitäre Angelegenheiten und darüber hinaus ehrgeizig genug, diese neue Rolle auch ausfüllen zu wollen. Anstatt nun seinerseits Verständnis für ihre Verpflichtungen zu haben, reagierte Maik immer öfter beleidigt, wenn sie anderes zu tun hatte, als an seiner Seite freundlich in die Runde zu lächeln und sich darauf zu beschränken, mit bewunderndem Blick den beruflichen und privaten Heldentaten ihres Mannes und seiner Freunde zu lauschen. Zu ihren gesellschaftlichen und dienstlichen Terminen kam er natürlich nie mit. Er meinte, das theoretische Gerede würde ihn nur langweilen. Davon, dass auch Wissenschaftler Menschen sind, die mehr als nur Formeln und hochtrabende Thesen im Kopf haben, konnte sie ihn bislang nicht überzeugen.

      Hinzu kommt, dass Carola mittlerweile schon manches Mal von boshaften Zungen zugetragen wurde, dass ihr Mann, wenn sie nicht dabei ist, einem Flirt nicht abgeneigt ist. Und obwohl sie sich nicht allzu viel Gedanken um Maiks Treue macht, weil er immer noch jede Nacht zu Hause verbringt, nahm sie solche Geschichten zunächst gelassen, später mit Ärger zur Kenntnis und empfindet heute nur noch Verachtung dafür, dass er so etwas nötig zu haben scheint.

      „Wo soll das enden?“

      Diese Frage schießt Carola plötzlich durch den Kopf. Was ist das für eine Entwicklung, die ihre Ehe da nimmt? Was passiert, wenn sie beide die Dinge einfach so weiterlaufen lassen?

      Ihr Herz krampft sich zusammen. Diese Frage steht schon länger im Raum, wie sie sich eingestehen muss. Jedoch hat sie sie so deutlich bislang nicht stellen mögen. Doch jetzt tut sie das und sie kennt die Antwort, auch wenn sie sich das nicht wirklich eingestehen will.

      Noch einmal schaut sie zu ihrem Mann hinüber und ein wehmütiges Gefühl beschleicht sie, so, als wäre es fast schon nur noch eine Erinnerung, dass er neben ihr sitzt.

      „Reiß dich zusammen“, sagt sie sich und richtet ihren Blick wieder nach vorne auf die Straße, „und nutze den Urlaub, um Klarheit zu gewinnen.“

      +

       Petra und Sabrina

      Die Stimmung ist bestens im schicken schwarzen Kombi, obwohl die beiden darin sitzenden Frauen unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch sie schwatzen und lachen, was das Zeug hält, und scheinen sich großartig zu amüsieren.

      Sabrina schaut zu Petra hinüber, die am Steuer des Wagens sitzt. Sie sieht eine kleine, hagere Person Anfang fünfzig, bei deren Anblick sich ihr der Vergleich mit einer Trockenfrucht aufdrängt: Die eingefallenen Wangen, der leicht hervorstehende Oberkiefer, die etwas verkniffenen Gesichtszüge und die kurzen, schwarz gefärbten Haare, die für ihren Hauttyp eine Nuance zu dunkel sind, wie Sabrina mit fachmännischem Blick feststellt, lassen diesen Eindruck bei ihr entstehen.

      Die Frau auf dem Beifahrersitz ist Friseurmeisterin und es gehört zu ihrem Job, sich Gedanken über das Aussehen ihrer Kundschaft zu machen. Diese berufliche Angewohnheit vermag sie auch in ihrer Freizeit nicht einfach abzulegen. Zwar hat sie selbst eine Vorliebe für gewagte Farbkombinationen, was man ihrer eigenen Haarpracht ansieht, aber sie weiß eben auch, wem welche Farben stehen und wem nicht. Und zu Petras Teint passt das satte, tiefdunkle Schwarz eben nicht und lässt sie noch blasser und insgesamt farbloser aussehen, als sie sowieso schon ist.

      Innerlich schüttelt Sabrina den Kopf: Immer wieder schneien solche Kundinnen in ihren Laden, die wie Petra meinen, mit Gewalt etwas aus ihrem farblosen Typ machen zu müssen. Solche Frauen kleiden sich mit auffälligen, aber unpassenden Farben und wollen dazu von ihr mit einer auffälligen, aber leider auch unpassenden Frisur versorgt werden. Das Ergebnis fällt dann erwartungsgemäß regelmäßig so aus, dass man denken könnte, ein Spatz würde sich als Paradiesvogel verkleiden! Kaum jemals ist es Sabrina gelungen, solche Kundinnen davon zu überzeugen, ihrem Typ entsprechende Veränderungen ihres Äußeren vorzunehmen. Immer wieder bestanden sie am Ende doch auf irgendwelchen unpassenden Modefarben und ebenso unpassenden, auffälligen Schnitten. Irgendwann hat sie es aufgegeben, solche Diskussionen zu führen und lässt ihren Klienten ihren Willen – auch wenn sie oft kurz davor ist sie zu bitten, nach der Behandlung den Laden durch den Hinterausgang zu verlassen.

      Doch was spielt das hier schon für eine Rolle? Sabrina ist froh, mit Petra eine Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben, die es ihr ermöglicht, auf äußerst komfortable Weise nach Italien zu reisen. Und komfortabel ist dieser großräumige Wagen allemal! Mit ihrem eigenen Auto, einem sehr betagten Kleinwagen mit nur 45 PS, hätte sie sich äußerst ungern auf die lange Strecke und diverse für ein Vehikel wie ihres sehr anspruchsvolle Steigungen eingelassen. Deshalb war sie angenehm überrascht, als dieses in ihren Augen nahezu luxuriöse Gefährt am frühen Morgen vor ihrem Haus in einem kleinen Dorf in der Nähe des Siebengebirges gehalten hat, um sie mitzunehmen.

      Bis zu diesem Morgen – eigentlich war es noch mitten in der Nacht – kannten die beiden Frauen sich nicht. Der Veranstalter des Musik-Workshops hatte es vor ein paar Wochen übernommen, Fahrgemeinschaften unter den Teilnehmern zu initiieren. Petra hatte einen Platz in ihrem Wagen angeboten und Sabrina hatte gerne angenommen. Als dann die schwarz glänzende Limousine vor ihrem Häuschen in der engen Straße gehalten hatte und Petra ausgestiegen war, hatte sie ganz überrascht gefragt, ob das der Wagen ihres Mannes sei und ob der wüsste, dass sie damit unterwegs wäre. Eine Frau und so ein großes, PS-starkes Auto – das passte für Sabrina bis dahin überhaupt nicht zusammen. Aber Petra hatte nur geschmeichelt gelächelt und gemeint, als Führungskraft eines international erfolgreichen Unternehmens stände ihr ein Dienstwagen zu.

      In Sabrinas Augen stieg Petras Ansehen in diesem Moment ins Unermessliche. Führungskraft und Dienstwagen. Als Frau. In Deutschland. Beinahe unglaublich!

      Sie schluckte. Das musste sie erst mal verdauen. Ein Anflug von Neid kroch in ihr hoch: So muss das wohl sein, wenn man „es zu etwas gebracht“ hat, wie ihre Eltern immer sagen.

      Sabrina unterdrückte eine bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, aber sie wollte sich auch ihre Bewunderung nicht anmerken lassen. Ohne einen weiteren Kommentar hatte sie ihre umfangreiche Ausrüstung im Wagen verstaut: einen Koffer, eine mittelgroße Reisetasche, die Gitarre im gepolsterten Rucksack und noch ein paar kleine Taschen und Beutel. Für ein weniger geräumiges Auto wäre diese Menge an Gepäck, zusätzlich zu Petras Ausstattung, tatsächlich ein Problem gewesen. Doch mit diesem Wagen konnten die beiden, ohne Platzprobleme diskutieren zu müssen,