Dann gaben sie sich wild entschlossen fest die Hand und marschierten auf die Tür des Schneiders zu. Dreimal klopften sie an, doch das Schreien hörte nicht auf. Im Gegenteil, die Mütze hatte das Klopfen gehört und brüllte noch einige Töne lauter.
Die beiden wohlbeleibten Damen blickten sich noch einmal ganz, ganz tief in die Augen, gaben sich noch einmal ganz, ganz fest die Hand und traten ein.
Der Schneider sah aus den Augenwinkeln, dass sich die Tür öffnete und stoppte mitten in der Bewegung.
Die Mütze hörte auf zu schreien.
Die beiden wohlbeleibten Damen standen in der Tür und sagten - nichts.
Sie blickten den Schneider tief und missbilligend an. Einen Augenblick verharrten sie noch, dann verließen sie die Werkstatt.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, sahen sie sich ein letztes Mal ganz, ganz tief in die Augen, gaben sich ein letztes Mal ganz, ganz fest die Hand und gingen auseinander, eine jede mit dem Gefühl, eine Heldentat vollbracht zu haben.
In der Werkstatt herrschte furchtbar dicke Luft. Der Schneider kochte vor Wut.
Die Mütze fühlte sich siegessicher, sie sagte:
„Zieh die Nadeln aus mir heraus oder...“
„Was oder?“
„Das wirst du dann schon sehen.“
„Pah!“, sagte der Schneider und ging an eine Arbeit, die er am Vortag begonnen, aber nicht zu Ende geführt hatte.
Die Mütze hatte sich unterdessen etwas Neues ausgedacht. Jedes Mal, wenn ein Kunde die Werkstatt betrat, fing sie gar jämmerlich zu wimmern an.
Dieses Wimmern ging den Kunden regelrecht durch Mark und Bein. Es liefen ihnen kalte Schauer den Rücken hinunter. Die Kunden gaben vor, eine sehr wichtige Besorgung machen zu müssen, und verschwanden wieder so schnell es ging. Die Arbeit aber, die gaben sie dem anderen Schneider in der Stadt.
So kam es, dass der Schneider an diesem und an den folgenden Tagen keinen einzigen Auftrag erhielt. Es ging sogar so weit, dass sich Gerüchte in der Stadt verbreiteten, und einige schlaue Herren Mutmaßungen über das andauernde Gewimmer anstellten. Einer der Herren, der resoluteste, wollte sogar die Polizei benachrichtigen, damit endlich in der Werkstatt nach dem Rechten gesehen werde.
Dies alles bekam natürlich auch der Schneider mit und vor allem, es ging an seine Kasse. Er hatte in den letzten Tagen keinen müden Kreuzer eingenommen.
„Na warte“, dachte der Schneider nach einigen Tagen, als er des Abends nach Hause kam und er wieder den ganzen Tag vergebens auf Kundschaft gewartet hatte, „dich werd' ich los.“
Nachdem er in die Küche gegangen war, schmiss er als erstes die Mütze neben den Herd auf die Spüle, die wie immer randvoll mit dreckigem Geschirr stand. Anschließend ging er in den Keller, holte einen großen Korb Holz herauf und zündete im Herd ein Feuer an.
Er heizte kräftig ein und stopfte den Herd so voll, dass kein Span mehr hinein passte. Danach zog er sich die Stiefel aus und setzte sich an den Tisch. Seelenruhig saß er eine gute halbe Stunde und spielte mit einer Wanze, die er kreuz und quer über die Tischplatte jagte. Als es in der Küche unerträglich heiß zu werden begann, zerquetschte er die Wanze mit dem Daumen und erhob sich. Er ging zur Spüle, nahm eine dreckige Pfanne und tat so, als wollte er mit der Mütze die Pfanne auswischen. Doch plötzlich sprang er zur Seite, riss die Herdtüre auf und warf die total verdutzte Mütze hinein.
Noch ehe die Mütze etwas sagen konnte, war die Herdtüre wieder zu. Sofort fing ihr äußerer, weicher Flaum Feuer. Es war barbarisch heiß. Schon brannte sie fast überall. In wilder Panik strengte sie all ihre Wollfäden an und stemmte sich mit übermützlicher Kraft gegen die Tür. Die Holzscheite knackten und krachten. Das Feuer verlosch fast von der Gewalt, mit der sie sich gegen die Herdtüre stemmte. Plötzlich, mit einem lauten Knall, flog die Tür auf und die Mütze rollte zu Boden. Aber sie brannte noch immer. So schnell sie konnte, rollte sie sich die Spüle hinauf, hinein in einen großen Topf mit Wasser. Es zischte gewaltig, als sie sich ins Wasser fallen ließ.
„Gerettet!“, dachte sie. Erschöpft blieb sie einen Augenblick im Wasser liegen, bis die Erinnerung an den Schneider zurückkam. Sie schwang sich aus dem Topf, rollte auf den Schneider zu und brüllte mit sich überschlagender Stimme:
„Ich verlasse dich. Du wirst schon sehen, was du davon hast, ruchloser Geselle, undankbarer!“
Dann versagte der Mütze die Stimme.
Der Schneider wurde bei ihrem Anblick kreidebleich. In Schlappen rannte er aus dem Haus, die Straße entlang, in die Werkstatt und kauerte sich zitternd in eine Ecke. Kurz darauf stand er noch einmal auf, verschloss die Werksatttür von innen und schob auch noch den Riegel vor. Er hatte Angst. Schließlich hätte er um ein Haar seine Mütze ermordet. Das war Grund genug für die Mütze, ihm in die Werkstatt hinterher zu rollen. Bei dem Gedanken daran wurde er noch einen Ton bleicher, denn er wusste ja nun, welche unbändige Kraft in der Mütze steckte.
Die Mütze unterdessen dachte nicht daran, dem Schneider nachzurollen. Sie bewegte sich zum Kühlschrank, trank einen halben Liter Milch, denn Sie fühlte sich innerlich entsetzlich dreckig, aß einen viertel Laib Brot und überlegte, wie sie am besten verschwinden könnte. Wegrollen ging nicht, das hätte ihre Wolle auf Dauer nicht ausgehalten. Sie gedachte weit wegzugehen. Steine und Stöcke hätten sie ziemlich schnell zerrissen.
Sie dachte noch nach, als sich plötzlich der rechte Stiefel, der schon immer etwas unwillig mit dem Leder geknarrt hatte, bemerkbar machte. Er winkte ihr kurz mit der dicken Zehe und forderte sie auf, aufzusitzen. Die Mütze verstand sofort. Sie rollte zum Stiefel und hüpfte obenauf. Der Stiefel knarrte behaglich mit dem Leder.
„Auf geht's, Stiefel. Hinaus in die Welt!“
Der Stiefel wippte noch einmal kurz mit der dicken Zehe, dann schritt er durch die Tür ins Freie.
„Endlich frei“, seufzte die Mütze erleichtert. Der Stiefel brummte zustimmend.
„Also los, Stiefel. Was kostet die Welt!“
Mit diesem Ausruf ritt die Mütze auf dem Stiefel der untergehenden Sonne entgegen.
Der Weg zum Fluss
Einige Wochen waren inzwischen ins Land gegangen, und die Mütze wanderte immer noch unermüdlich mit dem Stiefel durchs Land, auf der Suche nach einer friedlichen Unterkunft, Arbeit, einem Tässchen Milch und einem Stückchen Brot. Immer und immer wieder hatte sie die verrücktesten Abenteuer erlebt.
Sie war an einen Bäcker geraten, der sie über und über mit Mehl einstäubte.
Sie war an einen Strauchdieb geraten, der sie kurzerhand raubte.
Gottlob fand der Stiefel sie wieder.
Sie wurde in einer Kneipe vergessen und hatte unzählige Male das Pech, immer wieder an die falschen Menschen zu geraten, nämlich solche, die ihre wahre Größe nicht erkannten, und sie wie einen alten, schmutzigen Lappen behandelten.
Gerade hatte sie wieder einmal eines ihrer haarsträubenden Erlebnisse hinter sich gebracht, (jenes Arbeitsverhältnis bei dem Bäcker, der sie über und über mit Mehl einstäubte) und war mit dem rettenden Sprung auf den Stiefel geflohen, den sie mit den Worten anzufeuern pflegte: „Auf geht’s Stiefel, was kostet die Welt.“ Da fasste sie einen Entschluss.
„Stiefel“, sprach sie zu ihrem treuen Begleiter, als sie weit genug von dem Ort entfernt waren, in dem der Bäcker den Menschen seine schmutzigen Brötchen andrehte, „ich glaube, wir sollten nach Süden gehen.“
Der Stiefel brummte etwas atemlos, denn ihm saß die überstürzte Flucht noch im Leder.
„Schon hundertmal habe ich gehört: Im Süden ist es schön. Im Süden sind alle