Insgeheim wünschte die Mütze den Schneider jedoch zum Teufel.
Der Schneider zog seine Stiefel aus, stellte sie in eine Ecke und ging an die Arbeit. Spät am Abend zog er die Nadeln aus der Mütze, setzte sie auf, zog sich die Stiefel wieder an, von denen der Rechte immer etwas unwillig mit dem Leder knarrte, und ging nach Hause.
Er ging immer sehr spät nach Hause, denn er konnte seine dreckige, kalte Wohnung nicht leiden. Seine Werkstatt musste, der Kunden und des guten Eindrucks willen, immer aufgeräumt und sauber sein. Auch darüber war er griesgrämig, denn das Saubermachen lag ihm überhaupt nicht. Aber eben weil die Werkstatt immer sauber war, hielt er sich dort am liebsten auf. Außerdem kam spätabends manchmal noch ein Kunde, der eine besonders eilige Arbeit hatte, weil er vielleicht mit einer schönen Frau ausgehen wollte, und er sich die beste Hose zerrissen hatte. Solche Kunden hatten es meist eilig und waren froh, dass sie noch jemanden fanden, der ihnen aus der Klemme half. Sie bezahlten den Schneider für diese Arbeit gut. Der konnte das Geld gebrauchen, denn er war ständig pleite.
Dann war da noch das mit der Einsamkeit. Der Schneider war furchtbar einsam. Niemand besuchte ihn zu Hause. Er hatte nicht einen einzigen Freund, seines Griesgrames wegen. So blieb er abends länger in der Werkstatt, um ab und zu mit einem Kunden ein paar Worte zu wechseln. Er brauchte das, denn jeder Mensch braucht ab und zu jemanden, mit dem er reden kann. Mit den Kunden sprach er meist freundlich über das Wetter oder andere belanglose Dinge. Freundlich sein musste er zu seinen Kunden, besonders zu den späten, gut zahlenden. Auch das verbitterte ihn, freundlich sein zu müssen, obwohl ihm überhaupt nicht danach war.
Wenn der Schneider dann endlich nach Hause kam, schmiss er voller Griesgram die Mütze auf den Tisch und machte sich etwas zu essen. Manchmal wischte er sich mit der Mütze den Mund ab, manchmal putzte er ein paar Fettspritzer mit ihr auf. Niemals jedoch wusch er die Mütze. Die Mütze wurde, je länger sie bei ihm war, immer unansehnlicher.
Dabei war sie eine ausgesprochen schöne Mütze, mit roten Kreisen auf blauem Grund und mit einem dicken Bommel oben dran. Nach und nach fühlte die Mütze sich immer dreckiger. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Es ging so weit, dass sie sich eines Tages selber nicht mehr leiden konnte.
Irgendwann dann, an einem Tag, an dem sie sich besonders elend fühlte und der Schneider wieder einmal allen Dreck mit ihr fortwischen wollte, fasste sie sich ein Herz und verließ ihre stumme Welt für immer. Sie sprach den Schneider an:
„He du, Schneider.“
Der Schneider glotzte ziemlich blöd, dass ihn jemand ansprach, wo er doch ganz allein in seiner Wohnung war.
„Schneider, ich rede mit dir! - Ich, deine Mütze!“
Der Schneider wurde ganz bleich. Er streckte die Hand nach der Mütze aus, nahm sie auf und hielt sie sich dicht vor das Gesicht. So etwas hatte er noch nie erlebt. Eine Mütze, die mit ihm redete.
„Mützen können nicht reden“, dachte er, „Mützen sind Kleidungsstücke“.
Und mit Kleidungsstücken kannte er sich aus, schließlich war er ja Schneider.
Die Mütze war aber eine ganz besondere Mütze. Sie hatte ein Innenleben und Gefühle, wie sie nur ganz besondere Mützen haben können, nämlich solche, die mit viel Liebe gestrickt worden sind.
„Hör mal zu, Schneider“, sprach die Mütze, „seit ich bei dir bin, behandelst du mich schlecht.
Du wäschst mich nicht.
Du steckst Nadeln in mich, bis mir vor Schmerz ganz schlecht wird.
Du wirfst mich in Ecken, und als Krönung putzt du allen Dreck mit mir weg, so als ob ich ein alter Putzlappen wäre.
Aber ich sage dir, ich bin eine Mütze, eine schöne Mütze, und ich bin stolz darauf, eine Mütze zu sein. Mützen haben den höchsten Stellenwert in der Kleiderrangordnung. Sie halten die Gedanken im Kopf warm, und so kommt es, dass diejenigen, die eine gute Mütze haben, immer freundliche und gute Gedanken haben. Für diese würdevolle und in höchstem Maße anspruchsvolle Aufgabe wollen wir Mützen auch anständig behandelt werden. Da das bei dir nicht der Fall ist, verlange ich ab sofort eine angemessene Entschädigung für meine Dienste. Außerdem fordere ich, dass du mich wenigstens einmal im Monat wäschst und auch sonst entsprechend behandelst. Das heißt: keine Nadeln mehr in meinen Eingeweiden, keine Verwendung mehr als Putzlappen und einen angemessenen Platz am Kleiderhaken neben der Tür.“
Der Schneider hatte sich wieder gefangen. Er konnte Revoluzzer und Gewerkschafter auf den Tod nicht leiden, und das, was die Mütze eben von sich gegeben hatte, hörte sich verdammt nach Gewerkschaft und Revolution an. Er sagte nur:
„Pah!“ und schmiss die Mütze in eine heiße Pfanne.
Die Mütze war stur wie ein Esel und wusste genau, was sie wollte. Sie rollte sich aus der Pfanne, vom Herd, quer durch die Stube, zum Tisch, das Tischbein herauf und blieb genau vor des Schneiders Augen liegen.
„So“, schrie sie voll Wut, „du wolltest mich anbrennen. Das wird dich teuer zu stehen kommen. Ich verlange von dir ein Tässchen Milch und ein Stückchen Brot pro Tag als Bezahlung.“
Sie hatte einmal gehört, dass Milch innerlich reinigen sollte, und, so dachte sie sich, wenn ich länger bei dem Schneider bleiben soll, muss ich was für meine innerliche Reinigung tun. Da die Mütze aber von purer Milch immer Sodbrennen bekam, forderte sie zusätzlich ein Stückchen Brot.
„Du bekommst gar nichts.“ , brummte der Schneider, „und wenn du nicht still bist, fliegst du ins Feuer.“
Das saß. Die Mütze schwieg. Sie dachte sich:
„Es ist wohl besser, wenn ich einen strategischen Rückzug mache. Aber warte, Schneider, meine Zeit kommt noch.“
Als am nächsten Morgen der Schneider den Tisch mit ihr abwischen wollte, legte sie los. Sie machte schmatzende Geräusche und zwar derart laut, dass die ganze Nachbarschaft es hören konnte. Er ließ sofort die Mütze fallen, denn er dachte:
„Wenn die Nachbarn das hören, denken die, dass ich so schmatze, und das ist schlecht fürs Geschäft.“
Schmatzen galt als unschicklich, und wenn der eine Schneider unschicklich war, gaben die Leute eben dem anderen Schneider in der Stadt den Auftrag.
Außerdem dachten die Leute, dass ein unschicklicher Mensch auch schlechte Manieren haben musste. Und Schneider mit schlechten Manieren galten im Volksmund als schlechte Schneider.
Er holte sich also einen Lappen, um den Tisch abzuwischen. Die Mütze fühlte sich unheimlich gut, denn sie hatte ihren ersten Kampf im Leben gewonnen.
Tief im Innern des Schneiders brodelte es. Er war nicht gewillt, sich von einer wild gewordenen Mütze sein Leben diktieren zu lassen. Er sagte nichts und ging ziemlich eilig in die Werkstatt. Dort angekommen, tat er, als sei nichts gewesen. Er benahm sich, wie er sich all die Jahre zuvor, Tag für Tag, benommen hatte.
In der Werkstatt fühlte die Mütze sich sicher, denn es gab keinen Ofen, in den sie hineingeworfen werden konnte. Die Werkstatt hatte Zentralheizung.
Als der Schneider sie gerade zusammenknäueln und die erste Nadel in sie hineinstecken wollte, rief sie:
„Halt! Brot und Tässchen Milch, oder...“
„Was oder?“
„Das wirst du dann schon sehen.“
„Pah!“, sagte der Schneider wieder und stieß die erste Nadel in ihr zartes Gewebe.
Daraufhin brüllte die Mütze so schrecklich, dass die Leute auf der Straße stehen blieben und sich fragten, was da wohl Entsetzliches geschehen möge.
Den Schneider erzürnte das Geschrei der Mütze fürchterlich. Je lauter sie schrie, mit umso mehr Wut donnerte er die Nadeln in sie hinein. Das Geschrei ihrerseits und das Nadeln hineindonnern seinerseits dauerte so lange an, bis sich zwei