»Hitzschlag«, höre ich die Ärztin sagen, die mit dem Rettungswagen mitgekommen ist. »Wir müssen sie ins Krankenhaus mitnehmen.«
»Du hast aber einen gesunden Schlaf.« Die Stimme der Schwester weckt mich. »Ich dachte schon, du brauchst eine besondere Einladung, um zurückzukommen.«
Mein Kopf schmerzt immer noch, aber sehen kann ich wieder. Die Einrichtungsgegenstände im Krankenzimmer scheinen zu schwimmen. Als ich den Kopf heben will, wird mir übel, also lasse ich das erst einmal sein. Unter meiner Schädeldecke hämmert es ununterbrochen, die vorhin schon erkennbaren Dinge lösen sich vor meinen Augen auf.
Noch ein Tag vergeht, ehe es mir gelingt, mit Hilfe von Infusionen und ständig gewechselten kalten Umschlägen zu mir zu kommen. Eine Schwester erwischt mich gerade, als ich eigenständig aufstehen will.
»Darfst du nicht«, sagt sie. »Wenn du mußt, hole ich die Bettpfanne.« Was mir unendlich peinlich ist.
Anschließend bin ich erschöpft, als hätte ich zwei Tage in den Weinbergen gearbeitet. Und mein linkes Bein fühlt sich merkwürdig an. Genauer gesagt, ich fühle es gar nicht. Die Aktion vorhin war so anstrengend, daß ich gleich wieder einschlafe.
Bei der Visite am nächsten Tag ist die Ärztin aus dem Rettungswagen wieder da, obwohl sie nicht auf der Station arbeitet. Den Stationsarzt sehe ich zum ersten Mal, bis jetzt habe ich jede Visite verschlafen. Die Schwester soll mir helfen, mich auf die Bettkante zu setzen, die Beine soll ich baumeln lassen. Ob ich beide Beine spüre, fragt die Ärztin. Das linke nicht so richtig, sage ich. Ob ich aufstehen kann, fragt er dann. Klar, sage ich und will schon vom Bett rutschen. Die Schwester steht links neben mir, die Ärztin rechts, es sieht aus, als wollten sie mich stützen. Was soll das Theater, ich kann bestimmt schon allein aufstehen. Als ich es versuche, schießt mir ein Schmerz ins Kreuz, dann ins linke Bein. Ich knicke ein und lande wieder auf dem Bett. Die Schwester deckt mich zu.
Ob ich früher schon etwas mit dem Rücken hatte will der Oberarzt wissen. Im Frühjahr, als wir in den Weinbergen gearbeitet haben, hatte ich manchmal Schmerzen, fällt mir jetzt ein. Sie waren aber nicht schlimm.
Er muss mich gründlich untersuchen, erklärt der Arzt und geht mit der behandelnden Ärztin aus dem Zimmer. Die Schwester sagt, es wird alles gut, ich muß mir keine Sorgen machen.
Die Sache mit den gründlichen Untersuchungen in diesem Krankenhaus hat sich bald erledigt, sie können nicht viel für mich tun. Das erfahre ich zwei Tage später. Meine Mutter reist an und als Begleitung im Krankenwagen mit mir zurück. Praktisch wie sie ist, besteht sie darauf, alle meine Sachen im Internat zu packen und gleich mitzunehmen. Ein Abwasch, sagt sie und bedankt sich überschwenglich bei Fahrer und Pfleger dafür, daß sie mit uns den kleinen Umweg machen. Sie verspricht den beiden ihre über alle Grenzen berühmte Hühnersuppe mit selbstgemachten Hochzeitsnudeln als Belohnung.
Und meine Mutter hält Wort, obwohl sie mich gar nicht erst nach Hause bringen lassen darf, sondern gleich ins Krankenhaus in Eger. Sie setzt alles in Bewegung, damit ich nach den Tagen der wichtigsten Untersuchungen entlassen werde. Vater und Großmutter sind entsetzt, Mutter lächelt ihr entwaffnendes Lächeln, bereitet mir ein improvisiertes Krankenlager in der Küche, damit ich bei allem, was passiert, dabei sein kann.
Wie sie es angestellt hat, denselben Fahrer und auch noch den Krankenbegleiter zu bestellen, die uns schon nach Eger gebracht haben, verrät sie nicht. Die beiden Männer haben den Rest des Tages frei und sitzen schon am Eßtisch. Vater beeilt sich, mit dem Weinheber im Keller zu verschwinden und Großmutter kümmert sich höchstpersönlich darum, daß ein saftiges Huhn im Kochtopf landet. Das Kochen überläßt sie der Schwiegertochter und während die ersten Duftschwaden von frischem Wurzelgemüse und jungem Huhn die Küche füllen, schlüpft Großmutter in ihre Lieblingsrolle als Konditormeisterin. Sie will schließlich auch ein paar Lorbeeren ernten. Diesmal hat sie fremde Gäste, die die Kunde ihrer Backkunst in die weite Welt hinaustragen werden.
Großtante Klára kommt rechtzeitig zum Festmahl, sie hat meinen Einzug hinter der Thujahecke beobachtet. Großonkel János halte gerade sein Mittagsschläfchen, entschuldigt sie ihren Mann, aber zum Resteessen am Abend sei er wieder auf den Beinen. Ob ein Resteessen heute stattfindet, erscheint sehr fraglich, denn unsere Gäste langen zu, als hätten sie seit Wochen nichts Gescheites mehr vorgesetzt bekommen. Großmutter erkennt die Lage auch und beeilt sich, ihren noch lauwarmen und kalorienträchtigen Kuchen rechtzeitig auf den Tisch zu stellen, bevor alle anderen Schüsseln leer sind. Tante Klára quittiert mit wohlwollendem Kopfnicken das beherzte Eingreifen ihrer Schwägerin und hilft Großmutter in der Küche beim Sichern der Reste und Spülen des Geschirrs.
Mein Bruder kann gerade noch zwei große Stücke vom Kuchen ergattern. Ihn interessiert die Hühnersuppe nicht besonders, etwas Süßes ist ihm lieber. Er ist wieder ein Stück gewachsen, seitdem ich ihn nicht gesehen habe, und auch ein bißchen sicherer in seinen Bewegungen und beim Sprechen. Nur seine dicke Brille ist unverändert und wenn er sie absetzt, wird die rote Stelle auf seinem Nasenrücken sichtbar, die sich regelmäßig entzündet. Er hat außerdem noch andere rote Stellen im Gesicht, die Spuren von ausgedrückten Pickeln. Mein kleiner Bruder ist nicht mehr der kleine Bruder, er ist auf dem Weg, erwachsen zu werden.
Wie ich an diesem Abend auf meinem Nachtlager lande, weiß ich nicht mehr, ich erwache erst am nächsten Morgen in meinem früheren Zimmer. In der ersten Nacht wieder zu Hause träume ich, daß mein linkes Bein wehtut und daß ich nicht aufstehen kann. Als ich mitten in der Nacht erwache stelle ich fest, daß das kein Traum ist, sondern schmerzhafte Wirklichkeit.
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