Karl Zbigniew Grund
In den Häusern der Irren
38/1
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Inhaltsverzeichnis
Bewahrungshaus
Der Autor, 1954 geboren, musste als Student der Sozialwissenschaft nach einer Verzweiflungstat die Unterbringung in einer Haftanstalt und auch in der Psychiatrie erleben. In dieser besonderen Notlage entdeckte er seine Fähigkeit, die Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse in Kurzgeschichten und Gedichten zu verarbeiten. 1999 erhielt er den Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene. Als Mitglied in der Literaturwerkstatt von Jo Micovich in Wuppertal intensivierte er seine Schreibversuche und erstellte mehrere Anthologien. Ermutigt durch die überaus positiven Erfahrungen veranstaltete er zahlreiche Lesungen in kulturellen Einrichtungen, Schulen und Haftanstalten.
Buch
38/1 ist eine besondere und berühmt berüchtigte Abteilung in einer psychiatrischen Anstalt, wo sich unter den drogenabhängigen Patienten ungewöhnlich viele Todesfälle ereignen. Es geht um das Leben und Sterben in einer weitgehend unbekannten Welt. Der Autor berichtet über die besonderen, kaum vorstellbaren Ereignisse und Erfahrungen, die er in den verschiedenen Anstalten, aber auch in seinem bewegten Leben erleben und überleben konnte. In diesem schonungslos ehrlichen Tatsachenroman beschreibt der Autor seine extremen Tiefpunkte und einen Teufelskreis, den er nur mit viel Fantasie einigermaßen schadlos überstehen konnte.
Für viele meine Freunde, die aus dem Teufelskreis der Sucht nicht heraus finden konnten und viel zu früh ihr Leben beendeten.
Hier danke ich auch vor allem meiner Freundin, Petra Piskar, die als Graphik-Designerin die Gestaltung des Buches kompetent erledigte und mit deren Hilfe mein Vorhaben überhaupt realisiert werden konnte. Ebenso danke ich vielen anderen Freunden, die mich ermutigten und motivierten, diesen Roman zu schreiben.
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In den Häusern der Irren
„38/1“
in den häusern der irren
irren die irren irre umher
irre verwirrt verirrt
für immer
Es ist irgendwann im Sommer. Plötzlich und endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, muss ich ganz schnell meine Sachen packen. Innerhalb von 30 Minuten. Eine Blitzverlegung. Drehe mir aber doch noch ganz schnell eine Zigarette, um diesen angenehmen Schock zu verarbeiten. Nach Jahren der Monotonie in dieser äußerst kargen und Reiz reduzierten Umgebung, überall nur die gleichen Wände, die Zelle, der vergitterte Ausblick auf noch mehr Wände und Mauern. Kein Sex, teure Drogen und die vielen Psychopathen und Verhaltensgestörten, mit denen man irgendwie auskommen muss. Eine üble Angelegenheit. Ja, und das alles sollte plötzlich vorbei sein.
Die Ereignisse überstürzen sich. Ziemlich planlos stecke ich meine wenigen Sachen in irgendwelche Taschen und Kartons, und ab geht die Post. Werde auch noch mit dem Einzeltransporter, welch eine Ehre und ungewohnter Komfort, in die für mich vorgesehene Klinik gefahren, um dort meine lang ersehnte Zwangstherapie anzutreten. Viele wissen es nicht, denken, dass es in einer Klinik, in der Psychiatrie, schlimmer wäre als im Knast. Aber ich habe da andere Sachen gehört. Nach meiner Vorinformation dürfte und sollte ich dort zumindest eine bessere Lebensqualität erwarten und die Chance, vorzeitig entlassen zu werden. Für mich Anlass genug, in eine positive und gehobene Stimmungslage zu verfallen. Ich freue mich auf die Verlegung und Veränderung. Es kann nur besser werden.
Unterwegs während der Fahrt sauge ich die neuen Bilder in mich auf. Sichtkontakt mit einer anderen Welt, in der man sich frei bewegen kann. Ein Leben in Freiheit. Darüber lässt sich gut philosophieren. Jedem steht es frei, sich frei zu fühlen – im Rahmen der üblichen Zwänge. Viele laufen frei herum, sind aber im Kopf gefangen. Nicht jeder kann mit Freiheit etwas anfangen. Sucht, Wahn, das ganze Spektrum an psychischen Erkrankungen. Wie auch immer. Ich weiß zumindest, wo die Freiheit definitiv endet. Für mich ist es eine schmerzhafte Erinnerung. Schon lange her, verdammt lang her. So schnell wie möglich möchte ich wieder frei sein.
Nach einer relativ kurzen Fahrt erreichen wir den Ort und fahren in das Klinikgelände.
Überall die schmalen Wege und viel Grün, viele Bäume. Etwas düster die geräumigen Häuser, alle im gleichen Stil gebaut, solides Bauwerk. Seltsamerweise sehe ich kaum Leute auf den Wegen. Der Ort wirkt wie ausgestorben und unwirklich. Eine Geisterstadt. Der Bus fährt plötzlich an einer Mauer entlang, so ähnlich wie im Knast, etwas niedriger vielleicht. Wir warten vor einem Tor, das kurze Zeit später geöffnet wird, um den Transporter durchzulassen. Ich erblicke die Nummer 29/1, und sage auch zu einem der Fahrer, dass es wohl die falsche Nummer sei. Für mich ist ganz klar die 38/1 vorgesehen. Der Beamte guckt mich irgendwie recht seltsam an. Und ich kann ganz gut in Gesichtern lesen. Das lernt man automatisch mit der Zeit in einer geschlossenen Umgebung, schon alleine mangels Abwechslung, aber auch wegen der möglichen Gefahren. Es gilt das Recht des Stärkeren und nicht selten hat man es mit schwer aggressiven und gewaltbereiten Schwachsinnigen zu tun. Schon im Sinne der Selbsterhaltung ist es angebracht, die Situation sofort zu erfassen, um notfalls entsprechend zu reagieren.
Im Knast gibt es eine klare Hierarchie. Entweder man ist gut trainiert und kann sich wehren, oder man geht die Sache mit Verstand und Einfühlungsvermögen an. Dann findet man auch schnell seine geeigneten Partner und Schutz und braucht sich selbst nicht zu bemühen. Ich hatte trotzdem ein sehr scharfes Messer in meinem Haftraum, das ich jetzt leider zurücklassen und verkaufen musste, weil man vor einem Transport immer auf Metallteile durchsucht wird. Es war scharf wie ein Rasiermesser. Aber das werde ich wohl künftig nicht mehr brauchen, so hoffe ich.
Nun ja, jedenfalls guckt der Beamte irgendwie mitleidig, mit einem Anflug von Bedauern, so als ob in Kürze meine Hinrichtung anstehen würde. Nee, ist schon richtig, kannste aber gleich alles abklären, sagt er noch. Dann öffnet sich eine weitere Tür und zwei in Weiß gekleidete Männer kommen die Treppe herunter. Meine beiden uniformierten Begleiter verschwinden plötzlich ganz schnell und ich werde in das Haus geführt. Ein ziemlich großes und graues Gebäude mit vergitterten Fenstern. Beeindruckend sind auch die hohen Wände, die größeren Räume. Im Knast ist der Lebensraum auf knappe 4 Quadratmeter beschränkt. Das ist schon Käfighaltung. Hier ist es auch deutlich kühler. Angenehm kühl. Aber ansonsten auch nicht besonders einladend. Alles grau. Ich fühle mich ganz schön durch geschwitzt von der Fahrt. Einer der Begleiter meint dann auch, dass mir eine Dusche nach der anstrengenden Fahrt sicherlich gut tun würde. Wir gehen einen langen Gang entlang, vereinzelt stehen da noch weitere weiße Pfleger. Alle gucken irgendwie gelangweilt, aber ich spüre, dass sie mich doch mit ihren Blicken verfolgen. Ich kenne diese abschätzenden Blicke, diese erste Grundmusterung.