»Hast du sie noch alle, Alex? Erst sagst du mir, dass ich zu fett bin und jetzt, dass ich zu alt bin? Oder glaubst du etwa, ich bin zu blöd um zu verhüten, so wie unsere dämlichen Expartner?«, zischte sie pikiert, das Gesicht voller roter, hektischer Flecken als hätte sie Scharlach.
»Feli, Spätzchen. Also wirklich, jetzt übertreibst du aber schon etwas. Ich habe doch nicht gesagt, dass du fett bist!«, flötete er so sanft, wie es ihm möglich war und zog sie trotz ihrer Gegenwehr erneut in eine Umarmung.
»Du bist weder alt noch fett, Feli. Im Gegenteil, für mich bist du die schönste Frau auf Gottes Erde. Du bist meine Göttin. Vielleicht vertragen sich ja deine ganzen Vitaminpillen nicht mit den Eiweißshakes und den Hormonen. Versprich mir, einen Arzt aufzusuchen!«
»Aye. Aber ich werde das verdammte Kleid anziehen und wenn ich mich samt einem Mieder einnähen lassen muss!«, knurrte sie kämpferisch.
»Tu was du nicht lassen kannst. Aber bitte, bitte fall mir dann nicht wegen Luftmangel in Ohnmacht«, flehte er inständig.
»Stimmt etwas mit meinen Knien nicht, Lass?«, raunte Alasdair, um ihr im nächsten Moment frech zuzuzwinkern. Himmel, der elende Kerl wusste ganz genau, was für eine Wirkung ein Mann im Kilt auf die Frauenwelt hatte. Sie selbst eingeschlossen. Tatsächlich hatte sie sich seine Unterstützung weniger auffällig vorgestellt. Nicht genug, dass Alasdair einer der wenigen männlichen Elternteile war, der den Elternabend besuchte. Nein, ihr Schotte überragte die anwesenden Männer locker um eine Kopflänge, so dass sie sich fragte, seit wann die schottischen Männer plötzlich auf Bonsaigröße geschrumpft waren? Zudem war er der einzige, der einen Kilt trug. Zu allem Übel hatte Lou sich von ihm überreden lassen, ihre High Heels zum kurzen Schwarzen zu tragen. Womit sie nun ebenfalls so ziemlich alle Anwesenden überragte und das Gefühl von starrenden Augen auf ihrem Allerwertesten nicht los wurde. Zwar lag dies mitnichten an ihrem Outfit, das war gegen die anderen aufgebrezelten Damen fast züchtig, dennoch fühlte sie sich inzwischen in Jeans und Sneakers wohler.
»Ich bin mir nicht sicher, ob deine Charmeoffensive nicht ein winziges bisschen zu viel des Guten ist, mein Schotte«, wisperte sie tadelnd zurück, während sie die Lehrerin ihrer Kinder mit ihrem freundlichsten Lächeln bedachte. Galant öffnete Alasdair der bissig dreinschauenden Mittfünfzigerin die Tür zum Klassenzimmer, welches sich zügig und auffallend geräuscharm mit Eltern füllte.
»Für meine Kinder und mein Eheweib ist mir kein Aufwand zu groß. Vielleicht hätten wir doch die Knucklehead nehmen sollen«, raunte er ihr ins Ohr.
»Willst du mich auf den Arm nehmen, Al? Dir ist schon klar, dass wir teilweise noch Schnee auf den Straßen haben«, wisperte sie sarkastisch bei dem Gedanken an das Motorrad, wobei sie ebenso wie Alasdair und all die anderen Eltern auf den für Erwachsene viel zu kleinen Holzstühlen, die zu einem Stuhlkreis gestellt worden waren, Platz nahm. Lou war überzeugt, dass es reine Schikane war, dass lediglich dem pädagogischen Lehrpersonal die bequemen großen Stühle zur Verfügung standen. Wie um diesen Umstand zu unterstreichen, ächzte das Holz bereits unheilvoll unter ihrem Leichtgewicht. Ausgerechnet wo sie sich gerade mit solchen Gedanken herumschlug, begegnete ihr Blick dem von Mrs. Hamish, der Grazie, die mit ihrer Elfenfigur so wunderbar auf die winzigen Sitzmöbel passte, als wären sie eigens für sie gemacht. Die Frau sah sie an, als hätte sie soeben in eine Zitrone gebissen, nur um dann die Knie ihres Schotten ins Visier zu nehmen. Hatte sie noch nie zuvor Männerknie gesehen? Lou konnte gar nicht anders als eine ‚der gehört zu mir‘-Miene aufzulegen. Unauffällig musterte sie im Anschluss das Prachtexemplar von Mann neben sich, welches in einer Art Schneidersitz auf dem wackeligen Holz thronte und sichtlich Mühe hatte, den Kilt züchtig an Ort und Stelle zu halten. Amüsiert stellte sie fest, dass er dabei versuchte die Knie seines unmittelbaren Nachbarn nicht zu berühren. Seltsam. Weshalb gab eigentlich sein Stuhl keine Protestlaute von sich? Immerhin nannte Alasdair locker das doppelte ihres Körpergewichts sein eigen. Obwohl sie mehr als unruhig war, bewegte sie sich so wenig wie möglich. Das ausgerechnet Mrs. Smith, die leitende Pädagogin, ihrem Schotten gegenüber saß, machte es kein bisschen besser. Vielleicht hätte sie ihn doch vor den winzigen Sitzmöbeln warnen sollen. Missbilligend rümpfte Mrs. Smith die Nase, so dass es aussah, als würde ihre Nickelbrille auf- und abspringen.
»Ich glaube, die Sassenach mag mich«, spielte Alasdair flüsternd auf Mrs. Smiths englische Wurzeln an. Unter niedergeschlagenen Lidern beobachtete sie ihren Mann, wobei sie innerlich betete, dass er auf keine Dummheiten kam. Leider war ihr nur zu bewusst, was ihr Mann unter seinem Kilt trug. Ein Umstand, der ihr selbst die Schamesröte vom Dekolleté bis zu den Ohren steigen ließ.
»Du wirst so rot, mo cridhe. Machst du dir Sorgen um Schottlands Zukunft?«, neckte er sie belustigt. Ungewollt entwich ihr ein typischer schottischer Unmutslaut, der ihren Schotten dazu veranlasste, breit grinsend ihren Oberschenkel zu tätscheln, als wolle er sie beruhigen. Warum hielt sie die Idee, ihn mitzunehmen, plötzlich für keinen guten Einfall mehr? Ablenkend ließ sie den Blick durch den Raum schweifen, sah sich die bunten Kinderzeichnungen an den Wänden an. Unmittelbar neben ihr an der Wand hingen die Zeichnungen ihrer Kinder einträchtig nebeneinander. Gut erkennbar an den in krakeliger Handschrift geschriebenen Namen. Sicher, man konnte von vierjährigen keine Kunstwerke erwarten. Selbst dann nicht, wenn die Mutter eine Künstlerin war, die beide Kinder bereits im zarten Alter von zwei Jahren mit Farben und Papier spielen hatte lassen. Den Kopf schief gelegt überlegte sie, was sie mehr an den Bildern störte. Dass Diana Claires Selbstporträt nur aus runden Kugeln bestand und Hände besaß, die in lediglich drei Fingern endeten? Oder dass Jamie Rogers Selbstporträt nur aus Strichen mit überdimensionalem Kopf und drei gleichlangen Beinen bestand.
»Es sind Vierjährige, Lou. Was erwartest du denn?«, deutete Alasdair ihre Gesichtszüge richtig und wies mit dem Kinn auf Jamie Rogers Zeichnung.
»Immerhin macht sich wee Jamie auch Gedanken über Schottlands Zukunft!«
»Ha und scheinbar überschätzt er sich dabei auch. Ganz der Vater«, murmelte sie trocken und ignorierte Alasdairs Unmutslaut geflissentlich. Ohne besondere Vorfälle plätscherte der Elternabend vor sich hin. Selbst um einen Posten als Elternbeirat kam Lou herum, da sich Mrs. Hamish nahezu darum gerissen hatte. Kurz vor Ende brummte man ihnen zwar noch eine Torte für das Frühlingsfest auf, doch auch diese ließ ihre Hoffnung auf einen überstandenen Elternabend ohne Standpauke seitens des Lehrpersonals nicht schwinden. Das Glück wendete sich jedoch während der Verabschiedung der Eltern gegen sie.
»Mr. und Mrs. Munro, wenn ich Sie bitte noch auf ein Gespräch in mein Büro bitten dürfte«, ertönte Mrs. Smiths nasale Stimme hinter ihrem Rücken und sorgte sofort für weiche Knie bei Louise. Tatsächlich kam sie sich vor, als hätte sie selbst etwas ausgefressen, nicht ihre Kinder. Alasdair hingegen gab den Helden. Der arme Kerl hatte bisher ja auch noch nie Erfahrungen mit Mrs. Smith gesammelt. Die Standpauke ließ nicht lange auf sich warten. Während Lou das Gefühl hatte, unter den Worten der Pädagogin zu schrumpfen, verteidigte ihr Held todesmutig seine Familie, indem er den Spieß umdrehte.
»Entschuldigen Sie bitte, Mrs. Smith. Aber haben nicht Sie selbst das Thema „Unsere Tiere auf dem Land“ in Biologie behandelt?«, hakte Alasdair unschuldig nach.
»Ja. Mr. Munro. In der Tat, so ist es. Ich wüsste allerdings nicht, was dies mit der stark ausgeprägten Phantasie Ihrer Kinder zu tun hätte«, erwiderte Mrs. Smith, den Kopf schief gelegt, mit der Nickelbrille auf der Nasenspitze, in pikiertem Tonfall. Weshalb erinnerte die Frau Lou plötzlich an die Geier in der Voliere des Stuttgarter Zoos Wilhelma? War da nicht ein lauerndes Glitzern in ihren Augen? Alasdair schien dies kein bisschen zu stören. Fast vertrauensvoll lehnte er den Oberkörper nach vorne, stützte die Arme auf seinen Oberschenkeln ab und schenkte der Frau erneut sein charmantestes Lächeln. Nur mit großer Mühe warf sie sich nicht schützend vor ihren Mann, sondern blieb nahezu versteinert sitzen.
»Mrs.