Hatfields Beach, 5. April 1920
Am Donnerstag sind wir in Auckland angekommen. Es ist wirklich schön hier. Die Schiffsreise war auch recht angenehm, die paar Tage waren gut, um zu entspannen. Tom hat sich etwas gelangweilt, aber jetzt ist er voller Tatendrang. Vater hat uns abgeholt. Wir sind mit einem Taxi zum Bahnhof gefahren und dann in den Zug gestiegen. Nach Hatfields Beach waren es gerade einmal dreißig Minuten Fahrt. Von der Station aus sind wir zu Fuß weitergegangen. Vater hat unseren Koffer getragen. Ich konnte gleich das Meer riechen, wir sind dann auch nicht länger als zehn Minuten gegangen und standen schon vor Vaters Haus. Er hat sich viel Mühe gegeben, es war alles ordentlich hergerichtet. Tom und ich hatten jeder ein Zimmer, meines sogar mit einem Schreibtisch, an dem ich jetzt sitze. Das Osterfest war wirklich sehr schön, gut, dass wir noch bis Ende der Woche bleiben. Hatfields Beach ist wirklich ein netter Ort. Die Nachbarhäuser stehen nicht so dicht, es gibt hier nicht die Enge der Großstadt.
Hatfields Beach, 8. April 1920
Ich habe schon einige Spaziergänge im Dorf und an der Küste hinter mir. Am Strand habe ich eine Frau getroffen, die sich ihren Sonnenstuhl mitgebracht hat und gemütlich ein Buch las. Ich war ganz überrascht, denn es war ein französisches Buch, der Meaulnes. Ich habe sie dann auch auf Französisch angesprochen und sie hat mir geantwortet, zwar nicht in einem guten Französisch, wie ich bemerken darf, aber ich habe sie verstanden. Die weitere Unterhaltung haben wir dann aber auf Englisch geführt. Wir haben schnell festgestellt, dass wir Nachbarn sind. Joy Parker wohnt mit ihrem Mann in dem gelben Haus, das mir schon aufgefallen ist. Sie kennt Vater recht gut, weil ihre Gärten aneinandergrenzen und sie oft ins Gespräch kommen. Dann habe ich auch gesehen, dass der Meaulnes aus Vaters kleiner Bibliothek stammt. Vater hat Mrs. Parker das Buch geliehen und es ist nicht das Erste, wie sie mir erzählt hat. Wir haben uns noch lange unterhalten. Joy Parker stammt aus London. Sie und ihr Mann Alan sind erst vor zwei Jahren, nach Neuseeland gekommen, sie sind also auch Einwanderer, wie Vater und ich.
Brisbane, 15. April 1920
Auf Tahiti stellte sich mir nie die Frage, wer vor uns, wer vor den Franzosen auf den Inseln gelebt hat. Ich brauchte es nicht zu fragen, weil ich es sehen konnte, weil wir mit den Urbewohnern eng zusammengelebt haben, sehr eng sogar, wenn ich an meine Zeit in Onoos Familie denke. In Brisbane gibt es so gut wie keine australischen Ureinwohner, es gibt gar keine, wenn ich recht überlege und sie sind, wenn überhaupt, auch nur in den ländlichen Gegenden zu sehen und auch dort nicht überall. Mein Interesse für diese Menschen hat sich erst kürzlich ergeben, als ich eine Statistik gelesen habe. Noch vor Jahrhunderten soll die Zahl der Aborigines bei gut einer Million gelegen haben. Im Jahre 1900 sollen es dann nur noch hunderttausend gewesen sein und in diesem Jahr ist ihre Zahl auf weniger als fünfundsiebzigtausend zurückgegangen. Die Europäer verdrängen dieses Volk. In Polynesien ist es anders, weil sicherlich niemand großes Interesse an den vielen kleinen Inseln hat. Australien dagegen ist riesengroß, hat Bodenschätze und genug Land für Viehzucht und für Fabriken und Industrien. Über die Aborigines gibt es in der Öffentlichkeit nur wenig zu erfahren. Ich bin daher in die Bibliothek gegangen und auch fündig geworden. Ich habe in anthropologischen Fachbüchern gelesen und mir ein gutes Bild gemacht. Der Name Aborigines ist schon verkehrt, weil er zu allgemein ist. Es gibt viele Stämme, die Koori leben in New South Wales und in Victoria. Die Murri hier im Bundesstaat Queensland. In West Australien die Noongar, die Yamatji und die Wankais. Es sind faszinierende Namen und alles hat mich an Polynesien erinnert, auch wenn es andere Namen und sicherlich auch andere Sprachen sind. Ich werde wohl nochmals in die Bibliothek gehen und weiter in den Büchern lesen, um mehr über Kultur und Bräuche zu erfahren.
Brisbane, 17. Mai 1920
In den Zeitungen wurde noch einmal über die Spanische Grippe berichtet, die in den vergangenen beiden Jahren auf der ganzen Welt gewütet hat. In Madrid soll es die ersten Grippeopfer gegeben haben, daher auch der Name für die Krankheit. Es ist für mich aber unvorstellbar, wie sich eine Krankheit von einem einzigen Ort über die ganze Welt ausbreiten kann. Es soll Millionen von Toten gegeben haben, auch dies kann ich mir nicht vorstellen. Selbst die Zahl von zwölftausend Opfern, die wir hier in Australien zu beklagen haben, kommt mir schon so enorm hoch vor.
Brisbane, 23. Mai 1920
Tom hat jetzt schon sein zweites »B« in Mathematik bekommen. Die Benotung der Arbeiten motiviert ihn und er will noch besser werden. Bei einem Diktat war er allerdings nicht schnell genug und hat nur ein »D« bekommen.
Brisbane, 5. Juni 1920
Ich denke in letzter Zeit viel an Vater. Als wir wieder von Hatfields Beach zurück waren, habe ich gespürt, wie er mir fehlt. Ich würde ja viel öfter nach Neuseeland reisen, aber es ist eben doch sehr weit und Toms Schule lässt es ja auch nicht zu. In Brisbane komme ich mir manchmal so verloren vor. Ich weiß, dass es Einbildung ist.
Brisbane, 19. Juni 1920
Helen hat sich den Fuß gebrochen. Ich habe sie heute besucht. Sie ist gestolpert und unglücklich aufgekommen. Der Fuß ist eingegipst. Tom wollte natürlich genau wissen, ob es wehtut und ob sie schon wüsste, wie der Gips wieder entfernt wird, ob man dazu eine Säge bräuchte. Helen hat auf dem Sofa gelegen und alle Fragen geduldig beantwortet. Sie kann durch die Wohnung humpeln, aber an Hausarbeit ist nicht zu denken. Zum Glück hat sie ja ihre Kinder und auch ihren Mann John. Sie sollen alle ohne zu murren helfen.
Brisbane, 5. Juli 1920
Tom und ich sind umgezogen, ein paar Straßen weiter, in ein größeres Haus. Ich kann es mir leisten. Ich verdiene mittlerweile recht gut und die Arbeit ist mir wichtig, so wichtig, dass ich vorerst noch in Brisbane bleibe. Jack ist noch nicht wieder zurück. Er hat zweimal geschrieben, beim letzten Mal hat er unsere Verabredung verschoben, weil sein Schiff um das Kap Richtung Norden, Richtung Europa weitergefahren ist. Jack hat sich nicht die Mühe gemacht, mir zu erklären warum. Vielleicht hat er es ja auch schon von Anfang an gewusst und wird erst in zwei Jahren wieder nach Brisbane kommen. Es mag sein, dass ich Jack durchschaue, aber das ist jetzt egal, es interessiert mich nicht mehr, es ist vorbei.
Brisbane, 12. August 1920
Eine neue Wochenzeitung, der Guardian Weekly hat einige von Vaters Artikeln genommen. Es ist faszinierend, dass es diese Zeitung auf der ganzen Welt zu kaufen gibt. Der Guardian Weekly bezieht seine Meldungen auch aus anderen Zeitungen. Darunter sind der Observer aus England, die Washington Post aus Amerika und auch der französische Figaro. Die Artikel aus dem Figaro werden natürlich ins Englische übersetzt. Vater wird wohl in Zukunft Gelegenheit haben, gerade die Artikel aus dem Figaro mit eigenen Beiträgen zu kommentieren. Er schreibt aber auch über neuseeländische und australische Themen, die er dem Guardian Weekly dann anbietet.
Brisbane, 30. August 1920
Ich hatte heute ein Gespräch mit Toms neuer Lehrerin. Sie hat mich aufgefordert, mit Tom mehr Englisch zu sprechen oder jemanden zu suchen, der mit ihm Englisch spricht. Ich war etwas überrascht. Ich habe natürlich einen französischen Akzent, aber diese Frau tat gerade so, als könne ich nicht richtig Englisch sprechen. Der Grund für dies alles ist ganz einfach. Tom verwechselt manchmal französische und englische Wörter. In einem Aufsatz schreibt er zunächst das Wort, welches er im Kopf hat, auf Französisch, streicht dies dann durch und nimmt den englischen Begriff. Es gibt aber auch Fälle, bei denen er seinen Fehler nicht bemerkt. Seine Lehrerin soll gefälligst Französisch lernen, Tom könnte es ihr beibringen.
Brisbane, 10. September 1920
Joy hat mir heute geschrieben, Alan und sie