Der magische Met. Daniel Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844245424
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dabei diesen schmollenden Ausdruck im Gesicht, der sich jedes Mal einstellte, wenn Monika mit etwas nicht zufrieden war.

      „Wieso, was ist denn?“, fragte er.

      „Mein Referat - ich hab keins geschrieben. Ich hab keine Ahnung von dem Thema. Hoffentlich komm ich heut nicht dran.“

      „Sie wird’s eh einsammeln. Was ist denn dein Stichwort?“

      Monika wollte antworten. Dann stockte sie. Sie wollte ihn nicht verletzen.

      „Sag schon“, forderte er.

      Sie stotterte: „Kr- Kr- Krötenwanderung.“

      Jens zuckte zusammen. Er blickte auf den Boden. Wurde rot. Dann fasste er sich.

      „Macht doch nichts. Da kenn ich mich aus. Komm ich helfe dir. Das schreiben wir noch schnell.“

      „Supi“, rief sie – sie rief immer supi, das war so eine Art Markenzeichen, wie das Schmollgesicht, nur umgekehrt - „Supi, komm wir gehen in die Scheune, da ist ein Tisch!“

      Die beiden rannten, um nicht von Monikas Eltern entdeckt zu werden, um den Hof herum zur Scheune und setzten sich an den schäbigen Tisch. Monika packte ihre Sachen aus.

      „Also. Überschrift und Datum hab ich schon“, kicherte sie, „diktier einfach. Aber langsam, so dass ich mitkomme.“

      Jens überlegte einen Moment, suchte erst nach ein paar Formulierungen, so dass der Einstieg etwas holprig klang, aber nach etwa fünf Minuten war er ganz in seinem Element. Er diktierte das perfekte Referat über mehr als zwei Seiten.

      „Mann, was du alles weißt“, sagte Monika als sie ihre Sachen wieder einpackte. Dann schaute sie auf die Uhr: „Mein Gott schon so spät! Das schaffen wir nicht mehr!“

      „Wir können doch durch den Wald laufen“ schlug Jens vor, „dann schaffen wir’s vielleicht doch noch.“

      „Bist du verrückt! – Mann, das ist doch Selbstmord!“

      „Komm, Monika, du fürchtest dich doch nicht wirklich vor alten Bäumen - oder? Die spinnen doch alle!“

      „Aber der Förster! Du weißt doch, was man sagt.“

      „Quatsch“, entgegnete Jens „das sagen die Leute nur, weil man ihn nie sieht. Weil er nie in die Stadt kommt. Ich frag mich, wie der sich ernährt. Vielleicht lebt er ja gar nicht mehr. Du brauchst keine Angst zu haben, Monika, wenn der wirklich ein Mörder wäre, säße der längst im Gefängnis! - Und außerdem, wir können ja ganz schnell am Forsthaus vorbeirennen, der alte Knacker würde uns sowieso nicht kriegen.“

      Schließlich ließ Monika sich überreden. Und die beiden liefen los.

      Als sie die ersten Schritte im Wald gegangen waren, zog sich der Himmel plötzlich zu. Ein lautes Krachen kündigte den Platzregen an. Das Wasser fiel in Mengen auf das Laubdach und verursachte eine unheimliche Geräuschkulisse.

      „Wenigstens sind wir hier etwas geschützter als auf der Straße“, sagte Jens.

      „Aber es ist so dunkel“, entgegnete Monika.

      Tatsächlich ließen die dunklen Gewitterwolken und das dichte Grün kaum mehr Licht hindurch. Der Regen wurde heftiger und auch die Bäume konnten jetzt den Großteil nicht mehr zurückhalten. Monika steckte ihre langen blonden Haare hinten in den Kragen ihrer weißgepunkteten Sommerbluse, um sie zu schützen. Jens liebte es, wenn sie mit ihren Haaren hantierte. „Ich sehe gleich aus wie ein Schwein“, wütete sie und bekam wieder das Schmollgesicht. Sie trug weiße Söckchen und hochmoderne helle Plateauschuhe und mit jedem Schritt versanken diese im matschigen Boden. Jens hingegen hatte keine Sorgen mit seiner Kleidung. Er trug eine seiner geliebten kniekurzen Hosen und ein altes Holzfällerhemd. Socken hatte er im Sommer nie an und seine alten Treter hielten eine Menge aus.

      Das Einzige, was er fürchtete, war, dass Monika ihm die Schuld für alles geben würde. Aber dazu blieb keine Zeit, und sie dachte wohl offensichtlich auch gar nicht daran, denn von weitem war schon das alte Försterhaus zu sehen. Eines der Fenster schien erleuchtet. Der Puls der beiden erhöhte sich ebenso, wie das Tempo ihrer Schritte. „Komm, lass uns schnell vorbeigehen!“, sagte Jens. Sein Mut von vorhin war offensichtlich gewichen. Sie rannten los. Als sie unmittelbar am Haus waren, donnerte und blitzte es ohne Unterbrechung, als wäre der Jüngste Tag gekommen. Die Kinder rannten als sei der Teufel hinter ihnen her. Monika blieb ein wenig zurück, so dass Jens sein Tempo verlangsamen musste. Er drehte sich um.

      „Komm, komm schon!“, schrie er gegen das Gewitter an. In diesem Moment ging die Tür des Hauses mit einem Krachen auf und der alte Förster stand auf dem Weg und blickte Monika nach. Die Augen der riesigen Gestalt blitzen unter seinem dunklen Hut hervor.

      „Aahh!“, schrie Monika und lief so schnell sie konnte.

      „Beeil dich!“, brüllte Jens nicht sehr hilfreich. Dann fasste er sie bei der Hand und die beiden rannten unter dem ohrenbetäubenden Lärm den gesamten Weg durch den Wald. Als sie aus der Dunkelheit hervortraten und die letzten Meter zur Schule nahmen, klärte sich das Wetter ebenso plötzlich wieder auf, wie es gekommen war.

      Als Jens und Monika den Schulhof betraten, begann das große Gekicher. Sie hatten nicht bemerkt, dass sie in der Aufregung gemeinsam nebeneinander gingen und sich immer noch bei der Hand hielten. „Moni geht mit Krötenzwerg, Moni geht mit Krötenzwerg!“, schallte es aus allen Mäulern. Jens schoss das Blut in den Kopf. Er wäre am liebsten verschwunden, aber wie gelähmt bliebt er stehen. Monika riss sich panikartig von ihm los, da ertönte die Schulklingel zur ersten Stunde und sie lief schnurstracks in den Klassenraum.

      Es war der längste Schultag, den Jens je erlebt hatte. Die Stunden wollten kein Ende nehmen. Mathematik, Deutsch, Englisch gleich zwei Stunden lang und schließlich Erdkunde. Hier wurden die Referate zu den Projekttagen eingesammelt, jedoch nicht ohne zuvor zwei oder drei Schüler auszuwählen, die ihre Arbeit vortragen mussten. Frau Janek, die Klassenlehrerin, pirschte wie ein auf Beutejagd befindliches Raubtier durch die Reihen. Ihre Augen flogen über die Köpfe der Kinder, wobei sie einige ihrer Opfer etwas länger fixierte. Dann schoss sie los: „Susi, Michael, Jens! In dieser Reihenfolge!“

      Es hatte ihn getroffen. Ausgerechnet heute. Sonst machte es Jens niemals etwas aus zu referieren - aber ausgerechnet heute! Er konnte ja überhaupt keinen klaren Gedanken fassen. Susi stand bereits vorne und begann mit ihrem Vortrag. Irgendetwas über obere und untere Luftschichten. Mehr nahm Jens nicht wahr. Er konnte nur daran denken, dass auch er gleich vorne stehen muss, mit dem Rücken zur Tafel. Er war sowieso nicht zufrieden mit seinem Referat und heute, heute würden sie ihn zerreißen. Furchtsam blickte er durch den Klassenraum. Die Rabauken aus der hintersten Reihe zogen ihm Grimassen und deuteten mit dem Daumen nach unten. Jens blickte wieder nach vorne. Irgendwie war schon Michael mit seinem Vortrag an der Reihe, ohne dass Jens den Wechsel bemerkt hatte.

      „Autsch!“ Eine Krampe traf Jens ins Genick. Reflexartig drehte er sich um. Er blickte Ulrich an. Der warf seine langen feuerroten Haare in den Nacken und fuhr sich mit dem Daumen langsam quer über den Hals. Jens schluckte. Er hatte nicht bemerkt, dass er bereits wiederholt aufgefordert worden war, nach vorne zu treten und sein Referat zu beginnen. Frau Janek stand jetzt direkt vor ihm. In gewollt jugendlicher Manier hockte sich die Mittfünfzigerin mit einer Pobacke auf Jens Tisch und schlug irgendwelche Zettel lässig in ihre Handfläche. „Herr Kroll braucht wohl eine Extraeinladung, wie?!“, giftete sie ihn an. „Würdest du dich jetzt bitte nach vorne bequemen und anfangen!“ Jens stand auf, nahm seine Zettel in die Hand und schlich zur Tafel. Er drehte sich um und stierte auf seine Blätter. Er zitterte und die Schrift verschwamm vor seinen Augen. Er sortierte die Zettel immer wieder um, so als suche er den Anfang.

      „Fang schon an, du Pfeife!“, grölte es von hinten, doch Jens nahm überhaupt nichts war. Die Stimmen im Klassenraum schienen ihm ein einziges Rauschen im Ohr zu sein. Sein Kopf war leer und voll zugleich und verzweifelt blickte er immer wieder auf seine Arbeit, doch er konnte nichts entziffern.