Kwasir
Der magische Met
© 2013 Kwasir
Titelbild von Junimond
Imprint
Der magische Met
Kwasir
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2013 Kwasir
ISBN 978-3-8442-4542-4
Inhalt
Der Alltag
Der Wald war tabu. Verboten. „Alles Böse kommt aus dem Wald“, so sagte man seit Generationen im Dorf. Wann immer ein Unglück passierte: „Der Wald hat es ausgespuckt!“ Wann immer ein Mensch verschwand: „Der Wald hat ihn verschlungen!“ Sein Rauschen war anders als das Rauschen üblicher Wälder. Sein Grün war finsterer, sein Geruch süßlicher – anlockend irgendwie. Es heißt, dass bereits über hundert Menschen willenlos dem Duft gefolgt waren und nie mehr gesehen wurden.
Der alte Förster war der Einzige, der den Wald liebte. Er wohnte auch darin. Die Einwohner Grechems hassten und fürchteten den Alten, weil er sich mit der grünen Finsternis verbrüdert hatte. Ein Kind soll er dem Wald geopfert haben, um von ihm angenommen zu werden. Jetzt heißt es, er sei untrennbar mit dem Gehölz verbunden und könne nie mehr hinaus.
Nur einmal im Jahr betraten die Bürger freiwillig den Wald - am Waldfesttag. Dann sollte alles Böse für einen Moment überwunden werden. Fackeln wurden angezündet - am helllichten Tag. Lieder wurden gesungen. Man fasste sich bei den Händen und machte sich Mut. Angeführt vom Bürgermeister zog die Gemeinschaft in einer langen Reihe quer durch den Wald. Alle gingen den kaum mehr erkennbaren Hauptweg entlang, am alten Forsthaus vorbei bis zum erlösenden Licht der anderen Seite. Sie sangen laut, riefen und machten Lärm. Sie schlugen auf Kochtöpfen herum. Die Dorfältesten voran, dann die Mütter mit ihren Kindern und schließlich die erwachsenen Männer. Viele hatten ihre Gewehre geschultert. Sie waren stärker als der Wald – für einen Moment.
Nur Oma Ilse ging nicht mit. Kein Jahr, seit Jens sich erinnern konnte, nahm sie an diesem Spektakel teil.
Jens ging in die zehnte Klasse. Er liebte die Natur. Er motivierte seine Mitschüler durch allerlei Aktionen zum Umweltschutz und überwachte die Krötenwanderung. Letzteres hatte ihm den Schimpfnamen Krötenzwerg eingebracht. Jens war sehr klein. Und, da es an jeder Schule die Dummköpfe aller Klassen sind, die, um von ihren eigenen Fehlern abzulenken, den Spott gezielt auf jene mit sichtbaren Gebrechen lenken, hatte Jens eben auch unter diesen zu leiden. Es gab Tage, da wäre er für bloße körperliche Gewalt dankbar gewesen.
Jens lebte bei seiner Oma. Sein Vater war ein Unbekannter und seine Mutter bei seiner Geburt verstorben. Er kannte sie nur von alten Photos, die Oma Ilse in einem Schuhkarton im Wohnzimmer aufbewahrte. Eines der Bilder hatte er liebevoll in seinem Zimmer an die Wand gehängt. Er mochte das Gesicht seiner Mutter. Auch wenn er sie nie gekannt hatte, hatte sich ihr Gesicht, ja ihr ganzes Wesen tief in seine Vorstellung und seine Träume geprägt. Auch seinen Opa kannte Jens nicht. Dass er nicht in einer richtigen Familie aufwuchs, störte ihn nicht. Von seiner Großmutter wurde er nach Strich und Faden verwöhnt, denn auch, wenn eine Oma die Mutterrolle übernehmen muss, bleibt sie immer noch Oma.
Das Haus, in dem die beiden lebten, war der Rest eines alten Gehöfts. Eigentlich waren nur noch vier Zimmer bewohnbar, aber diese waren stets so gepflegt,