Orlando hielt ihr seine Hand hin und lächelte ihr aufmunternd zu. Sie betrachtete seine Hand zögerlich, betrachtete sein Gesicht und legte ihre Hand schließlich seufzend in seine. Als sie seinen starken Griff um ihre Hand fühlte, spürte sie, wie sich eine erotische Gänsehaut auf ihrem Rücken ausbreitete und sie verlegen werden ließ. Dennoch wollte und konnte sie ihm ihre Hand nicht entziehen. Stattdessen faltete sie ihre dünnen Finger in seine kräftigen, schloss die Augen und versuchte, ihre Angst zu unterdrücken, indem sie sich auf das Gefühl, das seine Unterstützung ihr gab, konzentrierte.
Orlando war verwundert über ihre plötzliche Zuwendung und überrascht von der Sanftheit dieser kleinen, scheinbar unbedeutenden Berührung. Als er sie ansah, hätte er sie am liebsten auf sich gezogen und sie in den Armen gehalten. Niemals zuvor hatte es eine Frau geschafft, ihn mit einer so harmlosen Berührung so sehr aus der Fassung zu bringen. Vielleicht lag es an ihrer Angst, dass sie ihm nun näher gekommen war, doch in jedem Fall war es das erste Mal, dass sie ihn ihrerseits berührte. Er versteckte nicht, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, doch sie war bislang immer abweisend gewesen und hatte sich distanziert, wenn er ihr näher gekommen war.
Als das Flugzeug ruhig dahin glitt, löste Christina ihre Hand aus seiner und blickte ihn sowohl forschend, als auch verlegen an. „Wieso reisen Sie in den Irak?“, wollte sie wissen.
„Das kann ich Ihnen nicht verraten, es sei denn, Sie ärgern sich nicht über weitere Lügen.“, antwortete er ehrlich.
Sie lächelte leicht. „Werden Sie in Bagdad bleiben oder von dort aus weiter reisen?“
Er wandte sich ihr zu und blickte ihr direkt in die Augen. „Wird das ein Verhör?“, fragte er lächelnd. „Wissen Sie, das schüchtert mich ein wenig ein, da ich Sie, bei unserer ersten Begegnung für eine Agentin gehalten habe.“
Christina lachte amüsiert auf. „Niemals.“, sagte sie entschieden.
Er grinste. „Doch dann wurde mir klar, dass Sie auch nur eine Kriminelle sind.“, fuhr er schulterzuckend fort. „Sie sind mir ähnlicher als Sie ahnen.“
Christina blickte ihn ernst an. „Und Sie sind größenwahnsinnig, wenn Sie annehmen, dass Sie viel über mich wüssten.“, sagte sie. „Sie haben ja keine Ahnung.“
Orlando schwieg einen Moment und betrachtete sie dabei eingehend. Schließlich fragte er: „Wieso reisen Sie in den Irak?“
„Mein Verlobter wartet auf mich. Das war nicht gelogen.“, antwortete sie. „Und meine Arbeit ist dort.“
„Aber nicht beim Roten Kreuz.“, behauptete er.
„Sind Sie sich da sicher, Orlando?“, fragte sie und lächelte geheimnisvoll.
„Werden Sie in Bagdad bleiben?“, fragte er weiter.
„Ja.“, log sie vorsichtshalber.
„Sie lügen.“, erkannte er sogleich und musste darüber lachen. „Und sogar das wirkt bei Ihnen hinreißend.“
Christina wandte sich ihm nun endgültig zu und schnallte sich, überhaupt das erste Mal während eines Fluges, ab, um bequemer sitzen zu können. „Wird das wieder einer Ihrer Versuche, mich zu einem Drink zu überreden?“, zog sie ihn auf.
Orlando lehnte sich zurück und lächelte selbstsicher. „Sie werden mit mir ausgehen, Chris.“, sagte er überzeugt. „Vielleicht nicht heute, aber irgendwann bestimmt.“
Sie blickte ihn lächelnd an und schüttelte leicht, aber verneinend den Kopf.
Er lächelte noch immer. „Sie müssen wissen, dass ich niemals aufgebe, wenn die Sache einen Kampf wert ist.“, sagte er entschieden. Nun beugte auch er sich zu ihr vor, sodass ihre Gesichter dicht beieinander waren. „Und bei Ihnen werde ich nicht aufgeben.“
*
Irak, Neunzehnter März 2003
Orlando und Christina hatten das Flughafengebäude in Bagdad gemeinsam verlassen. In der heißen Sonne standen sie am Straßenrand und blickten einander lächelnd an. Während es in Spanien angenehme 20 Grad Celsius gewesen waren, maß Bagdad zu dieser Stunde 31 Grad.
Orlandos Ziel war Karch, das Zentrum von Bagdad. Er würde das Raschid-Hotel aufsuchen und sich vorerst dort einquartieren, obgleich er auch in Bagdad eine Wohnung unterhielt. Sobald er Nachricht von Ambrose erhielt, wäre er in der Lage seine Freunde aufzusuchen und mit ihnen den Einflug und weiteren Transport der Waffen zu planen.
Christinas eigentliches Ziel war Falludscha, was mit dem Auto beinahe zwei Stunden vom Zentrum von Bagdad entfernt war. Allerdings hatte sie mit Damian besprochen, dass er sie am Flughafen abholte, damit sie gemeinsam in ihr neues Heim fahren könnten, sodass sie den Besuch bei Ali auf einen späteren Zeitpunkt verschieben musste. Christina hätte lieber ein Taxi genommen, um zu Damians Haus zu fahren, aber sie hatte sich von ihm überreden lassen. Als sie das letzte Mal mit ihm telefoniert hatte, hatte er ihr mitgeteilt, dass die Renovierungsarbeiten an ihrem Haus beinahe abgeschlossen waren. Vielleicht würde sie nun schon ein fertig saniertes Haus beziehen können, denn ihr letztes Gespräch lag über eine Woche zurück.
„Leben Sie wohl, Orlando.“, sagte Christina und reichte ihm die Hand.
„Auf Wiedersehen.“, erwiderte er und zog sie an ihrer Hand näher an sich. „Hoffentlich schon bald.“
Sie lächelte. „Sie trauen dem Zufall zu viel zu.“, sagte sie lächelnd.
„Kennen Sie die sechs Glaubensgrundsätze des Islams?“, fragte er.
Sie nickte. „Ja.“
„Wie lautet der sechste Grundsatz?“
Sie überlegte einen Moment, nicht sicher, worauf er hinaus wollte. „Der Glaube an die göttliche Vorsehung.“, erinnerte sie sich. Christina blickte zu ihm auf und in ihrem Blick lag sowohl Verwunderung, als auch Verlegenheit. Sein Blick hingegen war wärmend und drückte neben seiner üblichen Selbstsicherheit eine Sehnsucht aus, die ihr nie zuvor bei ihm aufgefallen war. Doch noch ehe sie etwas darauf erwidern konnte, wurde ihre Hand ergriffen und sie selbst herumgewirbelt. Im nächsten Moment befand sie sich auch schon in einer Umarmung mit Damian.
„Luna, da bist du ja endlich!“, rief er freudig auf Englisch. Er sprach auch Arabisch, aber nicht annähernd so gut wie seine Verlobte. „Ich hatte schon Angst, du würdest es dir anders überlegen.“
„Ja…-“, sagte sie verwirrt. Sie blickte sich suchend nach Orlando um, aber er war schon in der Menschenmenge verschwunden. „Ja, aber ich bin hier.“, sagte sie und sah dann ihn an. Ihre Traurigkeit, aus dem Gespräch mit Orlando gerissen worden zu sein, überwog zu ihrer Schande der Freude, über das Wiedersehen mit ihrem Verlobten. Dennoch zwang sie sich zur Beherrschung und lächelte ihm zu. „Du hast abgenommen.“, bemerkte sie. Damian war ihr von der Körpergröße nur gering überlegen, sodass sie ihm ohne Schwierigkeiten in die grünen Augen sehen konnte. Sein braunes Haar war immer noch so lang wie vor ihrer Abreise nach London, was ein wenig ungepflegt wirkte, wenn gleich sie wusste, dass er das nicht war. Er trug nun eine Brille, wo er vorher, der Eitelkeit wegen, Kontaktlinsen getragen hatte.
Damian legte seine Hände an ihre Taille und blickte sie ebenfalls aufmerksam an. Er war 24 Jahre älter als sie und ihre Anwesenheit schmeichelte auch ihm. „Wer war der Mann, mit dem du dich eben unterhalten hast?“, wollte er wissen. Er fragte es weder misstrauisch, noch eifersüchtig, sondern mit bloßem Interesse. Sie musste sich erst wieder daran gewöhnen, dass es auch Menschen in ihrem Leben gab, die keinerlei Täuschungen versuchten, die anderen prinzipiell vertrauten und auch selbst ehrlich waren.
„Ein Firmenvertreter.“, log sie sogleich ungeniert. „Wir haben im Flugzeug nebeneinander gesessen.“
Damian nickte und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Nach seinem Blick zu urteilen, hätte ich angenommen, dass ihr euch schon länger kennt.“
Sie