Bei ambulanten Pflegediensten setzt sich hingegen seit Jahren schon der Begriff „Kunde“, anstelle von „Klient“, durch. Ob dieser Begriff notwendig ist, sei dahingestellt, aber damit in Verbindung steht auf jeden Fall ein Anspruch, medizinische Leistungen als Dienstleistungen anzusehen und unter marktwirtschaftlichen Bedingungen anzubieten. Ist dieser Schritt notwendig? Bereits angesprochener Dr. Reinecke hat auch hierzu ein schönes Zitat:
„Die Bekämpfung der wichtigsten, für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen hauptverantwortlichen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Beschwerden wird nur dann erfolgreich sein können, wenn der Klient wesentlich besser informiert und in Vorbeugung und Therapie einbezogen wird, als dies heute der Fall ist (Stichwort: Compliance). Healthcare braucht somit zweifelsohne mehr Marketing – aber bitte professionell und verantwortungsbewusst – und nicht marktschreierisch und ethisch-unreflektiert.“
Das Healthcare-Marketing hat also auch alleine schon durch die Nähe zum Health-Marketing (der Vermarktung von Gesundheit an sich) und die Schnittstelle zum Public-Health Gedanken, seine Berechtigung.
Doch in einigen Kapiteln werden wir sehen, dass die Notwendigkeit dieser Disziplin auch aus ganz realen und klar formulierten Bedürfnissen von Klienten ableitbar ist. Bevor wir allerdings so weit vorgreifen, gehen wir noch auf die ganz spezifischen Besonderheiten ein, welche den Gesundheitsmarkt von anderen Märkten unterscheiden.
Besondere Aspekte im Healthcare-Marketing
Eingangs habe ich ja sofort erwähnt, dass für das Marketing im Gesundheitswesen einige Besonderheiten gelten. Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit ebendiesen Besonderheiten und speziellen Herausforderungen, welchen man hier gegenübersteht. Einige Punkte lassen sich hier sehr schnell erklären – andere benötigen eine etwas längere Ausführung.
Geld verdienen
Wenn ein Vorsitzender eines großen Automobil-Herstellers Ihnen sagt, dass er dieses Jahr gerne den Umsatz erhöhen würde, nehmen Sie (und alle anderen) das wohl einfach zur Kenntnis und denken nicht weiter darüber nach. Wenn Ihnen das aber ein Logopäde sagt, finden das viele seltsam.
Dieses Beispiel soll nur dazu dienen, um zu veranschaulichen, wie unterschiedlich der Bezug zum Thema Geld verdienen in verschiedenen Branchen ist. Ein Großteil der Bevölkerung scheint fast der Meinung zu sein, dass es unsittlich sei, im Gesundheitswesen Geld zu verdienen.
Dass Praxen Unternehmen sind, welche auch Kosten haben, Umsätze generieren und Gewinne machen müssen, wird oft übersehen.Viele Gründe, wie zum Beispiel stetig steigende Kosten, haben es für Anbieter aber fast notwendig gemacht, sich verstärkt um wirtschaftliche Aspekte, wie eine aktive Absatzförderung, zu kümmern.
Erhebliche Informationsasymmetrie
Während es zwar auch in anderen Branchen üblich ist, dass der Anbieter ein größeres Fachwissen als der Kunde besitzt, dürfte dies im Gesundheitswesen noch viel ausgeprägter sein. Dies liegt daran, dass die Informationen sehr komplex sind und zwar so sehr, dass sich sogar die Anbieter selbst oft Unterstützung Ihrer Kollegen holen müssen. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor ist die massive Geschwindigkeit mit der die Forschung Standards in Frage stellt oder verändert.
Folgen
Auch die Folgen von "Fehlkäufen" oder Fehlentscheidungen unterscheiden sich deutlich von anderen Branchen. Wenn Sie eine Spielekonsole kaufen, die Ihnen nicht gefällt, oder die fehlerhaft ist ist das natürlich unangenehmen.
Bei Fehlentscheidungen im Gesundheitsbereich kann die Konsequenz aber im schlimmsten Fall Tod oder Behinderung sein. Ein klassisches Lernen durch Erfahrung wie in anderen Branchen („von diesem Hersteller kaufe ich keine Konsole mehr“) ist hier vielleicht also überhaupt nicht möglich, da man gar keine zweite Chance erhält.
Dauer der Beziehung
In vielen Branchen herrschen kurzlebige Kundenbeziehungen vor. Man kauft etwas und dann sieht man sich nie wieder. Kundenbeziehungen im Gesundheitswesen sind aber eher von langfristiger Dauer. Viele Klienten wechseln zum Beispiel den Hausarzt erst dann, wenn dieser in Pension geht (und selbst dann wählen Sie nachher jenen, der Ihnen von diesem empfohlen wurde). Dadurch ist es auch schwieriger, das Initialvertrauen erst einmal zu erlangen.
Homogenität der Präferenzen
Was mit diesem sperrigen Begriff gemeint ist, ist eigentlich recht schnell erklärt. In den meisten Branchen hat man mit einer Vielzahl an Kunden auch eine Vielzahl von verschiedenen Anforderungen. Manche wünschen z.B. ein blaues Auto, manche einen V8-Motor, einige möchten gerne Offroad fahren und wieder andere möchten möglichst wenig Benzin verbrauchen.Wenn jemand allerdings krank ist, hat er außer "wieder gesund werden" eigentlich kaum eine andere Präferenz.
Eingeschränkte Unabhängigkeit
Bleiben wir beim Beispiel des Autos um die Einschränkung der Klienten im Gesundheitswesen zu beschreiben. Beim Autokauf können Sie auch sagen „Aus. Mir reichts!“ und gar kein Auto erwerben. Bei einer Gesundheitsdienstleistung ist dies kaum möglich, da die Klienten meist auf die Behandlung angewiesen sind (oder sonst mit mehr oder weniger schweren Konsequenzen zu rechnen hätten).
Rechtliche Einschränkungen
Mit diesem Punkt wird sich ein ganzes Kapitel beschäftigen. Neben den üblichen Einschränkungen, welche sich z.B. aus dem Wettbewerbsrecht ergeben, sind Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen in Österreich und Deutschland auch durch konkrete Werbebeschränkungen eingeschränkt. Ein Versuch der Deutung und Bewertung dieser Einschränkungen findet sich im entsprechenden Kapitel.
Der öffentliche Auftrag
Dies ist eine Besonderheit, an welche (trotz ihrer immensen Wichtigkeit) selten gedacht wird. Im Gegensatz zu anderen Branchen wird an das Gesundheitswesen auch von Seiten der Gesellschaft und des Staates ein öffentlicher Auftrag abgegeben, welcher erfüllt werden muss. Eine reine Orientierung an Gewinnprinzipien lässt sich damit kaum durchsetzen (dieses Ziel hat mir aber zugegeben auch noch nie ein Anbieter von Gesundheitsleistungen genannt).
„Darüber möchte ich nicht reden“
Schließlich und endlich beschäftigen wir uns auch (vor allem im kurativen Bereich) mit Leistungen, die eigentlich keiner in Anspruch nehmen möchte. Das Produkt „Gesundheit“ ist natürlich allen wichtig, doch am allerliebsten wäre es den meisten, wenn sie sich mit diesem Thema gar nicht erst beschäftigen müssten und alles „rund läuft“. Wenn ich die kurative Leistung in Anspruch nehmen muss, ist also eventuell meine generelle Grundstimmung schon einmal negativ.
Fazit
Zusammenfassend haben wir also gesehen, dass wir Marketing-Strategien und Werkzeuge also nicht einfach in das Gesundheitswesen kopieren können. Trotzdem wäre es weit gefehlt zu behaupten, dass aufgrund dieser Besonderheiten das Marketing im Gesundheitswesen keinen Platz hat. Es handelt sich zwar vielleicht nur um eine flankierende Rolle, doch auch die Flanken sollten geschützt sein.
Alle in diesem Kapitel genannten Punkte zeigen uns, dass wir die klassischen Aspekte auf ihre Eignung für das Gesundheitswesen prüfen und Adaptionen genau betrachten müssen. Um das zu tun, werden wir im nächsten Kapitel den sogenannten Marketing-Mix genauer betrachten.
3. Der Marketing-Mix im Praxismarketing (die 7 Ps)
Jede Disziplin hat ihre Grundlagen. Egal wie komplex die folgenden Bereiche werden, so baut doch jede Tätigkeit auf diesen auf. Beim Marketing handelt es sich bei diesen Grundlagen um die sogenannten 7 Ps – den Marketing Mix.
Mit diesem Mix bezeichnen wir alle Maßnahmen, welche dazu geeignet sind, den Absatz eines Produktes zu beeinflussen. Im Gesundheitsbereich (man merkt, wie schlecht diese Bereiche zumindest sprachlich verknüpft sind) muss man dies ein wenig konkretisieren. Es geht ja schließlich und endlich nicht darum, mehr und mehr Menschen krank zu machen. Es geht einfach nur darum, Handlungen zu setzen, sodass sich Klienten und Klientinnen unter einem großen Angebot für das unsere entscheiden.
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