„Zugleich hätte es den Indianer mit dem toten Chinesen in Verbindung gebracht,“ hält Mona dagegen.
Für Carey war das alles unwichtig. In gut indianischer Denkweise mussten das Gewehr und die tödliche Absicht gegen mich im Meer versenkt werden.
Mona atmet entgeistert aus.
„Mann, Berkamp, das ist wirklich irre. Und Du warst geschockt, wie der Chinakohl da runter gestürzt ist; platsch, tot. Horror, oder?“
„Ein bisschen schon. Können wir jetzt über etwas anderes reden?“
Corinna hakt jedoch nach.
„Komm, Robert. Du musst damit umgehen. Also sag schon.“
Ich bemühe mich, die Erinnerungen an den Tag in San Francisco hinter mir zu halten, atme zweimal kräftig durch.
„Auf der Rückfahrt hat Carey mich kaum zu Wort kommen lassen.“
Hat mir das Denken des chinesischen Angreifers nahegebracht. Eine grausige Lehre.
„Der Chinese hat das ernst gemeint?,“ überlegt Mona.
Für den war das bloß ein Auftrag. Den führt er aus, so gut er kann. Wie ein Lehrling, der Löcher in eine Wand bohren soll. Damit sein Gangsterboss ihn lobt und ihm als Anerkennung ein paarhundert Dollar in die Hand drückt. Über das Opfer denkt keiner von denen nach. Das ist nur eine Zielscheibe, von Anfang an tot.
Nach längerem Schweigen murmelt Mona:
„Unvorstellbar, das ist mir völlig unvorstellbar, wisst ihr das.“
„Mir ging es bis dahin ähnlich, Mona. Wie gesagt, Black Buffalo Carey hat mir in der Beziehung Einiges beigebracht, schonungslos und hart. Das hat meinen moralischen Kompass verändert.“
„In wiefern?,“ fragt Corinna.
Wir sprechen inzwischen leiser als am Anfang unserer Unterhaltung.
„Für ihn gilt eine einfache Unterscheidung: Töten aus Notwehr oder aus Habgier.“
Wenn jemand diesen Unterschied gelernt hat, dann die indianischen Einheimischen. Töten aus Notwehr galt Carey nicht bloß als Recht sondern als Pflicht. Töten aus Habgier hat er entschieden abgelehnt. Früher, die weißen Siedler und Soldaten haben sich bedenkenlos über diese Regel hinweggesetzt.
Ein langer Augenblick der Stille. Bis ich hinzufüge:
„Das Wissen kann ich nicht ungeschehen machen.“
Was gibt es dazu noch zu sagen?!
„So einen Leibwächter wünsche ich mir auch.“
Sagt Mona. Dann mehr zu sich selbst:
„Obwohl ... bei Schusters Angriff hätte der mir auch nicht helfen können. Da war ich ja allein ... und vollkommen überrascht.“
Am Endes dessen, was für sie im Februar als Liebesbeziehung begonnen hatte.
„Vergangen, vergessen,“ meint Corinna.
Was man eben sagt zu Geschichten, an die man selbst sehr ungern erinnert wird.
Corinna und ich haben verabredet, Monas dreimonatige „Liebesbeziehung“ von uns aus nicht anzusprechen.
Der schlagfertige Liebhaber war Corinnas jüngerer Kollege Schuster.
Die unschönen Einzelheiten hat Mona uns erst mehrere Tage nach einer Schießerei mit ihm gestanden.
Die Zeit macht ihr immer noch zu schaffen.
Sicher rührt Monas Zufriedenheit mit unserem beinahe altmodischen Familienleben auch von ihren zunehmend gewalttätigen Erfahrungen im vorigen Frühjahr her. Ihr auf unsere Weise zu helfen, innerlich heile zu werden, ist mir ein Herzenswunsch. Wenn sie die schmerzlichen Erlebnisse von sich aus anspricht – was selten geschieht –, halten Corinna und ich uns mit Ratschlägen zurück, verlegen uns aufs Zuhören.
Jetzt fällt mir dazu nur ein:
„BiBi Carey hätte ihm wahrscheinlich das Genick gebrochen, sobald er davon erfahren hätte.“
„Ist ja, Gott sei Dank, nicht mehr nötig,“ stellt Mona seufzend fest.
„Ganz sicher, Mädchen,“ bestätigt Corinna.
Es sagt sich leicht.
6
Streitereien haben das oft an sich.
Sie flackern aus nichtigem Anlass auf.
Monas nächste Frage, meine arglose Antwort – zündende Funken.
„Hast Du noch Kontakt mit diesem Bodyguard Carey?“
„Ab und zu per E-Mail. Auch mit seiner Schwester Belinda. Gelegentlich telefonieren wir miteinander.“
Corinna fährt auf.
„Sieh einer an! Wieso kriege ich das rein zufällig erst jetzt mit?!“
„Hey, hey, halt mal, Corinna! Mit wem Du während der Woche den lieben langen Tag sprichst, erfahre ich auch nicht.“
So leicht dreht sie nicht bei.
„Das ist wohl etwas anderes ... und rein dienstlich. Ausgerechnet die!“
Mona zieht die Augenbrauen zusammen.
„Wieso, Mammi? Kennst Du diese ... Belinda Carey?“
„Nein, Mona. Aber der Kollege Wiegand kennt sie. Er hat sie vor Jahren auf einer Konferenz in New York getroffen ...“
„Zufällig dein Lieblingsarschloch ...“
„Mona, bitte, beherrsch dich. Jedenfalls hatte diese Dame Carey im Oktober nichts Besseres zu tun, als Wiegand anzurufen ...“
„Wieso das denn?“
„Mädchen, davon reden wir die ganze Zeit. Da hatte unser Held hier gerade die Entführung dieses Chinesen-Mädchens verhindert.“
Die Kollegin in San Francisco war beeindruckt und wollte sich über mich erkundigen. Weil ich leichtsinnigerweise von Corinna und ihrem Beruf erzählt hatte.
„Pah. Mammi, versteh ich nicht. Kannst Du doch stolz drauf sein.“
„Von wegen! Ich saß da wie dumm. Mein Robert hatte es nicht für nötig gehalten mich anzurufen. Dafür hat Wiegand mir höchst genüsslich von dem Vorfall mit dem Kind berichtet.“
„Sage ich doch, dein Lieblingsarschloch.“
Natürlich war ich überrascht, und es war mir peinlich, als Detective Carey im Polizei-Hauptquartier San Francisco mir freundliche Grüße aus dem Präsidium in Frankfurt bestellte. Ausgerechnet von Wiegand, der die interne Ermittlung der Schuster-Schießerei geleitet hatte.
Vergangenheit, für mich wenigstens.
Immerhin hat Wiegand sich bei Belinda sehr anerkennend über Corinna und mich geäußert. Sage ich, um das Thema zu beenden.
„Ohne mich vorher zu fragen. Geschenkt.“
Nicht ganz, zeigt Corinnas Blick. Mir fällt das Wort leichte Gewitterwolke ein. Klar, dass eine bissige Frage folgt.
„Und, Robert, hast Du etwas mit ihr gehabt, mit dieser Belinda? Bestimmt eine rassige Indianerin. Und überaus verständnisvoll für einen trostbedürftigen Mann im gesetzten Alter.“
Frau Mutter ist angesäuert und erwartet das Verständnis der Tochter.
Die jedoch wundert sich.
Noch ehe ich antworten kann, erklärt Mona:
„Mammi, Du bist albern, aber volle Kanne! Robert ist ein erwachsener Mann.