Die Hexe zum Abschied. Günter Billy Hollenbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Billy Hollenbach
Издательство: Bookwire
Серия: Berkamp
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772282
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ja.“

      „Das hat keinen Zweck. Verstehen Se, als Ärztin kenne ich viele schlimme Verletzungen. Se müssen nicht Sorgen machen um mich, wenn wir über den Überfall sprechen. Aber es gibt nichts Neues.“

      Sie habe Frau Conrad gestern gesagt, was geschehen ist; alles, was sie weiß. Wozu will ich noch einmal fragen?

      Ich probiere es mir einem bewährten Coaching-Trick.

      „Ach, wissen Sie, Frau Neskovaja, ich bin nicht wichtig. Ich habe nur zwei, drei Fragen. Die Antworten helfen Ihnen selbst sicher mehr als mir. Wenn klar ist, wer das getan hat, können Sie alles schneller vergessen. Das erleichtert Ihren Neuanfang.“

      Sie lächelt nachdenklich.

      „Neue Art von Medizin und neuer Anfang für die Seele? Meinen Sie?“

      „Ja, genau.“

      „Klingt sehr schön. Leider geht nicht ganz einfach.“

      Ich schüttele verneinend den Kopf.

      „Eh, eh; das geht leichter als man denkt, wenn man auf eine bestimmte Art darüber spricht.“

      „Was ist bestimmte Art darüber zu sprechen?“

      „Darüber. Nicht von innen, wo Ängste und Schmerzen wieder wach werden. Sondern wie ein Beobachter, der von oben hinabschaut.“

      „Ist wie Loslassen, oder? Und trotzdem wissen; sagt Herr Dr. Teng.“

      „Schön,“ bestätige ich. „Der meint bestimmt das Gleiche. Wie wenn Sie auf einer Eisenbahnbrücke stehen und runtergucken.“

      Man schaut hinab, sieht einen Güterzug näherkommen. Jeder Güterwagen ist oben offen und enthält ein Stück von dem Erlebnis, die Gefühle und was man dabei tut. Der Zug rattert sehr laut. Trotzdem, man schaut mit Abstand von der Brücke hinab auf den Wagen mit dem Geschehen. Sieht, wie alles unter der Brücke verschwindet und leise wird.

      „Und Sie beginnen, es zu vergessen.“

      „Ein sehr schönes Bild. Machen Se Therapie als Arbeit?“

      „Nein, ich erkläre nur Dinge, die der Kopf machen kann.“

      Sie nickt kurz entschlossen.

      „Jetzt für mich? Se sagen, wie es geht.“

      Nach einer Kurzwiederholung des Verfahrens steht Frau Neskovaja mit geschlossenen Augen da, lässt sich von meinen Worten führen, im Gesicht ein sehenswert reges Mienenspiel.

      „Und jetzt verschwindet der Wagen mit Schuster darin unter der Brücke. Einfach weg. ... Wie fühlt sich das an?“

      „Das war leicht. Geht gut. Herr Schuster ist wirklich tot?“

      Bis vorhin hat sie es nicht gewusst und auch nicht geglaubt. Davon bin ich jetzt überzeugt.

      „Ja, seit September vorigen Jahres. Sie haben befürchtet, dass er es war, der Sie angegriffen hat, richtig?“

      Frau Neskovaja presst die Lippen zusammen, schaut wieder an sich herab, nickt schweigend.

      „Was hat Sie auf den Gedanken gebracht?“

      „Ich verstehe nicht. Wenn er tot ist, dann kann er das nicht gemacht haben, den Angriff auf mich.“

      „Richtig. Wieso haben Sie an ihn gedacht?“

      „Weil ich keinen anderen Menschen weiß, der richtig böse Streit gehabt hat mit mir. Damals, wie er Patient war nach Schussverletzung. Er hat totalen Wutanfall bekommen und gedroht. Er hat geschrieen, dass mir noch leid tun soll.“

      „Wieso das denn? Sie haben ihm doch geholfen, ihn behandelt.“

      „Er hat ein großes Problem gehabt mit Immunabwehr und aggressive Infektion bekommen mit der Schussverletzung. Wir haben unter seinen Armen Injektionen gefunden von Hormone für Muskelaufbau, Steroide, und bei Blutanalyse. Wir waren sicher, dadurch ist seine Infektion hervorgetreten. Ich habe mit Herrn Schuster gesprochen, ... mit guter Absicht, dass er aufhört damit.“

      In ihr Zögern hake ich ein: „Aber er hat es bestritten?“

      Sie nickt bekümmert.

      „Er hat ,nein!’ gesagt, keine Hormone, hat laut geflucht und behauptet, ich gebe ihm falsche Schuld, und hat gemeine Wörter gerufen, können Sie mir glauben, will ich jetzt nicht wiederholen.“

      Sie spricht leiser, ihre Schultern sinken ein wenig nach vorn.

      „Hat er Ihnen gedroht?!“

      „Ja, hat gedroht.“

      „Gehen Sie wieder auf die Eisenbahnbrücke, Frau Neskovaja! Sehen Sie den Zug! Darin Schuster. Und ... droht er immer noch?“

      Sie lächelt verlegen.

      „Der Zug ist viel zu laut. Es geht nicht mehr. Er schreit, aber der Zug ist viel lauter. Komisch, geht so schnell anders? ... Danke, das ist schön.“

      „Der Kopf lernt mit Bildern und Tönen am besten; mit Sprache leider nur ganz langsam. Gestern hatten Sie Angst, mit Frau Conrad darüber zu sprechen, weil Sie befürchtet haben, er könnte ...“

      „Ja, weil ... Ich habe überlegt, wenn sie weiß, dann weiß auch Herr Schuster, so habe ich gedacht. Deshalb ist besser zu schweigen. Herr Schuster hat Möglichkeiten für ein gutes Alibi oder andere Maßnahmen gegen mich. In Russland niemand vertraut auf die Polizei, müssen Se wissen.“

      Sie spielt mit den Fingern vor ihrem Schoß.

      „Ganz sicher, Frau Neskovaja. Herr Schuster kann Sie nicht überfallen haben. Und er kann auch in Zukunft nichts gegen Sie tun.“

      Sie richtet den Oberkörper auf, nickt nachdenklich, lächelt erleichtert.

      „Ist wirklich wahr, Herr Schuster hat Schussverletzung von Ihnen bekommen? Aber Sie sind kein Gangster?“

      Ihre Frage klingt so rührend direkt, dass ich grinsen muss.

      „Nein, bin ich nicht. Es war Notwehr. Weil Schuster erst auf seine Chefin und dann auf mich geschossen hat. Er hat sehr viel Wut in sich gehabt, auch wegen dieser Muskelhormone. Er hat begriffen, dass er für viele Jahre ins Gefängnis geht, und sein Beruf als Polizist ist verloren. Deshalb hat er kurz danach Selbstmord begangen.“

      „So ein Unglück, großes Unglück.“

      „Ja, das stimmt.“

      „Vielen Dank für offene Information. Das ist wichtig für mich, sehr wichtig. Se verstehen das sicher.“

      20

      So weit, so gut. Hoffentlich auch für die Ärztin.

      Sie hat sich nicht in heulendes Elend verwandelt, ist bei der Sache, spricht gefasst; sicher dank ihrer Berufserfahrung. Ich fühle mich ermutigt, den Schritt auf schwieriges Gebiet zu wagen.

      „Frau Neskovaja, ich bin sicher, Sie können noch mehr sagen, ohne die Angst vor Schuster.“

      Sie schaut mich an, als hätte sie mich missverstanden.

      „Schuster kann es nicht gewesen sein. Also wer dann?“

      Absichtlich verheimlicht hat sie wahrscheinlich nichts.

      „Wirklich, keine Person fällt mir ein, die mir das tun möchte.“

      „Vergessen Sie Personen. Lassen Sie uns neu denken. Vielleicht ist Ihr Gedächtnis besser als Sie denken. Viel besser.“

      „Wir können mein Gedächtnis noch besser machen?“

      „Sie machen es. Ich helfe ein wenig. Es ist ganz einfach. Haben Sie Lust, es auszuprobieren?“

      Sie lacht los.

      „Wenn nicht weh tut, können wir testen.“