Die Hexe zum Abschied. Günter Billy Hollenbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Billy Hollenbach
Издательство: Bookwire
Серия: Berkamp
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772282
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      Ein bestimmter Tätertyp, vorzugsweise selbstsüchtig und voll Überlegenheitsgefühl, hält sich gern in Tatortnähe auf. Er sucht nach Wegen, nahe an die polizeiliche Ermittlungsarbeit zu gelangen, schmeichelt sich ein mit verständnisvollen Sprüchen. Genau das tue ich OK Conrads Meinung nach. Noch bedenklicher: Ich verfügen über vertrauliches Tatortwissen.

      „Besser gesagt Täterwissen,“ ergänzt sie.

      Die Dame zeigt einen Hang zum Reden. Sie ist verunsichert, weiß nicht, wie sie mir beikommen soll. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt in Richtung Angst. Ich kann es ihr nicht einmal verdenken. Was sonst soll die Conrad im Lichte meiner Fragen annehmen? Mist, unser Gespräch gerät ungewollt geradeaus in eine falsche, gefährliche Richtung. Und die rechte Hand der Dame wandert unübersehbar seitwärts weiter zur Hüftgegend.

      Die Handbewegung ist mir bestens vertraut.

      Sie weiß, ich bin nicht ohne. Habe sogar auf Schuster geschossen.

      In der Klinik konnte sie meine Pistole sehen. Ihre eigene hat sie anschließend entladen. Meine ist zwar ebenfalls entladen. Doch ihre Waffe hinten im Gesäß macht das Ziehen umständlich. Ich kann auf meine Schnelligkeit vertrauen. Tammy Quan, meine Trainerin in San Francisco, hat mir blitzartig Ziehen und gleichzeitig Spannen beigebracht.

      Wer einen Hammer hat, sieht überall nur Nägel.

       Bist du völlig bescheuert, Robert!

      Auch nur einen Augenblick solche Gedanken zu denken? Abgesehen davon; einen Schutz wie meine Jacke hat die nette Frau Conrad nicht, die Ärmste. Obendrein ein viel zu liebes Gesicht. Auf jemanden wie sie schießt man einfach nicht; komme, was wolle. Das gehört sich nicht. Droht ihr auch nicht mit der Waffe.

      „Herr Berkamp, legen Sie beide Hände auf Ihre Knie! Sofort!“

      15

      Showdown! Am Kamin des „Schlosshotels“. Unachtsam von mir heraufbeschworen. Frau Conrads Ton lässt keinen Zweifel: Sie meint es ernst.

      Also tun wir ihr den Gefallen. Wenn sie mich so lieb bittet, heute zum zweiten Mal. Ich hole tief Luft, spanne den Hintern an, hebe meine Arme über die Knie, spreize gut sichtbar meine Finger, schaue ihr fest in die Augen – und schnappe ihre beiden Hände.

      „Vorsicht, Frau Conrad. Ich bin schneller.“

      Unvermeidlich komme ich ihrem Gesicht sehr nah, wische mit einer Wange an ihrem dunkelbraunen Haar entlang, fühle ihren schnellen Atem, sehe ihre erschrockenen Augen dicht unter meinen. Zwei unserer Hände an der Wildlederjacke vor ihrem Bauch, ihre rechte von meiner linken auf das Polster gedrückt, spüre ich ihre Anspannung. Und sie meine.

      Ich brauche zwei Sekunden, atme durch, lockere die Finger. Während ich langsam an meine Sofakante zurückweiche, führe ich unsere Hände zwischen uns zusammen.

      Frau Conrad schluckt heftig, blickt mich mit weiten Augen an. Immer noch erschrocken, oder unsicher.

      Am liebsten möchte ich ihr ein Freundschaftsküsschen auf die Nase drücken. Statt dessen versuche ich ein entschuldigendes Lächeln, halte ihre Hände sanfter fest. Sie zieht sie nicht zurück.

      „Frau Sandner, unsere Corinna, ist jedes Mal verärgert, wenn ich auf der Schießbahn besser bin als sie. Seit meinem letzten Aufenthalt in den USA bin ich ziemlich gut, was Pistolen angeht. Und etwas furchtloser. Glauben Sie mir, Frau Conrad. Ich bin auf Ihrer Seite.“

      Ich halte ihre beiden Hände weiter mit meiner linken fest, ziehe mit der rechten meine P 99 aus dem Halfter und lege sie ihr in den Jeanshosen-Schoß.

      Statt nach der Pistole zu greifen, bleiben ihre Hände, wo sie sind.

      „Okay, Frau Oberkommissarin, der Punkt geht an Sie. Jemand könnte die Neskovaja besuchen, um sie weiter einzuschüchtern. Und meine Fragen müssen Ihnen verdächtig erscheinen. Sie überlegen längst, wie Sie unser Gespräch möglichst unverfänglich beenden und ein Sondereinsatz-Kommando anfordern können.“

      Ich muss mich zwingen, sie nicht zu umarmen.

      „Also, hier meine amtliche Aussage: Ich war nie am Tatort, bin zu rückhaltloser Auskunft bereit, habe einen festen Wohnsitz, und es besteht keine Fluchtgefahr.“

      Ihr seitwärts gewendetes Gesicht errötet, ihre Augen blinzeln wieder. Etwas in der Art hat sie gerade gedacht – Verstärkung anfordern oder mich anderweitig unschädlich machen.

      Blöde Situation.

      Wenigstens ist Frau Conrad ruhig sitzen geblieben, wirkt nicht, als habe sie die helle Wut oder das kriminalistische Jagdfieber gepackt. Wenn sie mich wirklich für den Täter hielte, hätte sie die Hände längst zurückgezogen. Oder sie ist meisterhaft darin, ihre wahren Absichten, vielleicht auch aufkommende Angst, zu verbergen.

      Ich könnte mich ohrfeigen, habe nicht im Traum die Absicht, es mir mit der Frau zu verderben. Bei ihrer freundlichen Art. Und als Corinnas Kollegin.

      „Bitte entschuldigen Sie, Frau Conrad. Das war ungeschickt von mir. Sie müssen mich ja verdächtigen. ... Nach einfacher Logik.“

      Kunstpause, um zu sehen, ob meine Erklärung bei ihr ankommt.

      Frau Conrad schaut mich abwartend an.

      „Außer der einfachen gibt es eine „höhere“ Logik. Die benutze ich gelegentlich; auch bei diesem Fall. Ich gestehe: Meine Hauptkommissarin hält nicht viel von dem Verfahren. Und es nicht unfehlbar.“

      „Aha! Höhere Logik. Stecken Sie die Kanone wieder ein, oder wollen Sie mich zu einer Dummheit verführen?“

      Ich lasse ihre Hände los, stecke die Walther ein.

      Frau Conrad lehnt sich laut ausatmend in ihr Sofapolster zurück.

      Unwillkürlich muss ich lachen.

      „Der zweite waffentechnische Vergleich in der kurzen Zeit. Das wird bestimmt noch etwas mit uns beiden.“

      Sie schaut entgeistert zu Decke, lacht kurz, wenig belustigt.

      „Sind wir uns wieder gut?,“ frage ich.

      Sie nickt wortlos, schnauft hörbar erleichtert.

      Um ein Haar lege ich meine Hand auf ihr wildlederbekleidetes Knie.

      Ich schätze, ich finde sie mehr als nett, beginne die Frau zu mögen.

      „Danke Ihnen. Also, Sie sind gewarnt. Seien Sie mutig, hören Sie sich an, was ich tue?! Selbst wenn es außergewöhnlich erscheint.“

      Ihr Blick wird milder.

      „Sie sprechen von ihrer „höheren“ Logik? Also, versuchen Sie es.“ „Richtig. Vorweg eine Bemerkung zu Ihrem psychologischen Profil, was mich wie der Täter erscheinen lässt.“

      Punkt eins. Die polizeiliche Ermittlung ist ungebeten zu mir gekommen, durch die offene Wohnungstür, in der Person meiner Lebenspartnerin. Ich habe mich also nicht in Dienstliches eingeschlichen. Ich gestehe, dass ich bei solchen Themen aufmerksam zuhöre. Punkt zwei: Von dem Überfall auf die Russin habe ich erst am Samstag Abend erfahren. Kenne keine näheren Einzelheiten, Fotos oder Befunde vom Tatort. Bis heute weiß ich nicht, wo die Frau wohnt, habe sie nur einmal vor Monaten im Nordwest-Krankenhaus getroffen.

      „Diese Aussagen mache ich reinen Gewissens.“

      Frau Conrad schüttelt ihre Schultern ein wenig, fährt sich erst mit der rechten, dann mit der linken Hand durch ihre Haarwellen, rückt etwas näher in meine Richtung.

      „Gut, Herr Berkamp, nach ihrer entwaffnenden Offenheit und gegen den unschönen Anschein, ich glaube Ihnen. Frau Sandner wird wissen, mit wem sie sich einlässt. Was ist nun mit Ihrer „höheren“ Logik?“

      „Fein. Vorab: Bitte behalten Sie das für sich. Ich spreche jetzt vertraulich mit der Privatperson Vera Conrad. Habe ich darauf Ihr Wort?“

      Sie